April 1996 |
960409 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Vorfeld der "Castor"-Transporte, die Anfang Mai radioaktive Abfälle aus La Hague zur Zwischenlagerung nach Gorleben bringen sollen, verübten militante Gegner der Kernenergie im April wieder eine Serie von Anschlägen auf Bahnstrecken und andere Straftaten. So mußte am 9.4. die Bahnstrecke Hannover - Berlin drei Stunden lang gesperrt werden, weil Unbekannte mit einem Wurfanker die Oberleitung beschädigt hatten. Am 16.4. zerstörten rund 200 meist jugendliche Demonstranten den Schienenstrang zum Zwischenlager Gorleben, indem sie auf rund hundert Meter Länge das Gleisbett aushöhlten und zwanzig Bahnschwellen in Brand steckten. Die Polizei schritt nicht ein, weil sie "hoffnungslos unterbesetzt gewesen" sei. Als die Feuerwehr löschen wollte, wurde sie von den Demonstranten in aggressiver Weise daran gehindert.
Am 25.4. kam der Fern- und Nahverkehr zwischen Hannover und Göttingen durch eine bei Northeim abgelegte Bombenattrappe für drei Stunden zum Erliegen. Am 27.4. sprengten Unbekannte an der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg ein großes Loch in den Gleisunterbau, so daß ein mit mehreren Personen besetzter Schienenbus beim Passieren der Stelle ins Wanken geriet. Nach Ansicht der Staatsschutzes beim Landeskriminalamt Hannover, der die Ermittlungen übernahm, wäre eine schwere Lokomotive die Böschung hinabgestürzt. In der Nacht zum 29.4. fuhr auf der Bahnstrecke Herford - Altenbeken ein Arbeitszug der Bahn gegen ein aus Stahl- und Betonteilen errichtetes Hindernis. In derselben Nacht wurden an zwei Bahnstrecken bei Hannover und Göttingen Signalkabel durchtrennt (Hannoversche Allgemeine, 10.4.; FAZ, 18.4. u. 30.4.; siehe auch 951005, 951210 u. 960215).
Am 6.4. versammelten sich trotz eines Demonstrationsverbots rund tausend Kernkraftgegner zur "Aktion Frühjahrsputz" am Bahnhof Dannenberg. Ein Teil von ihnen besetzte die Schienen am Verladekran für die "Castor"-Behälter. Bevor es zu größeren Beschädigungen der Schienen kommen konnte, räumte ein Polizeiaufgebot die Gleise unter Einsatz eines Wasserwerfers. Nach Polizeiangaben wurden drei Demonstranten und ein Polizist verletzt, 25 Demonstranten seien vorübergehend festgenommen worden (SZ, 15.4.).
Nach Angaben des Landeskriminalamts Hannover kursiert innerhalb der Szene der "Castor"-Gegner eine Broschüre mit dem Titel "Wir stellen uns quer", in der nicht nur zu Sabotageakten aufgefordert werde, sondern auch genaue Anleitungen zur Herstellung von Sprengsätzen und Wurfankern sowie zum Lösen von Schwellenschrauben enthalten seien. Die anonymen Verfasser der Broschüre sehen "den Kampf gegen die Atommafia, wie er sich neuerlich gegen den Castor artikuliert, als Teil des Kampfes gegen das kapitalistische System" (FAZ, 30.4.).