Mai 1996

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ENERGIE-CHRONIK


Brüsseler Verhandlungen über europäische Strom-Richtlinie vor dem Durchbruch?

Die Energieminister der EU konnten sich auf ihrer Tagung am 7.5. in Brüssel noch nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt zur Liberalisierung des europäischen Strommarktes einigen. Dennoch sind die Verhandlungen nach Meinung von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) ein gutes Stück vorangekommen. Vor allem sei er sich inzwischen mit seinem französischen Kollegen Borotra weitgehend einig darüber, daß die Marktöffnung in den Mitgliedsstaaten gleichwertig vor sich gehen müsse und der Wettbewerb nicht unter Berufung auf Gesichtspunkte der "öffentlichen Versorgung" (service public) blockiert werden dürfe.

Allerdings lägen die Positionen von Bonn und Paris hinsichtlich von Schwellenwerten und des Tempos der Liberalisierung noch "erheblich auseinander", räumte Rexrodt ein. Auch der Kompromißvorschlag des italienischen EU-Ratsvorsitzenden habe in dieser Hinsicht keine gemeinsame Basis geboten. Die Verhandlungen über konkrete Zahlen würden bilateral weitergeführt, um den Inhalt der Richtlinie Elektrizität noch bis Ende Juni unter Dach und Fach bringen zu können (FR, 8.5.; Handelsblatt, 9.5.; SZ, 9.5.).

Italien hatte eine schrittweise Öffnung der nationalen Märkte innerhalb von neun Jahren vorgeschlagen. Dabei hätten zunächst nur Großkunden mit einem Jahresverbrauch von mindestens 40 Gigawatt die Möglichkeit, billigen Strom aus dem Ausland zu beziehen. In dreijährigen Abständen soll dann der Teilnehmerkreis des freien Strombinnenmarktes auf kleinere Stromkunden bis zu einem Mindestverbrauch von 10 Gigawatt ausgedehnt werden. So würden schrittweise 25 bis 40 Prozent des europäischen Strommarktes liberalisiert. Bonn möchte darüber hinaus eine Absenkung der Schwellenwerte auf 1 Gigawatt innerhalb von fünf Jahren erreichen. Dagegen geht für Paris die hier vorgeschlagene Liberalisierung nach Tempo und Umfang entschieden zu weit (SZ, 11.5.).

Union dringt auf spezielle Durchleitungsregelung bei Liberalisierung auf nationaler Ebene

Unabhängig von den Verhandlungen in Brüssel will Rexrodt am 2.7. im Kabinett seinen angekündigten Gesetzentwurf zur Liberalisierung der Energiewirtschaft auf nationaler Ebene einbringen (siehe 3/96). Der energiepolitische Sprecher der CDU/CSU--Bundestagsfraktion, Peter Ramsauer, kritisierte inzwischen, daß Rexrodts Entwurf keine ausdrückliche Durchleitungsvorschrift für Strom und Gas enthält. Damit bahnt sich über diesen Punkt, der bereits von Verband industrielle Kraftwirtschaft (VIK) kritisiert worden war, ein Konflikt innerhalb der Koalition an (Handelsblatt, 13.5.; SZ, 14.5.).

Liberalisierung birgt Probleme für Fernwärme

Für die Fernwärme-Erzeuger birgt die geplante Liberalisierung des europäischen Strommarktes erhebliche Risiken, weil sie das vielerorts erreichte Gleichgewicht der gemeinsamen Strom- und Wärmeerzeugung durch "falsch verstandenen Wettbewerb" gefährden und so die an Energieeinsparung und Umweltschutz orientierten Wärmeversorgungskonzepte stören könnte. Auf diesen Umstand machte am 7.5. die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Fernwärme e.V. (AGFW) in Leipzig aufmerksam (VWD, 7.5.).