Mai 2004

040502

ENERGIE-CHRONIK


Abschlußbericht: "Die Ursache des Stromausfalls in Italien lag in der Schweiz"

"Der Stromausfall wurde von Ursachen in der Schweiz ausgelöst. Auf die Anfangsphase beim Ablauf der Ereignisse hatten die italienischen Netzbetreiber keinen Einfluß." Zu dieser Feststellung gelangt ein abschließender Bericht über die Ursachen und Konsequenzen des großen Stromausfalls vom 28. September 2003, den die Union für die Koordinierung des Transports elektrischer Energie (UCTE) am 27. April veröffentlichte. Die UCTE bekräftigte damit die Feststellungen eines Zwischenberichts, den sie bereits im Oktober 2003 publizierte ( 031002) und der zum offenen Streit zwischen den Netzbetreibern der Schweiz, Italiens und Frankreichs geführt hatte (031101 u. 031202). Der Bericht offenbart zugleich Schwächen innerhalb des europäischen Verbundsystems, sobald extreme Stromverbrauchsschwankungen, wie sie durch die plötzliche Abtrennung Italiens entstanden, durch die Kraftwerke des gesamten Verbunds ausgeglichen werden müssen.

UCTE-System war nicht für liberalisierten Markt gedacht

Einleitend bemerkt der Bericht, daß das UCTE-System von seinem ursprünglichen Zuschnitt her nicht für den liberalisierten Markt mit seinen hohen grenzüberschreitenden Stromflüssen angelegt sei. Die Deregulierung des Marktes habe dazu geführt, daß die Netzbetreiber die vorgeschriebenen Sicherheitsreserven, die im wesentlichen unverändert blieben, unter Nutzung der computerisierten Techniken zur Netzsteuerung immer stärker ausgeschöpft hätten. - Insoweit darf sich auch die Schweiz bestätigt fühlen, die über unkontrollierte Stromflüsse geklagt hatte, die ihr Transportnetz überfordern (031101).

Entscheidende Fehler bei der Behebung einer normalen Netzstörung

Der Ausgangspunkt des Stromausfalls in Italien war jedoch eine normale Netzstörung, die mit den vorhandenen Mitteln zu beheben gewesen wäre, wenn der in Laufenburg sitzende schweizerische Netzkoordinator Etrans nach dem Ausfall der ersten 380-kV-Leitung, der sogenannten Lukmanier-Leitung zwischen Mettlen und Lavorgno (siehe Bild), richtig reagiert hätte. Vor allem hat er ignoriert, daß die benachbarte San-Bernadino-Leitung von Sils nach Soazza die durch den Ausfall bewirkte Überlastung nur für etwa 15 Minuten aufnehmen durfte. Erst nach zehn Minuten griff er zum Telefon, um den italienischen Netzbetreiber GRTN zur Reduzierung seiner Last um 300 MW aufzufordern. Diese Lastreduzierung, die GRTN nach weiteren zehn Minuten ausführte, war auch bei weitem nicht ausreichend. Stattdessen hätte der schweizerische Netzkoordinator die Abschaltung der italienischen Pumpspeicherkraftwerke verlangen müssen, die zu dieser nächtlichen Zeit im Pumetrieb liefen und dadurch nahe der Grenze zur Schweiz eine Last von 3500 MW verursachten. Außerdem gab es mit dem französischen Netzbetreiber keinerlei Abstimmung, obwohl schon im September 2000 anläßlich eines ähnlichen Vorfalls vereinbart worden war, daß sich alle drei Länder bei kritischen Zuständen ihrer grenzüberschreitenden Verbindungen per Fax verständigen.

Schutzmechanismus verhinderte Wiedereinschalten der Lukmanier-Leitung

Die zehn Minuten bis zur Kontaktaufnahme mit dem italienischen Netzbetreiber verstrichen vor allem deshalb ungenutzt, weil der schweizerische Netzkoordinator Etrans und der zuständige Transportnetzbetreiber Atel vergebens versuchten, die unterbrochene Leitung Mettlen - Lavorgno wieder in Betrieb zu nehmen. Ursache des Ausfalls war ein Erdschluß infolge von Baumberührung. Normalerweise hätte sich die Leitung wieder einschalten lassen, da der Stromüberschlag in der Regel die Äste verbrennt und damit die Ursache des Erdschlusses beseitigt. In diesem Fall verhinderte jedoch ein Schutzmechanismus das Wiedereinschalten, weil zwischen der Lukmanier-Leitung und dem Schweizer Netz eine Phasenwinkeldifferenz von 42 Grad bestand, die das eingestellte Limit von 30 Grad weit überschritt. Die ungewöhnlich hohe Phasenwinkeldifferenz wurde durch die enorme Ausdehnung des italienischen Netzes verursacht, das für Stromtransporte von den Alpen bis nach Sizilien eine entsprechend hohe Blindleistung erfordert.

Nach dem Ausfall der San-Bernardino-Leitung verlor Italien binnen Sekunden die Sychronisation

So kam es, daß 24 Minuten nach dem Ausfall der Leitung Mettlen - Lavorgno auch die Verbindung Sils - Soazza zusammenbrach. Ursache war auch hier wieder ein Erdschluß, der vermutlich durch die Überlastung der San-Bernardino-Leitung entstand, da sich die Leiterseile bei hohem Stromfluß erwärmen und tiefer durchhängen. Innerhalb von nur zwölf Sekunden verlor daraufhin das italienische Netz die Synchronisation mit dem UCTE-Netz, was automatisch die Abschaltung sämtlicher grenzüberschreitenden Verbindungen bewirkte. In dieser Phase der Instabilität gingen wegen des starken Spannungsabfalls mehrere Kraftwerke in Norditalien automatisch vom Netz.

Nach der Abkoppelung vom UCTE-Netz konnte Italien den Frequenzabfall durch die automatisch einsetzende Primärregelung sowie die Abschaltung von Pumpen und anderen Lasten kurzfristig bei 49 Hertz stoppen. Zugleich schalteten jedoch aus verschiedenen Gründen weitere Kraftwerke ab, weshalb zweieinhalb Minuten nach der Trennung die Frequenz auf 47,5 Hertz absackte und die gesamte Stromversorgung Italiens zusammenbrach.

Diese Grafik zeigt, wie durch die schlagartige Freisetzung der italienischen Importlast die Frequenz im UCTE-Netz auf 50,24 Hertz hochschnellte, um sich dann binnen einer Stunde wieder bei der Normalfrequenz von 50,0 Hertz einzupendeln. Im Ausschnitt oben rechts ist die Zeitspanne von dreieinhalb Minuten zu sehen, in der die automatisch einsetzenden Sekundärregelungen zunächst einen Wiederanstieg der Frequenz bewirkten, bis sie manuell außer Kraft gesetzt wurden.

UCTE mußte schlagartigen Leistungsüberschuß von 6700 MW "verdauen"

Mit dem Zusammenbruch der italienischen Stromversorgung entfiel die italienische Importlast von 6700 MW, wodurch die Frequenz im UCTE-Netz binnen vier Sekunden um 240 Millihertz hochschnellte. Aufgrund der automatisch einsetzenden Primärregelung stabilisierte sie sich dann binnen einer Minute bei einem Überschuß von 190 Millihertz. Sie kletterte dann aber in den folgenden dreieinhalb Minuten erneut nach oben, weil die ebenfalls automatisch einsetzenden Sekundärregelungen der Verbundpartner die Einhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage in ihrem jeweiligen Bereich anhand der vereinbarten Leistungsflüsse an den Kuppelstellen kontrollieren und dabei vergleichsweise hohe Frequenzabweichungen tolerieren. Die Sekundärregelungen wirkten deshalb einer sofortigen Aufnahme der überschüssigen Strommengen entgegen und ließen die Frequenz im UCTE-Netz wieder ansteigen, bis sie blockiert werden konnten. Solche manuellen Eingriffe gab es in den Regelblöcken B (Belgien), Centrel (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn), CH (Schweiz), D (Deutschland) und FEP (Frankreich, Spanien, Portugal).

Kritisch merkt der UCTE-Bericht an, daß viele Kraftwerke infolge der überhöhten Frequenz ihre Erzeugung verringert oder ganz vom Netz gegangen seien, ohne daß dies technisch verursacht oder begründbar gewesen sei. Vielmehr sei in diesen Fällen die normalerweise recht stabile UCTE-Frequenz als Kriterium verwendet worden, um anormale Betriebszustände wie die Unterbrechung der Verbindung zwischen Kraftwerk und Netz festzustellen. Solche Kontrollmechanismen seien problematisch, weil die dadurch ausgelösten Folgen in außergewöhnlichen Situationen den Systemerfordernissen zuwiderlaufen.

Aufgrund der Analyse des Stromausfalls will die UCTE ihr Betriebshandbuch aktualisieren und weitere Maßnahmen ergreifen, um eine Wiederholung zu verhindern.

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