Juli 2005

050703

ENERGIE-CHRONIK


Verbraucher befürchten künstliche Verteuerung des Stroms durch Mißbrauch des Emissionshandels

Der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) verfolgt "mit großer Sorge" Berichte über eine künstliche Verteuerung des Strompreises an der Leipziger Strombörse EEX durch Missbrauch des CO2-Zertifikathandels. "Wenn sich der Vorwurf erhärtet, dass die Erzeuger das umweltpolitische Instrument des Zertifikathandels missbrauchen, um Mitnahmeeffekte auf Kosten der Verbraucher zu erzielen, besteht dringender politischer Handlungsbedarf", erklärte die vzbv-Vorsitzende Edda Müller am 21. Juli.

"Es hat den Eindruck, als ob die Stromkonzerne Einnahmeausfälle durch die Regulierung der Netzentgelte durch künstlich erhöhte Erzeugerpreise vorbeugen wollen", sagte Edda Müller. Die Zeche für diese künstliche Verteuerung des Strompreises zahle der Haushaltskunde. Da bei Einführung des CO2-Zertifikathandels die Erzeuger kostenlos mit ausreichenden Zertifikatmengen bis 2007 ausgestattet wurden und bis jetzt auch noch kein nennenswerter Handel stattfinde, dürfe der Emissionshandel keine Auswirkungen auf die Kosten der Stromproduktion haben. Der vzbv habe deshalb Bundesumweltminister Trittin um Aufklärung gebeten.

Bereits im Mai sah der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) einen auffälligen Zusammenhang zwischen den steigenden Preisen für CO2-Zertifikate und dem erneuten Anstieg der Strompreise an der EEX (050505). Der Chef der Norddeutschen Affinerie, Werner Marnette, bezeichnete die EEX im Juni als einen Ort, an dem die Stromversorger ihren Strom "preislich hoch veredeln" ließen (050603).

Werden aus fiktiven Zertifikate-Kosten reale Belastungen der Strompreise?

Eigentlich dürften die Preise für CO2-Zertifikate keine Auswirkungen auf den Strompreis haben, da die Stromversorger hinreichend mit Gratis-Zertifikaten versorgt wurden, die ihre aktuellen CO2-Emissionen abdecken. Auch dann, wenn sie infolge Mehrproduktion einen gewissen Mehrbedarf an Emissionsrechten hätten, würden diese Zukäufe die Stromgestehungskosten nur in entsprechend geringem Maße beeinflussen. Anscheinend läßt die Branche aber die weitgehend fiktiven Börsenpreise für CO2-Zertifikate als reale Belastung in die Strompreise miteinfließen. Wie dies vor sich gehen könnte, erklärte die "Frankfurter Rundschau" (18.7.) anhand des folgenden Beispiels:

"Ein Kraftwerk kann 1000 Kilowattstunden zum Preis von jeweils drei Cent anbieten, weil es dafür die notwendigen Emissionszertifikate vorliegen hat. Für jede Kilowattstunde darüber hinaus muss der Betreiber aber Emissionsrechte für einen Cent zukaufen; er bietet diese Kilowattstunde daher für vier Cent an. Da nach Börsenlogik gleiche Produkte zu einem bestimmten Zeitpunkt immer zum gleichen Preis verkauft werden, muss in diesem Beispiel für alle 1001 Kilowattstunden der gleiche Preis gelten - und das sind eben die vier Cent je Kilowattstunde.
Für den Stromerzeuger ist das ein attraktives Geschäft, weil er so Zusatzerlöse einfährt. Dahinter steckt eine Logik, die übrigens auch dem Aktienhandel zugrunde liegt: Wenn nur eine einzige Aktie eines Unternehmens zu einem bestimmten Kurs den Besitzer wechselt, geht man davon aus, dass jede Aktie der Firma diesen Wert hat."

Börsen-Strompreise kletterten ohne nachvollziehbare Gründe nach oben

Die Strombörse EEX ist bereits mehrfach verdächtigt worden, nicht im Sinne des Wettbewerbs zu funktionieren, sondern aufgrund ihrer mangelnden Transparenz und der Enge des Marktes den großen Stromkonzernen die Möglichkeit zu bieten, die Strompreise nach oben zu treiben. Der Anlaß waren jeweils ungewöhnlich starke Preisanstiege am Spotmarkt im Dezember 2001 (020105), im Juni 2002 (020814) und im August 2003 (030804). Auch am Terminmarkt stiegen die Preise ohne hinreichenden sachlichen Grund, weshalb der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft der Preisbildung an der EEX grundsätzlich mißtraute (040710) und es für "mehr als fraglich" hielt, wenn der Börsenpreis als alleinige Referenz für Stromangebote benutzt werde (040920).

Preis für Emissionszertifikate verdreifachte sich in fünf Monaten, obwohl kaum ein Handel stattfand

Anfang 2005 schossen die Preise an der EEX erneut in die Höhe, ohne daß dies mit realen Marktfaktoren wie der Verteuerung von Öl, Gas oder Kohle hinreichend erklärt werden konnte. Die Entwicklung der Strompreise zeigte dabei eine erstaunliche Parallelität zur Entwicklung des neuen "European Carbon Index", der als Referenzpreis für den europaweiten Handel mit CO2-Zertifikaten seit Oktober 2004 an der EEX notiert wird (050505). Bis Ende Februar 2005 pendelte dieser Index mit geringfügigen Abweichungen um den Anfangswert von 8,72 Euro pro Tonne Kohlendioxid, um dann fast ununterbrochen in die Höhe zu schießen: Im März lag die höchste Tagesnotierung bei 14,78, im April bei 17,62, im Mai bei 19,84, im Juni bei 24,23 und im Juli bei 29,3. In nur fünf Monaten hatte sich damit der Zertifikatspreis mehr als verdreifacht, obwohl bei der Einführung des CO2-Zertifikathandels die betroffenen Anlagenbetreiber kostenlos mit ausreichenden Zertifikatmengen bis 2007 ausgestattet wurden und bislang überhaupt noch kein nennenswerter Handel mit Zertifikaten stattfindet (nach Angaben des Umweltbundesamts wurden bis Juni lediglich 1,6 Prozent der Emissionsberechtigungen gehandelt).

"Mehr als zehn Milliarden Euro werden den Stromunternehmen geschenkt"

In einer Pressemitteilung vom 8. Juni rechnete der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) vor, daß durch die Börsenwertsteigerung der kostenlos verteilten CO2-Zertifikate bis zum Ende der ersten Emissionshandelsperiode 2007 "voraussichtlich mehr als zehn Milliarden Euro aus den Taschen aller Stromkunden gezogen und den Stromunternehmen geschenkt" würden (wobei der VIK einen Zertifikatspreis von "nur" 20 Euro pro Tonne Kohlendioxid zugrundelegte). Schuld daran sei "ein vielleicht unbeabsichtigter Systemfehler des EU-Emissionshandels". Es könne nicht hingenommen werden, dass Stromunternehmen trotz kostenlos zugeteilter CO2-Emissionszertifikate deren hohen Börsenpreis als Windfall-Profits in den Strompreis einkalkulieren könnten. Nur solche Zertifikate dürften bei der Strompreiskalkulation eine Rolle spielen, die auch für die Produktion zugekauft werden müssten. Der Verband riet allen industriellen und gewerblichen Stromkunden, bei Strompreisverhandlungen auf einem Nachweis der enthaltenen CO2-Kosten zu bestehen.

VDEW verweist auf noch stärkeren Preisanstieg an anderen Strombörsen

Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) verwies am 25. Juli darauf, daß die Großhandelspreise für Stromlieferungen im Jahr 2006 im ersten Halbjahr 2005 an allen europäischen Strombörsen stark angezogen hätten. Am Terminmarkt in den Niederlanden sei der Börsenpreis für die Megawattstunde Grundlaststrom, der im Jahr 2006 geliefert wird, bis Juni 2005 sogar auf 49 Euro geklettert, was gegenüber Januar 2005 (38 Euro) einen Anstieg um 29 Prozent ausmache. In Skandinavien sei der Großhandelpreis für das entsprechende Stromprodukt um fast 27 Prozent von 26 auf auf 33 Euro gestiegen. An der Börse in Paris habe sich der Preis um 23 Prozent von 34 auf knapp 42 Euro erhöht. Dagegen sei an der deutschen Strombörse eine Megawattstunde Grundlaststrom für 2006 im Juni 2005 im Mittel zu 41 Euro gehandelt worden. Im Vergleich mit 34 Euro im Januar 2005 sei das eine Zunahme um gut 20 Prozent und damit der geringste Preisanstieg unter allen europäischen Strombörsen.

Neue Energieanbieter fordern EEX zu mehr Transparenz auf

Der Bundesverband Neuer Energieanbieter (bne) fordert die EEX am 26. Juli zu mehr Transparenz auf. Überall würden die Börsenteilnehmer mehr ins Geschehen einbezogen als in Leipzig. Die Marktsituation werde sich zum Positiven entwickeln, wenn marktrelevante Informationen wie Netzlasten und Erzeugungskapazitäten endlich allen Marktteilnehmern zeitgleich zur Verfügung gestellt würden. Wichtig wäre, dass im Spotmarkt die anonymisierte Zusammenstellung der offen gebliebenen Volumen pro Preisstellung, die „spot curve“, und das Handelsvolumen insgesamt sowie das der drei größten Händler veröffentlicht wird. Im Terminmarkt sei die Bekanntgabe der Market Maker, ihrer quotierten Produkte und der mit der Börse vereinbarten Preisspreizungen nötig sowie die umgehende Information aller Teilnehmer, wenn die EEX die Market Maker aufgrund außergewöhnlicher Marktsituationen von den vereinbarten Verpflichtungen befreit. Diese Punkte hätten sich bei Nord Pool, APX und Powernext bewährt. Powernext gebe zusätzlich Auskunft über den durchschnittlichen Marktanteil der drei bis fünf aktivsten Marktteilnehmer und bei Nord Pool stünden die Market Maker, ihre Produkte und Vereinbarungen mit der Börse genauso im Internet wie die aktuellen Netzkapazitäten.