November 1995 |
951104 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis
90/Die Grünen, Joschka Fischer, legte am 13.11. in Bonn ein
"Eckpunktepapier für ein neues Energiegesetz vor",
mit dem seine Partei die Energiewirtschaft entmonopolisieren und
dezentralisieren will. Danach werden Erzeugung, Transport und
Verteilung von Strom strikt getrennt. Die Vermittlung zwischen
Stromproduzenten, Netzbetreibern und Verbrauchern besorgen mehrere
staatliche "Pools", die exklusiv über An- und Verkauf
des Stroms entscheiden und zugleich die technische Funktion des
Lastverteilers übernehmen. Großverbraucher können
ihren Bedarf direkt beim Pool decken. Im übrigen obliegt
die Stromverteilung den Gemeinden bzw. deren Konzessionären,
die weiterhin geschlossene Versorgungsgebiete beliefern. Für
Strom aus regenerativen Energien und Kraft-Wärme-Kopplung
gewährt der Pool eine Preis- und Abnahmegarantie. Dagegen
wird Strom aus herkömmlichen Kraftwerken mit "ökologischen
Korrekturfaktoren" belegt und nur insoweit herangezogen,
als dies zur Bedarfsdeckung notwendig ist. Für Kernenenergie
wird ein besonderer "Gefährdungszuschlag" erhoben.
Um die Dezentralisierung auf kommunaler Basis zu fördern,
dürfen Stromverteiler ausnahmsweise auch in der Stromerzeugung
tätig werden, wenn die Kraftwerksleistung unter 10 MW liegt.
Der so erzeugte Strom darf überdies - unter Umgehung des
Pools - direkt an Unternehmen der Verteilerebene verkauft werden,
wenn er aus regenerativen Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung
stammt.
Die Grünen wollen so den Wettbewerb fördern und die
Position der Verbundunternehmen schwächen, die sich "mit
ihren überdurchschnittlichen Gewinnen aus der Monopolstruktur"
nunmehr auch der Telekommunikation, der Abfall- und Abwasserentsorgung,
des Bauwesens und des Verkehrs bemächtigen würden. Die
Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums für mehr Wettbewerb
seien dagegen hauptsächlich darauf ausgerichtet, industrielle
Großkunden möglichst preiswert mit Energie zu versorgen.
"Dieses Konzept würde nicht zu einer Ausweitung der
Teilnehmer am Markt führen, sondern über einen europäischen
Dumpingwettbewerb zu einer weiteren Konzentration von Marktmacht
und Monopolisierung", heißt es in dem Eckpunktepapier
(FAZ, 14.11., SZ, 14.11.; Handelsblatt, 14.11., FR, 14.11.).
"Wer im Namen von Wettbewerb die Monopole deregulieren
und die Energiewirtschaft entmonopolisieren will und gleichzeitig
auf Festpreis, Abnahmegarantie, ökologische Korrekturfaktoren
und staatlich beaufsichtigte Strompools setzt, der widerspricht
sich selbst", erklärte dazu der Hauptgeschäftsführer
der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Joachim
Grawe. Die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen
würden nicht zu mehr Wettbewerb führen, sondern auf
mehr Staat, mehr Regulierung und mehr Bürokratie hinauslaufen.
Sie seien offensichtlich nicht zu Ende gedacht. Unter anderem
ignorierten sie die Tatsache, daß bereits eine Vielzahl
von Wettbewerbselementen im Strom- und Gasmarkt vorhanden sind,
zum Beispiel durch unabhängige industrielle Stromerzeuger
und die Konkurrenz im Wärmemarkt.
"Handlungsbedarf zu einer Reform des Energiesektors gibt
es ohne Zweifel", meinte dazu die Süddeutsche Zeitung
(14.11.). Die Energiekonzerne verfügten über "prall
gefüllte Kassen, die ihnen kostspielige Ausflüge auf
andere Märkte wie etwa die Telekommunikation gestatten".
Das deute auf Monopolgewinne hin. Die Vorschläge von Bündnis
90/Die Grünen gingen jedoch in eine falsche Richtung: "Was
sich wie ein Ruf nach mehr Wettbewerb anhört, entpuppt sich
bald als das Gegenteil. In ihrem Konzept weisen die Grünen
dem Staat eine dominierende Rolle zu. Ein staatlich kontrollierter
'Pool' soll die Energiepreise künftig regional regeln. Er
würde festlegen, wer Strom ins Netz einspeist. Erneuerbare
Energien hätten dabei Vorrang. Der Übergang zur staatlich
gelenkten Energiewirtschaft wäre perfekt. Niemand kann das
wollen, weil eine zentrale Planungsstelle damit heillos überfordert
wäre."