Oktober 1997

971003

ENERGIE-CHRONIK


Rot-grüner Senat in Hamburg will Kernkraftwerk Brunsbüttel abschalten

Der neue Hamburger Senat wird auf die Abschaltung des Kernkraftwerks Brunsbüttel drängen. Darauf einigten sich am 24.10. in Hamburg die SPD und die Grün-Alternative Liste (GAL) bei ihren Koalitionsverhandlungen. Zur Begründung verweisen beide Parteien auf zwei Gutachten, die ergeben hätten, daß die Stromerzeugung mit Gaskraftwerken kostengünstiger sei als mit Kernkraftwerken. Der künftige Senat will sich diese Einschätzung noch von einem dritten Gutachten bestätigen lassen. Wenn auch dieses gegen die Wirtschaftlichkeit der Kernkraft spreche, werde der Senat seinen Einfluß bei den "Hamburgischen Electricitäts-Werken" (HEW) geltend machen, um die Abschaltung des Reaktors Brunsbüttel zu erreichen, kündigte SPD-Landeschef Jörg Kuhbier an (DPA, 24.10.; taz, 25.10.).

Die HEW betreiben gemeinsam mit PreussenElektra vier Kernkraftwerke. Der Siedewasserreaktor Brunsbüttel (771 MW) ist dabei das einzige, an dem sie mehrheitlich beteiligt sind (66 2/3 %). Die übrigen HEW-Beteiligungen betreffen die Kernkraftwerke Krümmel (50 %), Stade (33 1/3 %) und Brokdorf (20 %). Sollte es nach den Plänen der rot-grünen Koalition geht, würden die HEW den Gesellschaftervertrag mit PreussenElektra zum Jahr 2002 kündigen, um deren Anteil am KKW Brunsbüttel übernehmen und die Stillegung durchführen zu können.

Das Land Hamburg besitzt noch eine mehrheitliche Beteiligung von 50,2 % an den HEW, nachdem Anfang dieses Jahres ein Aktienpaket von 25,1 Prozent jeweils zur Hälfte an PreussenElektra und den schwedischen Energiekonzern Sydkraft verkauft wurde (siehe 970105). Auf Beschluß der Landesregierung mußten die HEW 1992 einen Passus in ihre Satzung aufnehmen, der sie zum Ausstieg aus der Kernenergie verpflichtet "so zügig, wie das rechtlich möglich und für die Gesellschaft wirtschaftlich vertretbar ist" (siehe 920411).

Nach Meinung der Welt (22.10.) würde eine Verwirklichung der Koalitionsvereinbarung über Brunsbüttel die HEW wirtschaftlich schädigen und mit Schadenersatzforderungen konfrontieren. "Was hier am rot-grünen Koalitionstisch ausgeheckt wurde, ist ein fatales Signal an die Wirtschaft, nicht nur in dieser Stadt, sondern in der gesamten Region, bei dem nicht die Pragmatiker, sondern die Ideologen den Ton angegeben haben."

Das Hamburger Abendblatt (24.10.) gab zu bedenken: "Soll das KK-Brunsbüttel stillgelegt werden, müßte der Strom aus anderen Quellen kommen. Die aber dürften teurer sein, zumal das 1977 in Betrieb genommene KKB abgeschrieben ist und mit etwa fünf Pfennig pro Kilowattstunde sehr preiswert liefert. Sollte der zugekaufte Strom nur zwei Pfennig teurer sein, wären das rund 60 Millionen Mark im Jahr mehr."

Für die tageszeitung (25.10.) könnte die Hamburger Vereinbarung "Modellcharakter für eine bundesweite Energiepolitik mit sozialdemokratischer und grüner Handschrift haben". Allerdings bedeute der jetzt gefaßte Koalitionsbeschluß noch nicht, daß das KKW Brunsbüttel im Jahr 2002 tatsächlich abgeschaltet werde.

Nach Meinung des Handelsblattes (23.10.) scheitert die Umsetzung des Beschlusses schon an einer satzungsmäßigen Zwickmühle: Durch den Erwerb des PreussenElektra-Anteils am KKW Brunsbüttel würden die HEW ihren Kernkraftanteil erhöhen und somit gegen ihr satzungsmäßiges Ziel eines Ausstiegs aus der Kernenergie verstoßen. Aber auch den Erwerb zum Zweck der Stillegung trage die Satzung nicht, da alle Maßnahmen zum Ausstieg aus der Kernenergie wirtschaftlich vertretbar sein müssen.