Oktober 1991 |
911004 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Streit um Mengen und Preise der Lieferungen sowjetischen Erdgases für die neuen Bundesländer über die Verbundgasnetz AG (VNG), der seit längerem zwischen der Ruhrgas AG und der BASF-Tochter Wintershall ausgetragen wird, hat sich zugespitzt. An der VNG sind die Ruhrgas mit 35%, Wintershall mit 15% und die sowjetische Gazprom mit 5% beteiligt. Während die Ruhrgas zusammen mit der ihr verbundenen BEB den maßgeblichen Einfluß auf die Geschäftspolitik der VNG hat, kontrollieren Wintershall und Gazprom über die gemeinsame Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH (WIEH) Mengen und Preise des an die VNG gelieferten Erdgases.
Nachdem die VNG den von der WIEH verlangten Erdgas-Preis nicht bezahlen wollte, sondern auf dem sogenannten Waidhaus-Preis bestand, hat die WIEH ihre Gaslieferungen gekürzt, so daß die VNG zur Sicherstellung der Versorgung ihre Untertagespeicher anzapfen mußte. Die Ankündigung einer drohenden Erdgas-Versorgungskrise in den östlichen Bundesländern verleiht dem seit Monaten andauernden Streit eine neue politische Dimension (Welt, 2.10.; FR, 2.10., SZ, 23.10.).
Am 19.10. berichtete die Frankfurter Rundschau, daß sich Ruhrgas über Umwege die Mehrheit an der VNG sichern wolle, nämlich über einen Darlehensvertrag mit verschiedenen Ost-Kommunen, denen die Treuhand 15% minus eine Aktie am VNG-Kapital zugestanden hat. In dem Vertrag soll festgelegt sein, daß der Ruhrgas VNG-Anteile zufallen, falls die finanzschwachen Ost-Kommunen ihre Rechte auf die Übernahme dieser Aktien nicht geltend machen. Ein Ruhrgas-Sprecher nannte "die offenbar von interessierter Seite in die Öffentlichkeit gebrachte Nachricht" eine Unterstellung und abwegig. Beim Abschluß eines Darlehensvertrags Ende August mit den Ost-Kommunen habe man sich an die Abstimmung mit dem Kartellamt gehalten (dpa, 21.10.; FAZ, 25.10.).
Das Kartellamt sieht dagegen, wie die Süddeutsche Zeitung (23.10.) berichtete, in dem Darlehensvertrag einen Bruch der von der Ruhrgas beim Erwerb ihres 35%igen Aktienpakets an der VNG im August 1990 gegebenen Zusage, keine weiteren VNG-Aktien zu erwerben. Die Kartellwächter stünden ab sofort auch nicht mehr hinter der Forderung der VNG, ihr Erdgas aus der Sowjetunion zum "Waidhaus-Preis" zu beziehen.
Die BASF-Gruppe hat inzwischen mit dem Bau einer Gasleitung begonnen, die von der tschechoslowakischen Grenze durch Sachsen und Thüringen bis nach Hessen verlaufen soll. Die Leitung ist Bestandteil eines geplanten europäischen Gasleitungsnetzes, das die BASF/Wintershall in Kooperation mit der Gazprom zur Vermarktung von Erdgas aus der Sowjetunion betreiben will. Sie verläuft annähernd parallel zu einer Gasleitung, welche derzeit für die Ruhrgas/VNG errichtet wird (FAZ, 2.10.).
Nach Meinung der Süddeutschen Zeitung (23.10.) geht es bei diesem "Erdgaspoker" gar nicht primär um die Versorgung der neuen Bundesländer: "Es wird vielmehr zwischen Ruhrgas und der Gruppe BASF-Wintershall um die Erdgasmärkte Europas gefightet. Und es sieht so aus, als ob die Essener Ruhrgas-Gruppe und ihr Satellit VNG die unschöneren Tricks darauf hätten."
Ähnlich Der Spiegel (14.10.): "Der Preis-Disput ist Teil eines Machtkampfes, den sich zwei finanzstarke westdeutsche Konzerne um das künftige Erdgas-Geschäft in Deutschland und in anderen europäischen Ländern liefern."
Das Handelsblatt (16.10.) fand es bedauerlich, "daß auf der ostdeutschen Ferngasstufe nicht verschiedene konkurrierende Gesellschaften ohne Gebietsabsprachen bei der Neuordnung von vornherein geschaffen worden sind". Das Blatt meinte weiter: "Die teilweise für die Öffentlichkeit schon fast ärgerlichen Auseinandersetzungen um die Anteile beim Monopolisten Verbundnetz Gas AG (VNG) wären überflüssig gewesen, wenn mehrere unabhängige Anbieter hätten zum Zuge kommen können. ... Die deutschen Kartellbehörden sind in den neuen Bundesländern jetzt besonders gefordert, damit die Gasverbraucher nicht durch einseitige Abhängigkeiten von einzelnen Anbieterkoalitionen benachteiligt werden."
Das PDS-Blatt Neues Deutschland (9.10.) argwöhnte, daß es letzten Endes darum gehe, den Status der Sowjetunion als Anbieter von Erdgas zu drücken: "Der Preiskampf spiegelt einen viel tiefer gehenden Konflikt wieder. Ruhrgas gehört letztlich der britisch-niederländischen Gruppe RoyalDutch/Shell sowie ESSO, einer Tochter der US-amerika-nischen EXXON. Diese beiden können kein Interesse daran haben, das größte Gasunternehmen der Welt, Gazprom, eigenständig auf dem deutschen und europäischen Markt agieren zu lassen. Die Sowjetunion soll wie eh und je Lieferant billiger Rohstoffe bleiben und so über kurz oder lang einen Dritte-Welt-Status erlangen."