Oktober 1995 |
951003 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Kernkraftwerk Obrigheim ist seit 27.10. wieder in Betrieb. Der baden-württembergische Umweltminister Harald Schäfer (SPD) hatte die anstehende Jahresrevision zum Anlaß umfangreicher Untersuchungen genommen, die sich besonders auf die "Sprödbruchsicherheit" des Reaktorbehälters erstreckten. Er gab seine Zustimmung zur Wiederinbetriebnahme, nachdem die sieben Gutachter mit großer Mehrheit zu der Ansicht gelangt waren, daß die Sicherheit des Kernkraftwerks ausreichend gewährleistet sei. An der Prüfung beteiligten sich die Technischen Überwachungsvereine (TÜV) Südwest und Nord, die Materialprüfungsanstalt Stuttgart, die Bundesanstalt für Materialprüfung, das Fraunhofer-Institut für Werkstoff-Mechanik, das Oak Ridge National Laboratory (USA) und das Darmstädter Öko-Institut. Dabei hielt lediglich das Darmstädter Öko-Institut den Nachweis der Sprödbruchsicherheit für nicht hinreichend erbracht.
Noch nie sei in Deutschland ein Kernkraftwerk so umfangreich durchleuchtet worden, erklärte Schäfer am 27.10. vor der Presse in Stuttgart. Aus den vorliegenden Gutachten ergebe sich, "daß nach heutigem menschlichem Erkenntnisvermögen nach dem internationalen Stand von Wissenschaft und Technik ein sprödes Versagen des Reaktordruckbehälters bis zum Ende der Betriebszeit (Zielvorstellung 2008) praktisch ausgeschlossen ist". Obwohl er persönlich weiterhin für den Ausstieg aus der Kernenergie sei, habe er aufgrund dieser Ergebnisse und der Rechtslage die Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerks genehmigen müssen (Stuttgarter Zeitung, 27.10.; SZ, 28.10.; siehe auch 950913).
"Eindeutiger hätte das Votum zugunsten des íSchrottreaktorsë, als den die Grünen Obrigheim seit Jahren attackieren, kaum ausfallen können", meinte die Stuttgarter Zeitung (27.12.). Auf Schäfers Geheiß sei Obrigheim einem Härtetest unterzogen worden, wie ihn wohl noch kein deutsches Kernkraftwerk bestehen mußte. Im positiven Ergebnis dieses Härtetests liege auch eine persönliche Tragik des SPD-Umweltministers: "Wider Willen hat er, der doch den Ausstieg erstrebt, der Atomlobby zu einer Bastion von unschätzbarem Wert verholfen. Strategisch ist das kleine Kernkraftwerk für die Stromkonzerne nämlich von großer Bedeutung. Wäre Obrigheim gefallen, so ihre Sorge, hätten sich die Anti-Atom-Aktivisten sofort den nächsten Reaktor vorgenommen - womöglich der Anfang vom Ende der Atomenergie in Deutschland."