November 1992 |
921101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Vergleichsvorschlag des Bundesverfassungsgerichts im Streit um die Stromversorgung in den neuen Bundesländern hat noch zu keiner Einigung geführt. Nach zwei außergerichtlichen Treffen, die am 6.11. in Stuttgart und am 14.11. in Frankfurt am Main stattfanden, baten die Kommunen und die drei Verbund-EVU das Gericht um Verlängerung der Äußerungsfrist bis zum 20.12. Bis dahin soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe einen Kompromiß finden. Über den Stand der Verhandlungen wurde offiziell nichts verlautbart.
Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung (14.11.) bestehen RWE, PreussenElektra und Bayernwerk darauf, daß der Sachzeitwert der Anlagen zur Stromversorgung, die sie gemäß Vergleich an die Kommunen abzugeben hätten, mit dem Ertragswert der Beteiligung an den regionalen Energieversorgungsunternehmen verrechnet wird, welche die Kommunen im Gegenzug abzutreten hätten. "Dies lehnen die Kommunen aber ab. Weil die Ertragswerte niedriger seien als die Buchwerte, befürchten sie, zusätzlich Geld an die EVU zum Ausgleich der Differenz zahlen zu müssen." Ferner würden die Verbund-EVU verlangen, daß die Kommunen ihre Verfassungsbeschwerde zurücknehmen und bereits bestehende vertragliche Vereinbarungen der Verbund-EVU mit einzelnen Kommunen von der jetzigen Einigung unberührt bleiben (siehe auch 921001).
Wie die Wirtschaftswoche (20.11.) berichtet, hat das Bundesverfassungsgericht in einem Brief vom 10.11. seinen Vergleichsvorschlag dahingehend präzisiert, daß die kommunalen Stromversorgungsanlagen mit der Überlassung des Anteils an den regionalen Energieversorgern abgegolten wären.
Der Rheinische Merkur (20.11) bemerkte: "Im nachhinein wird deutlich, daß die Kommunen mit ihrem Anteil an den Regionalversorgern offenbar ein schlechtes Geschäft gemacht hätten, sonst würden die Energieriesen keine Nachzahlung verlangen. Daß die Konzerne ihren Kompromiß zudem mit der Forderung verbinden, die Kommunen mögen im Gegenzug ihre Verfassungsbeschwerde zurückziehen, läßt ihre Unsicherheit erkennen."
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vertritt die Auffassung, daß die kommunale Energiewirtschaft privatisiert werden müßte. In seiner Stellungnahme zum Neunten Hauptgutachten der Monopolkommission 1990/91 bezeichnete es der BDI als unzureichend, wenn die Monopolkommission in ihren Privatisierungsempfehlungen als Beispiele für einen Privatisierungsbedarf nur RWE und Bayernwerk nenne, an denen kommunale Gebietskörperschaften bzw. das Bundesland Bayern beteiligt sind. Das kommunale Engagement in der Energieversorgung lasse sich nicht mit dem Begiff der "Daseinsvorsorge" rechtfertigen. In Wirklichkeit gehe es den Kommunen darum, über die kommunale Strom- und Gasversorgung eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen und damit andere, defizitäre kommunale Bereiche zu subventionieren (Handelsblatt, 24.11.).
Die Frankfurter Allgemeine (10.11). nahm
die Auseinandersetzung um die Stromversorgung in den neuen Bundesländern
zum Anlaß, um für eine Privatisierung der kommunalen
Stromerzeugung zu plädieren: "Die Tatsache allerdings,
daß örtliche Kraftwerke sinnvoll und notwendig sind,
bedeutet nicht, daß sie Gemeinden gehören und von Gemeinden
betrieben werden müssen. Im Gegenteil, sie gehören in
private Hand; das westdeutsche Beispiel ist alles andere als optimal
und daher nicht nachahmenswert. Daher sollten die ostdeutschen
Gemeinden, die ein örtliches Kraftwerk haben wollen, die
örtliche Erzeugung und Verteilung von Strom Privaten überlassen.
Das gilt ebenso für die anderen Ver- und Entsorgungsleistungen
(Gas, Wasser, Abwasser, Nahverkehr, Müllabfuhr). Das erspart
ihnen das Einrichten von Stadtwerken und die Quersubventionierung
der defizitären Leistungen durch das lukrative Stromgeschäft.
... Noch haben die ostdeutschen Gemeinden die Chance, anders zu
verfahren als in Westdeutschland. Dem schlechten Beispiel sollten
sie nicht nacheifern. Dezentralisieren der Stromversorgung ist
gut. Dezentralisieren und Privatisieren ist besser."