Juli 1995

950709

ENERGIE-CHRONIK


Gutachter rütteln am "Sachzeitwert" für Übernahme des Stromnetzes

Nach Meinung von vier Wissenschaftlern aus Gießen, die im Auftrag des hessischen Umweltministeriums ein Gutachten erstellt haben, verlangen die Regionalversorger von den Kommunen überhöhte Preise, wenn sie nach Auslaufen eines Konzessionsvertrags für die Übernahme des Stromnetzes den sogenannten Sachzeitwert verlangen. In der 400seitigen Analyse wurden die Konzessionsverträge zwischen Kommunen und Stromversorgern in 26 hessischen, zwölf niedersächsischen und fünf bayerischen Fällen überprüft. Die vier Professoren vertreten die Ansicht, daß die Energieversorgungsunternehmen binnen zwanzig Jahren - was der Höchstdauer eines Konzessionsvertrages entspricht - sämtliche Kosten und Investitionen über die Strompreise erstattet bekommen. Der Verbraucher werde mithin doppelt belastet, wenn die Kommunen nach Auslaufen des Konzessionsvertrags das bereits abgeschriebene Stromnetz zu überhöhten Preisen kauften und die Kosten dafür erneut in den Strompreis eingingen. Kartellrechtlich könne es außerdem als "Wettbewerbsverhinderung" gesehen werden, wenn die Energieversorger für die Überlassung des Stromnetzes an die Kommunen zu hohe Übernahmepreise verlangten (Welt am Sonntag, 16.7.; FR, 17.7.; siehe auch 950411).

Für die Welt am Sonntag (16.7.) unterstreicht das Gutachten ein weiteres Mal die Notwendigkeit einer Liberalisierung des Strommarktes: "Der deutsche Strommarkt braucht Wettbewerb, und zwar schnell. Wenn es die Energieversorger schaffen, ihr Oligopol weiter zu zementieren, werden Privatisierungsbemühungen in anderen Bereichen wie Bahn und Post unterm volkswirtschaftlichen Strich zunichte gemacht."