Februar 1996

960201

ENERGIE-CHRONIK


Schröder will auf Öko-Steuern verzichten und stattdessen Mehrwertsteuer erhöhen

Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) hat sich am 13.2. vor der Landtagsfraktion seiner Partei gegen eine ökologische Steuerreform ausgesprochen. Die Idee sei zwar prinzipiell richtig, doch werde Deutschland gegenwärtig noch nicht einmal mit seinem alltäglichen Strukturwandel fertig, wie die rasante Vernichtung von Arbeitsplätzen zeige. Wörtlich sagte Schröder: "Es geht nicht mehr um den Umbau des Sozialstaates, es sind tatsächlich tiefe Einschnitte nötig." Wer in dieser Situation durch eine ökologische Steuerreform den Strukturwandel noch beschleunigen wolle, handele fahrlässig. Man müsse sich die ökologische Steuerrefom deshalb "für die nächsten Jahre abschminken" (DPA,13.2.).

Schröder wiederholte seine Absage an eine ökologische Steuerreform am folgenden Tag in einer Erklärung vor dem Landtag. Zugleich plädierte er für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, um eine Senkung der Lohnnebenkosten zu finanzieren. Mit beidem stieß er in seiner eigenen Partei wie auch bei Umweltorganisationen auf heftige Kritik. Unter anderen distanzierten sich der Parteivorsitzende Oskar Lafontaine, der Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping, die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis und der umweltpolitische Sprecher Michael Müller von Schröders Vorstellungen. Die SPD-Linke forderte die Absetzung Schröders als Wirtschaftssprecher der Partei. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) warf ihm "Verrat an sozialdemokratischem Gedankengut" vor (taz, 15.2.; SZ, 20.2.; Handelsblatt, 22.2.).

"Schröder hat recht" überschrieb die Frankfurter Allgemeine (19.2.) ihren Kommentar. Die Reaktionen zeigten, "daß in dieser Frage ein Riß durch die SPD geht".

Für die Süddeutsche Zeitung (19.2.) bleibt Schröder eine Antwort schuldig auf die eigentliche Frage, was grundsätzlich getan werden müßte, damit die Folgen des Strukturwandels in Deutschland in einem sozial erträglichen Rahmen gehalten werden können. Hinter seiner Taktik der "allzu einfachen Anworten" stecke die Erwartung, "daß der Problemstau der Politik über kurz oder lang auf den Zwang zu einer großen Koalition in Deutschland hinauslaufen wird".

Die Zeit (23.2.) stellte resignierend fest: "In der Krise sind Strukturreformen nicht möglich, weil die Wirtschaft vor zusätzlichem Anpassungsdruck geschützt werden soll; rauchen aber die Schornsteine wieder, sind Reformen - mangels Handlungsdrucks - nicht nötig."

IG Chemie befürchtet Verlust von Arbeitsplätzen

Nach Ansicht des Kölner Verfassungsrechtlers Prof. Jürgen Salzwedel würde die Einführung einer Öko-Steuer in bestimmten Industriezweigen eine Verlagerung der Produktion ins Ausland bewirken und so zum Verlust zahlreicher Arbeitsplätze führen. Sie laufe damit dem Sozialstaatsprinzip zuwider und verletze Grundrechte der betroffenen Beschäftigten, argumentiert Salzwedel in einer Studie, die die Stiftung Arbeit und Umwelt der IG Chemie, Papier, Keramik in Auftrag gegeben hat (FR, 2.2.).