Mai 2002

020502

ENERGIE-CHRONIK


Verbändevereinbarungen für Strom und Gas bis Ende 2003 rechtlich verankert

Der Bundestag verabschiedete am 17. Mai den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (001203). Der im Dezember 2000 vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf soll auch im Gasbereich einen transparenten und diskriminierungsfreien Netzzugang für Dritte ermöglichen. Er setzt mit erheblicher Verzögerung die EU-Richtlinie zur Öffnung der Gasmärkte (971202) in nationales Recht um, die bereits am 10. August 2001 in Kraft trat. Ein inzwischen von der EU-Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren (000814) dürfte sich damit erledigt haben.

Das neue Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet die Betreiber von Gasversorgungsunternehmen, die wesentlichen geschäftlichen Bedingungen für den Netzzugang zu veröffentlichen. Dazu zählen Preise, Tarifstrukturen, Netznutzung und aktuelle Netzkarten. Die Kapazitäten der Einspeisepunkte ins Gasversorgungsnetz und der Erdgasspeicher sollen regelmäßig auf dem neuesten Stand im Internet veröffentlicht werden. Die Gemeinden sollen Konzessionsverträge auch mit Gasversorgern abschließen können.

Auf Betreiben der Verbände der Strom- und Gaswirtschaft wurde in die Novelle nachträglich ein Passus aufgenommen, wonach die jeweiligen Verbändevereinbarungen zur Netznutzung als "gute fachliche Praxis" anzusehen sind (020207). Diese Vermutungsregelung soll den Verbändevereinbarungen zu größerer rechtlicher Verbindlichkeit verhelfen. Sie ist bis Ende 2003 befristet. Als Kompensation für die dadurch erschwerte Mißbrauchsaufsicht (020309) werden Entscheidungen der Kartellbehörden zur Durchleitung und zur Höhe der Netzentgelte mit sofortiger Wirkung ausgestattet.

Müller will "gegebenenfalls rasch nachsteuern"

In der Debatte erklärte Bundeswirtschaftsminister Werner Müller: "Es war der Wunsch der Verbände, das Instrumentarium der Verbändevereinbarung im Energiewirtschaftsgesetz zu verankern, um ein Stück mehr Verbindlichkeit zu erreichen. Im Klartext: Diejenigen, die sich an die mühsam ausgehandelte Verbändevereinbarung halten, sollen auch etwas davon haben. Ich habe Verständnis für dieses Anliegen, klarstellen muß ich allerdings, daß mit der vorgeschlagenen Formulierung keine grundlegenden Eingriffe in kartellbehördliche Zuständigkeiten verbunden sein sollten. Das Instrument der Mißbrauchsaufsicht hat sich bewährt und soll weiterhin die schwarzen von den weißen Schafen trennen. Die begrenzte Laufzeit der Verrechtlichung bis Ende 2003 ermöglicht es uns darüber hinaus, praktische Erfahrungen mit diesem Instrument zu sammeln und gegebenenfalls rasch nachzusteuern."

Für die Unionsfraktion warf Hartmut Schauerte der Koalition vor, mit der Verrechtlichung der Verbändevereinbarung eine "Beweislastumkehr zu Lasten des Bundeskartellamts" eingeführt zu haben. Dies sei "ordnungspolitisch ein unglaublicher Vorgang". Weiterhin warf er der Bundesregierung vor, die erzielten Liberalisierungsfortschritte durch eine "konsequente, brutale Preistreiberei zu Lasten der Verbraucher" teilweise verspielt zu haben. Heute seien etwa 41 Prozent der Kosten, die dem Verbraucher durch die Stromrechnung entstünden, staatlich bedingt. Die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Michaele Hustedt, hielt dem entgegen: "Die Preise steigen, weil die Stromkonzerne im Energiebereich steigende Gewinne einfahren."

Braunkohleschutzklausel entfällt

Weiterhin wird durch die Neuregelung die Braunkohleschutzklausel im Energiewirtschaftsgesetz abgeschafft, auf die sich der ostdeutsche Braunkohleverstromer VEAG berufen hatte, um Durchleitungen zu verweigern (000612, 011112). Die Schutzklausel wird nicht mehr für erforderlich gehalten, nachdem die zum Vattenfall-Konzern gehörenden Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW), denen inzwischen die Förderrechte an den Braunkohlengruben in der Lausitz gehören (020208), Zusagen für die langfristige Braunkohleverstromung gemacht haben.

Böge beklagt Umkehrung der Beweislast

Der Präsident des Bundeskartellamts, Ulf Böge, hat die Verrechtlichtung der Verbändevereinbarung erneut kritisiert. Damit werde es künftig deutlich schwieriger, Wettbewerbsbehindungen im Gas- und Strommarkt zu beanstanden, erklärte er gegenüber der "Financial Times Deutschland" (27.5.). Die Unternehmen könnten sich nun zur Rechtfertigung von Wettbewerbsbehinderungen darauf berufen, daß sie den Wortlaut der Verbändevereinbarung einhielten. "Unsere Arbeit wird schwieriger, weil die Kartellbehörden jetzt gegen die Vermutung andiskutieren müssen, die Einhaltung der Verbändevereinbarung schließe den Mißbrauch aus", sagte Böge. Die Vermutung der "guten fachlichen Praxis" bleibe zwar widerlegbar, doch werde die Beweislast den Kartellbehörden aufgebürdet.