April 1999 |
990401 |
ENERGIE-CHRONIK |
Alte Stromversorgungsverträge, die noch vor Inkrafttreten der Energierechtsnovelle am 29. April 1998 abgeschlossen wurden, sind ganz oder teilweise nichtig, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Klauseln über Gebietsaufteilung, Kundenschutz und Gesamtbedarfsdeckung enthalten. Weder gibt es einen besonderen Bestandsschutz für alte Verträge noch lassen sich ihre wettbewerbsbeschränkenden Elemente angesichts der neuen Rechtslage als kartellrechtlich neutrale, dem Leistungsaustausch dienende "Vertikalabreden" interpretieren, wie sie in anderen Wirtschaftsbereichen grundsätzlich zulässig sind. - So sehen es die Richter am Landgericht Mannheim, die am 16.4. eine Klage der Energie Baden-Württemberg (EnBW) gegen die Stadt Waldshut-Tiengen zurückwiesen. Das Urteil ist von weitreichender Bedeutung für alle ähnlich gelagerten Fälle, in denen sich Stadtwerke vor Inkrafttreten des neuen Energierechts langfristig an Lieferanten gebunden haben. Allerdings bleibt abzuwarten, ob und wieweit die höheren Instanzen der Sichtweise des Landgerichts Mannheim folgen. Die EnBW hat bereits Berufung beim Oberlandesgericht angekündigt und wird voraussichtlich bis zum Bundesgerichtshof gehen (Berliner Zeitung, 17.4.; Handelsblatt, 19.4.).
Die Stadt Waldshut-Tiengen am Oberrhein hatte 1996 mit dem Badenwerk einen der früher üblichen Stromversorgungsverträge geschlossen, in dem die Partner gegenseitigen Gebietsschutz vereinbarten und die Stadt sich verpflichtete, ihren gesamten Strombedarf beim Badenwerk zu decken. Der Vertrag sollte mindestens zehn Jahre gültig sein. Nach Inkrafttreten des neuen Energierechts, das die kartellrechtlichen Ausnahmebestimmungen für die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen beseitigte, wechselte die Stadt jedoch zur Schweizer Aare Tessin AG als neuem Lieferanten. Zugleich kündigte sie den alten Vertrag mit der Begründung, daß er durch die Liberalisierung des Strommarktes kündbar geworden sei. Der EnBW-Konzern, zu dem das Badenwerk inzwischen gehört, bestand dagegen auf der weiteren Gültigkeit des Vertrages. Über das Badenwerk und die EnBW Energie-Vertriebsgesellschaft mbH ließ er eine entsprechende Feststellungsklage beim Landgericht Mannheim einreichen. Zugleich verweigerte er über die EnBW Transportnetze AG der Aare Tessin AG die Durchleitung der vereinbarten Strommengen an die Stadtwerke Waldshut-Tiengen (990215). Das Bundeskartellamt leitete deshalb ein Mißbrauchsverfahren ein (990307). Nach dem Mannheimer Urteil kündigte die EnBW an, daß sie die Durchleitungsverweigerung zurücknehmen werde.
Bei dem Prozeß vor dem Landgericht Mannheim ging es nicht darum, ob alte Stromversorgungsverträge anders zu behandeln seien als solche, die erst nach Inkrafttreten des neuen Energierechts abgeschlossen wurden. Die EnBW interpretierte vielmehr die in dem alten Vertrag enthaltene Abgrenzung der Versorgungsgebiete und die Gesamtbezugsverpflichtung als "Vertikalabrede", die dem kartellrechtsneutralen Leistungsaustausch zwischen den Vertragspartnern diene. Solche Vertikalvereinbarungen sind aufgrund des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zulässig und nur der Mißbrauchsaufsicht der Kartellbehörden unterstellt.
Die siebte Zivilkammer des Landgerichts Mannheim läßt dieses Argument aber nicht gelten: Das Verhältnis eines Stromerzeugers zu einem Weitverteiler sei etwas anderes als das Verhältnis zwischen dem Hersteller einer Markenware und seinem als Letztverbraucher tätigen Vertriebspartner. Bei Strom gebe es hinsichtlich der Qualität und des Images der Ware keine signifikanten Unterschiede, die es rechtfertigen würden, die besonderen Absatzbemühungen eines Weiterverkäufers durch Gebiets- und Kundenschutz zu honorieren. Der Bezug elektrischen Stroms sei ein faktisch unverzichtbares Element der Daseinsvorsorge. Abgesehen vom eventuell differierenden Preis sei es für den Letztverbraucher vollkommen unerheblich, von wem er den Strom geliefert bekomme. Die Wettbewerbsbeschränkungen in dem umstrittenen Stromversorgungsvertrag bezweckten deshalb nur die Fernhaltung von Konkurrenz. Generell würde eine Anerkennung solcher Marktaufteilungen das "gesetzgeberische Ziel verfehlen und es der Stromwirtschaft erlauben, durch den Abschluß vertikaler Lieferverträge die bislang umfassend praktizierte Marktaufteilung fortzuschreiben" (Aktenzeichen 7 O 372/98 (Kart.)).
Für die Berliner Zeitung (17.4.) stellt das Urteil eindeutig klar, daß die vom Gesetzgeber im April des vergangenen Jahres beschlossene Liberalisierung des Energiemarktes Leitcharakter hat und in vollem Umfang umzusetzen ist: "Für die zuvor noch unter Monopolbedingungen geschlossenen langfristigen Strom- und Gasbezugsverträge diverser Stadtwerke hat dies die Konsequenz, daß sie zumindest teilweise rechtswidrig sind und an die liberalisierten Marktbedingungen angepaßt werden müssen. Wird diese Anpassung verweigert, greift das Recht auf eine außerordentliche Vertragskündigung. Damit haben diejenigen unter den großen Stromkonzernen schlechte Karten, die ihrer Stammkundschaft bislang eine Anpassung der Lieferkonditionen unter Verweis auf das Vertragsrecht ("pacta sunt servanda") strikt verweigerten."
Die Stuttgarter Zeitung (17.4.) meinte: "Das Urteil aus Mannheim dürfte bei den deutschen Energieversorgern einem Blitzeinschlag gleichkommen. Niemand in der Branche hat ernsthaft damit gerechnet, daß an dem Prinzip 'Vertrag ist Vertrag' so grundlegend gerüttelt wird. ... Das Mannheimer Landgericht hat jetzt mit seinem Spruch den relativen Frieden in den nachmonopolistischen Zeiten aufgekündigt und endgültig zum Hauen und Stechen um alle Kunden geblasen."
Die Hannoversche Allgemeine (17.4.) sieht
als Folge des Urteils verstärkte Konkurrenz auf die EnBW
zukommen: "Bislang gefielen sich die Karlsruher in der Rolle
des Preisbrechers - allerdings nur außerhalb ihres
angestammten Versorgungsgebiets. .... Mit dem Gerichtsbeschluß
in der Hand wird sich alsbald so manch düpierter Wettbewerber
für die Dumping-Angebote aus dem Süden revanchieren."