April 1996

960410

ENERGIE-CHRONIK


Politiker von Grünen und PDS sehen in Aufrufen zur Gewalt nur "zivilen Ungehorsam"

Die beiden Bundestagsabgeordneten Elisabeth Altmann aus Bayern (Bündnisgrüne) und Eva Bulling-Schröter (PDS) unterzeichneten einen in der tageszeitung abgedruckten Aufruf, die Schienen vor dem Kernkraftwerk Gundremmingen "gewaltfrei und festlich zu demontieren", weil angesichts der Gefahren von Atomtransporten der Schutz des Lebens ein höheres Gut sei als der Schutz des Eigentums. In einer aktuellen Stunde des Bundestages wertete der rechtspolitische Sprecher der Union, Geis, dies als strafbare Aufforderung zu Sachbeschädigung und Landfriedensbruch. FDP-Generalsekretär Westerwelle sprach von einem "skandalösen Vorgang". Auch der SPD-Abgeordnete Kubatschka zeigte bei aller Kritik an der Kernenergie "kein Verständnis" für solche Aufrufe zur Gewalt. Der Grünen-Abgeordete Schlauch lehnte eine förmliche Distanzierung zwar ab, verwies aber darauf, daß die Abgeordnete Altmann nicht für die Fraktion der Grünen unterschrieben habe. Die PDS erklärte sich mit beiden Abgeordneten solidarisch und meinte, daß ein solcher "Aufruf zur begrenzten Rechtsverletzung" nicht zum Anlaß einer Kriminalisierung genommen werden dürfe (FAZ, 18.4.).

In der Nacht zum 18.4. warfen unbekannte Täter an den Kundenzentren der Hamburgischen Electricitäts-Werke in den Stadtteilen Eimsbüttel und Altona mehrere Scheiben ein. In Eimsbüttel verschütteten sie anschließend noch Buttersäure und hinterließen ein Paket mit Flugblättern "Stoppt Castor". Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag, Irene Fröhlich, billigte in einem Rundfunkinterview diese sowie andere Anschläge von Kernkraftgegnern als Ausdruck "zivilen Ungehorsams". Als sich daraufhin sogar Parteifreunde von ihr distanzierten, erklärte sie, das Interview habe ihre Ansicht "unzutreffend und verkürzt" wiedergegeben (DPA, 18.4.; Hamburger Abendblatt, 19.4.).

"Leute, die Gesetze brechen, sind nun einmal Kriminelle"

Die tageszeitung (20.4.) veröffentlichte zu den Anschlägen der Kernkraftgegner einen Kommentar, in dem Sibylle Tönnies, Professorin an der Fachhochschule Bremen, einerseits gewisse Sympathien für die Täter bekundete, andererseits aber doch klarstellte, daß diese im gesetzlichen Sinne Kriminelle sind: "Natürlich tut es den Atomkraftgegnern weh, wenn ihre Aktivisten im Wendland als Gesetzesbrecher und Kriminelle bezeichnet werden. Aber sie müssen hinnehmen, daß beide Bezeichnungen zutreffend sind. Es handelt sich um Sachbeschädigung und Transportgefährdung, wenn Schienen durchsägt und Schwellen verbrannt werden — um Gesetzesbruch also, like it or not. Und Leute, die Gesetze brechen, sind nun einmal Kriminelle."