Juli 2024 |
240704/240705 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Bundesnetzagentur hat am 1. Juli die Kriterien festgelegt, die eine "zuschaltbare Last" gemäß § 13k des Energiewirtschaftsgesetzes für die Berechtigung zur Teilnahme an der Maßnahme "Nutzen statt Abregeln" erfüllen muss. Dieser Paragraph wurde am 10. November 2023 vom Bundestag in das Gesetz eingefügt, um die galoppierenden Kosten durch Abregeln und Redispatch von Windstrom wenigstens etwas zu mindern.
Das Konzept "Nutzen statt Abregeln" sieht vor, dass künftig solche Windstrommengen, die sonst gegen Entschädigung abgeregelt werden müssten, zu attraktiven Niedrigpreisen an die Betreiber von zuschaltbaren Lasten vergeben werden. Voraussetzung ist allerdings, dass eine "zusätzliche" Stromnachfrage besteht, die eine engpassentlastende Wirkung hat. Die Bundesnetzagentur hat dazu drei Segmente festgelegt, bei denen sie unter bestimmten Voraussetzungen von einer solchen zusätzlichen Stromnachfrage ausgeht:
!. Die Substitution fossiler Wärmeerzeugung durch elektrische Wärmeerzeugung
2. der Einsatz netzgekoppelter Speicher und
3. neu zu errichtende Elektrolyseure und Großwärmepumpen.
Weitere Ausführungen zu den ziemlich komplizierten Details enthält die 36 Seiten umfassende Festlegung, welche die Behörde am 28. Juni beschlossen hat (PDF). Die Zuteilung soll am 1. Oktober 2024 mit einer zweijährigen Erprobungsphase beginnen. In dieser wenden die vier Übertragungsnetzbetreiber TenneT, Amprion, 50Hertz und TransnetBW ein vereinfachtes pauschaliertes Zuteilungsverfahren an. Parallel dazu wird ein wettbewerbliches Ausschreibungsverfahren entwickelt, das in den Folgejahren zur Anwendung kommt. Ab dem 1. April 2025 können auch die Verteilnetzbetreiber das Instrument anwenden.
Während der neue § 13k im Energiewirtschaftsgesetz
nur mit "Nutzen statt Abregeln" überschrieben ist, spricht die Bundesnetzagentur
von einer Festlegung zu "Nutzen statt Abregeln 2.0". Der Grund dafür
ist offenbar, dass es seit Juli 2022 schon eine ähnliche Regelung in §
13 Abs. 6b des Energiewirtschaftsgesetzes gegeben hat, die aber
bis zu ihrer
Streichung keine praktische Bedeutung erlangte. In ähnlicher Weise hat
die Behörde in Anlehnung an die Nummerierung unterschiedlicher
Software-Versionen schon den "Redispatch 2.0" kreiert, nachdem das
früher im EEG geregelte
"Einspeisemanagement" mit dem konventionellen Redispatch im
Energiewirtschaftsgesetz
zusammengeführt wurde (221205).
Dass sich durch das Konzept "Nutzen statt Abregeln" wesentliches an den Netzkosten ändern wird, glaubt selbst die Bundesregierung nicht. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, formulierte es diplomatisch so: "Dieses Instrument ist wichtig, aber kein Ersatz für einen möglichst schnellen und bedarfsgerechten Netzausbau.“
Wenn man bedenkt, dass der gesamte deutsche Stromverbrauch im vergangenen Jahr nicht höher war als 1990 nach der Wiedervereinigung, taucht allerdings die Frage auf, was unter einem "bedarfsgerechten Netzausbau" zu verstehen ist. Der bisherige Stromverbrauch kann es jedenfalls nicht gewesen sein, der die seit Jahren bestehenden Netzengpässe und den daraus resultierenden Kostenanstieg verursacht hat. Inzwischen mehren sich deshalb die Stimmen von Ökonomen, die das Strommarktdesign für die hohen Netzengpasskosten verantwortlich machen und für reformbedürftig halten. Sie sind sogar so laut geworden, dass es deshalb im Juli zu einer öffentlich ausgetragenen Kontroverse um weitere Änderungen am Zuschnitt der deutschen Stromhandelszone kam (siehe Hintergrund).
Die Kontroverse begann mit einem Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen" vom 10. Juli. Unter der Überschrift "Der deutsche Strommarkt braucht lokale Preise" plädierten zwölf namhafte Energieökonomen für ein sogenanntes Nodalpreissystem anstelle des bisher bundesweit einheitlichen Großhandelspreises, der keine Rücksicht auf tatsächlich bestehenden Netzengpässe nimmt und dadurch die hohen Netzkosten verursacht. "Die Redispatch-Reparatur beraubt Deutschland der Effizienz und Effektivität einer marktwirtschaftlichen Preissteuerung", lautete ihr Befund. Stattdessen müssten Strompreise ermöglicht werden, die Angebot und Nachfrage regional ausgleichen und dadurch den lokalen Stromwert widerspiegeln.
Elf Wirtschaftsverbände reagierten auf diesen Vorstoß sofort mit einem gemeinsamen Appell zur Erhaltung der deutschen Stromgebotszone (PDF). Dieser Appell wurde dann am 20. Juli im wesentlichen unverändert ebenfalls in der "Frankfurter Allgemeinen" veröffentlicht, wobei ihn zusätzlich noch die drei großen DGB-Gewerkschaften IGM, IGBCE und Verdi unterstützten. Die Kritik lief im wesentlichen darauf hinaus, dass die negativen Auswirkungen von weiteren Teilungen der EEX-Handelszone oder von lokalen Preisen "nicht abzusehen" seien und jedenfalls etwaige Vorteile "überlagern" würden.
Die Autoren des Artikels "Der deutsche Strommarkt braucht lokale Preise" in der FAZ vom 10. Juli sind Lion Hirth (Hertie School und Neon), Axel Ockenfels (Uni Köln und MPI Bonn), Martin Bichler (TU München), Ottmar Edenhofer (PIK und TU Berlin), Veronika Grimm (TU Nürnberg), Andreas Löschel (Ruhr-Uni Bochum), Felix Matthes (Öko-Institut), Christoph Maurer (Consentec und FAU Erlangen-Nürnberg), Karsten Neuhoff (DIW), Karen Pittel (Ifo), Achim Wambach (ZEW), Georg Zachmann (Bruegel).
Die Unterstützer des Appells "Die Energiewende braucht ein stabiles Fundament" in der FAZ vom 20. Juli sind Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Industriegewerkschaft Metall (IGM), Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Deutscher Bauernverband, EFET Deutschland - Verband Deutscher Energiehändler, Verband der Chemischen Industrie (VCI), Verband der Automobilindustrie (VDA), Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), Verband der Bayerischen Wirtschaft, Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).