November 1991

911109

ENERGIE-CHRONIK


Kontrollierte Kernfusion lieferte erstmals größere Energiemenge

Wissenschaftlern des "Joint European Torus" (JET) ist es am 9.11. zum erstenmal gelungen, bei einer kontrollierten Kernfusion eine bedeutende Menge an Energie freizusetzen. Beinahe zwei Sekunden lang erhitzten sie ein Plasma aus Deuterium und Tritium auf eine Temperatur von über 300 Mio.°C und setzten dabei eine Energie von etwa 1,7 MW frei. Um das Experiment in Gang zu setzen, mußte allerdings eine weitaus größere Energiemenge aufgebracht werden. Außerdem sind auf dem Wege zu einem funktionierenden Kraftwerk noch unzählige Detailprobleme zu lösen. Nach Ansicht von Fachleuten werden bis zur praktischen Nutzung der Kernfusion mindestens 50 Jahre vergehen. Schon jetzt gibt es Stimmen, die davor warnen, diesen Weg überhaupt zu beschreiten, weil die Verwendung des radioaktiven Tritiums bei der Kernfusion große Probleme aufwerfe (Welt, 11.11.; Blick durch die Wirtschaft, 12.11.; Spiegel, 18.11.).

Für die SPD ist das geglückte JET-Experiment "kein Anlaß zur Euphorie". Der SPD-Forschungsexperte Wolf-Michael Catenhusen kann sich angesichts der heutigen Probleme mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle aus Spaltreaktoren nur schwer vorstellen, "wie die umfangreichen radioaktiven Abfälle einer Fusionswirtschaft zu entsorgen wären". Die Kosten für das nächste Großprojekt der Kernfusion, den Internationalen Thermonuklearen Reaktor (Iter), würden bereits jetzt auf rund 17 Mrd. DM geschätzt. Die damit verbundene Verdoppelung der deutschen Aufwendungen für die Fusionsforschung sei "politisch unakzeptabel". Prof. Michael Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bezweifelte, ob die Bundesrepublik als Standort für das Iter-Projekt dienen könne, wie es vom Bundesforschungsministerium gewünscht wird, da sich das Genehmigungsverfahren hier sehr lange hinziehen werde (FR, 14.11., FAZ, 14.11).

Im Presseecho zum Erfolg der JET-Forscher wurde ebenfalls auf die lange Zeit bis zur möglichen praktischen Nutzung sowie auf die radioaktiven Risiken der Kernfusion hingewiesen. In der Zeit (14.11.) hieß es dazu: "Weil der massive Einsatz von strahlendem Tritium auch den Fusionsreaktor radioaktiv macht und das Arbeiten enorm erschwert, haben die Forscher bisher auf dessen Gebrauch verzichtet. Im neuesten JET-Experiment wurde erstmals in kleinen Mengen (etwas mehr als zehn Prozent des Brennstoffs) Tritium eingesetzt. Wie seit Jahrzehnten theoretisch erwartet, verlief der Fusionsprozeß dann auch praktisch besser als üblich - deshalb der Jubel vor den Fernsehkameras. Genau diese Tatsache jedoch, daß bei einer 'echten' Kernfusion in Zukunft vermehrt mit radioaktivem Tritium gearbeitet werden muß, wird die technischen Probleme verschärfen und die Kosten steil in die Höhe treiben. Vor allem aber würde dadurch der Traum von einer sauberen Energie ohne Entsorgungsprobleme zur Illusion."

Die Wirtschaftswoche (15.11.) umriß die gegensätzlichen Haltungen zur Nutzung der Kernfusion folgendermaßen: "Gegner der Kernenergie hoffen, daß es dazu nicht kommen wird. Fusionskraftwerke, so ihr Hauptargument, produzieren weitaus mehr radioaktiven Abfall als die heutigen Atommeiler, die Energie durch Kernspaltung erzeugen. Allerdings, so die Verfechter der Fusionsenergie, strahlt ihr Müll nur hundert Jahre lang, während Spaltungsabfälle Tausende Jahre lang gefährlich bleiben. Fusionsanlagen werden außerdem, verglichen mit heutigen Kraftwerken, gigantische Ausmaße haben und die Umgebung mit radioaktivem Tritium belasten. Dieser überschwere Wasserstoff läßt sich schwer zurückhalten, weil er nahezu jede Barriere überwinden kann. Mit Sauerstoff bildet Tritium zu allem Überfluß schweres Wasser, das mit der Nahrung aufgenommen wird. Eine Gefahr für Mensch und Tier: Sie werden von innen bestrahlt."

Die Süddeutsche Zeitung (14.11.) sprach von einem "Strohfeuer" und meinte: "Es gibt wenige Hinweise darauf, daß ein Fusionsreaktor, wenn es ihn denn geben sollte, wirtschaftlich sein könnte, aber viele Indizien dafür, daß es ein eher umweltunverträgliches Gerät sein würde. Für die Energiewirtschaft ist er deshalb belanglos."

In der Frankfurter Allgemeinen (13.11.) hieß es: "Jetzt wird man nach und nach Erfahrungen beim Umgang mit dem radioaktiven Tritium sammeln müssen. In der Forschungsphase wird dieser schwere Wasserstoff noch keine größeren Schwierigkeiten bereiten. Man kommt nämlich mit geringen Tritium-Mengen aus. Beim Dauerbetrieb in einem Reaktor stellen sich aber wegen der Bestrahlung der Gefäßwände und deren Aktivierung Fragen der Entsorgung, die möglichst frühzeitig beantwortet werden sollten. Von sauberer Energie kann man da nicht sprechen."