Dezember 1994

941202

ENERGIE-CHRONIK


Energiesteuer als Ersatzlösung für den Kohlepfennig in der Diskussion

Die Bundesregierung bedauerte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kohlepfennig (941201), äußerte sich aber erleichtert darüber, daß das Gericht davon abgesehen hat, den Kohlepfennig mit sofortiger Wirkung für nichtig zu erklären. Damit könne der 1995 auslaufende "Jahrhundertvertrag" ordnungsgemäß zu Ende geführt werden. Wie Kanzleramtsminister Friedrich Bohl erklärte, will sie das Urteil sorgfältig prüfen und danach unverzüglich Gespräche mit Gewerkschaften, Bergbauunternehmen und betroffenen Ländern aufnehmen, um für die Zeit ab 1996 eine tragfähige Verstromungsregelung zu finden.

Die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) sieht sich durch das Urteil in ihrem seit langem gehegten verfassungsrechtlichen Zweifel am Kohlepfennig bestätigt. Es sei zu hoffen, daß die Finanzierung der deutschen Steinkohle jetzt eine breitere Grundlage erhalte, meinte der VDEW-Vorsitzende Horst Magerl (DPA, 7.12.).

Der Veba-Vorstandsvorsitzende Ulrich Hartmann plädierte anläßlich eines Pressegesprächs in Essen für eine begrenzte Energiesteuer als Ersatz für den Kohlepfennig. Sie solle vor allem Heizöl und Gas belasten, nicht aber Kraftstoffe, die bereits sehr stark besteuert werden. Hartmann ist zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Ruhrkohle AG. Auch die Gewerkschaften IGBE und ÖTV sprachen sich erneut für eine Energiesteuer aus, um die Finanzierung der Steinkohleverstromung sicherzustellen. Dagegen lehnte der Esso-Vorstandsvorsitzende Jobst Siemer eine Energiesteuer strikt ab. Siemer erwartet, daß der Bundesfinanzminister die Subventionierung der Kohle durch Umschichtungen im Haushalt und den Abbau von Beihilfen ohne jede Steuererhöhung sicherstellt. Nach Meinung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) muß "sorgfältig geprüft werden, ob neue Energiesteuern ohne Schaden für den Standort eingeführt werden können" (FR, 14.12. u. 15. 12.; Handelsblatt, 9.12. u. 12.12.).

Kontroverse um Umfang der Subventionierung

Bundeswirtschaftsminister Rexrodt (FDP) äußerte am 8.12. gegenüber der ARD, daß nunmehr über eine Energiesteuer diskutiert werden müsse. Er sprach sich zunächst für eine "belastungsneutrale" Lösung aus, die den Verbraucher nicht mehr und nicht weniger belaste als bisher. Dagegen erblickte Rexrodts Parteifreund Otto Graf Lambsdorff im Urteil des Verfassungsgerichts "eine große Chance, über den Abbau von Kohlesubventionen" nachzudenken. Ähnlich äußerten sich die "Jungen Liberalen" und die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU. Die SPD verlangte eine unverzügliche Nachfolgeregelung ohne Abstriche und machte von einer befriedigenden Finanzierung der Steinkohleverstromung ihre Beteiligung an den von Rexrodt angekündigten Energiekonsensgespräche abhängig (SZ, 9.12.; FR, 10.12., DPA, 12,12.).

In der Haushaltsdebatte des Bundestags am 16.12. zog Rexrodt im Gegensatz zu seiner ersten Stellungnahme den bisherigen Umfang der Steinkohlesubventionierung in Zweifel. An die Opposition gewandt erklärte er: "Wer die Aufnahme der Energiekonsensgespräche von der Kohlesubventionierung abhängig macht, nährt den Zweifel, ob er den Konsens überhaupt will." Dagegen versicherte der CDU-Wirtschaftssprecher Rainer Haungs, daß die Bundesregierung an den Zusagen im Artikelgesetz festhalten werde (FR, 17.12.; Welt, 17.12.).

"Öffentliche Energiehilfen überprüfen"

Das Handelsblatt (8.12.) kommentierte: "Der Einstieg in eine allgemeine Energiesteuer kommt damit wesentlich früher als geplant. Auch das Stromeinspeisungsgesetz mit staatlich geregelten Sondervergütungen für regenerative Energiequellen dürfte verfassungswidrig sein; daher werden diese Hilfen in Zukunft gleichfalls aus dem öffentlichen Haushalt finanziert werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, daß eine Bestandaufnahme erfolgt: Die öffentlichen Energiehilfen müssen insgesamt überprüft werden."

Die Frankfurter Allgemeine (9.12.) meinte: "Ziel der Koalition muß es sein, die Subventionen für die Kohle weiter zurückzuführen. Die deutsche Steinkohle bleibt wegen ihrer hohen Kosten ohne Zukunft."

Die Stuttgarter Zeitung (10.12.) hält die gegenwärtigen Kohle-Subventionen ebenfalls für zu hoch: "Statt die Chance zu begreifen, die notwendige Reparatur an einer als verfassungswidrig erklärten Kohlepolitik für einen neuen Anfang zu nutzen, soll offenbar in den alten Gleisen weitergefahren werden. Dabei kann niemand bestreiten, daß deutsche Steinkohle viel zu teuer ist."

"Energiesteuer wäre keine Öko-Steuer"

In den Pressekommentaren wird betont, daß die jetzt diskutierte Energiesteuer keine ökologischen Überlegungen berücksichtigten würde. Nur die Wochenpost (15.12.) sieht durch das Verbot des Kohlepfennigs "die einmalige Chance für den überfälligen Einstieg in die ökologische Steuerreform". Dagegen wäre für die tageszeitung (9.12.) die sich jetzt anbahnende Energiesteuer "entökologisiert, und zwar nachhaltig". Auch für Die Zeit (16.12.) hat "das Modell jener Energiesteuer, die jetzt strapaziert wird, mit einem Einstieg in den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft nichts gemein". Für die Süddeutsche Zeitung (19.12.) wird durch die jetzt diskutierten Pläne für eine Energiesteuer "wieder einmal deutlich, wie absurd Energiepolitik in Deutschland sein kann: ëEnergiesteuerí zur Erhaltung der relativ umweltschädlichen Kohle - ja. Aber keine Energiesteuer, die der Umwelt nutzen soll. Das verstehe wer will."