Juli 1991 |
910713 |
ENERGIE-CHRONIK |
Als unrealistische "Zahlenspiele" wies die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) ein vom Verband der Chemischen Industrie veröffentlichtes Gutachten zurück, wonach sich bei Verwirklichung der Strom-Durchleitung in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden jährlich Kosteneinsparungen von etwa 24 Mrd. DM erzielen ließen, die vor allem den privaten Stromverbrauchern, kleineren Gewerbetreibenden und dem Handel zugute kämen. Das Gutachten belege nicht, daß verstärkter Wettbewerb in Europa zu deutlich günstigeren Strompreisen in der Bundesrepublik führen werde. Es gehe vielmehr von theoretischen Szenarien bis zum Jahr 2010 aus. Zum Beispiel werde eine massive Kürzung der Verstromung deutscher Steinkohle von derzeit rund 40 auf nur noch 10 Mio. t jährlich unterstellt. So gelange man in der Tat zu günstigeren Strompreisen, die ihren Ursprung aber nicht im verstärkten europäischen Wettbewerb hätten. Die Gutachter selbst kämen zu dem Ergebnis, daß rund vier Fünftel der erhofften Ersparnisse auch ohne den EG-Wettbewerb zustande kommen könnten (VWD, 4.7.; FAZ, 19.7.).
Erneut widersprochen hat die VDEW auch den Vorschlägen der EG-Kommission, wonach per "Durchleitung" jeder Stromerzeuger grundsätzlich jeden Kunden beliefern und dazu die Leitungen anderer Unternehmen benutzen dürfen soll. Eine solche Regelung, von der sich die EG-Kommission mehr Wettbewerb verspricht, bringe nur für wenige Großkunden Vorteile, belaste aber die Masse der Verbraucher. In Deutschland käme sie einer Enteignung der Stromnetze gleich. Besonders die kleineren der etwa 900 deutschen Stromversorger könnten bei der dann zu erwartenden Jagd nach Großkunden kaum mithalten (VWD, 22.7.; Frankfurter Neue Presse, 23.7.).
Dennoch fanden beide Vorstöße ein positives Presse-Echo: Für die Stuttgarter Zeitung (3.7.) verliert das Argument der Stromwirtschaft, bewährte Strukturen dürften nicht verändert werden, angesichts der Forderungen nach verstärktem Wettbewerb an Überzeugungskraft. Die Elektrizitätswirtschaft zähle bisher "im Kern zu den wettbewerbslosen Wirtschaftszweigen" und habe "es geschafft, Versuche abzublocken, an dieser Sonderstellung etwas zu verändern". Nach Meinung der Frankfurter Allgemeinen (3.7.) wird die Aussage des von der Chemieindustrie vorgelegten Gutachtens durch Klagen der ostdeutschen Chemie über "abenteuerliche Preise" der Energieversorgungsunternehmen unterstrichen. "Es wird Zeit für mehr Wettbewerb" meinte das Blatt.