Dezember 1993

931217

ENERGIE-CHRONIK


Mini-GAU zu Forschungszwecken erstmals künstlich herbeigeführt

Im französischen Kernforschungszentrum Cadarache haben Kernphysiker am 2.12. erstmals absichtlich eine Kernschmelze herbeigeführt, um den Verlauf eines "Größten Anzunehmenden Unfalls" (GAU) zu beobachten. In der Brennkammer des Forschungsreaktors "Phebus" wurden zehn Kilogramm angereichertes Uran-238 ohne Steuerstäbe so lange erhitzt, bis bei einer Temperatur von 2800 Grad die Ummantelung der Brennstäbe schmolz und radioaktive Spaltprodukte freigesetzt wurden. Der Versuch fand hinter einer vierfachen Schutzummantelung statt. Er wurde live ins benachbarte Pressezentrum übertragen und dort von Wissenschaftlern kommentiert. Sie verglichen ihr Experiment mit dem Unfall, bei dem 1979 das Kernkraftwerk "Three Mile Island" in Harrisburg nur knapp einer Katastrophe entgangen ist. In diesem Fall war allerdings der havarierende Teil fünftausendmal kleiner als bei einem normalen Kernkraftwerk. Die bis 1998 dauernde Testreihe mit insgesamt sechs Versuchen kostet rund 300 Millionen Mark und wird von der Europäischen Union mitfinanziert. Vor der Forschungsanlage protestierten Umweltschützer gegen den Test, der ihrer Ansicht nach "überflüssig" und "gefährlich" war (SZ, 3.12).