April 2006 |
060402 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nur ein mageres Ergebnis erbrachte der im Januar angekündigte nationale"Energiegipfel"
(060104), zu dem die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
am 3. April die wichtigsten Vertreter von Energiewirtschaft und Industrie ins Kanzleramt
eingeladen hatte. Merkel will nun in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres
ein energiepolitisches Gesamtkonzept vorlegen, das bis zum Jahr 2020 reicht. Zu diesem
Zweck werden drei Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich mit nationalen und internationalen
Aspekten der Energieversorgung sowie Fragen der Energieforschung und -effizienz befassen.
Dem Gipfel im Kanzleramt soll noch in diesem Jahr ein zweites Treffen folgen.
Die vier großen Stromkonzerne sicherten zu, bis 2012 mehr als 30 Milliarden
Euro in neue Kraftwerke und Netze zu investieren. Diese Zusicherung betrifft allerdings
ohnehin geplante Investitionen (060112) und bleibt
im übrigen unverbindlich. Sie besitzt vor allem deklamatorischen Charakter und
war bereits im Vorfeld des Gipfels ausgehandelt worden. Die Stadtwerke wollen in ihrem
Bereich15 Milliarden Euro ausgeben. Die Vertreter der erneuerbaren Energien sprachen
sogar von Investitionen zwischen 33 und 40 Milliarden Euro.
Noch kurz vor dem Gipfel im Kanzleramt beschloß die Unionsfraktion am 3. April ein Positionspapier, in dem sie die Kernkraft als unverzichtbar bezeichnete. Das FDP-Präsidium veröffentlichte am selben Tag ein Grundsatzpapier, wonach die bestehenden Kernkraftwerke so lange betrieben werden sollen, "wie ihr Betrieb den Sicherheitskriterien entspricht und genehmigungsfähig ist". Demgegenüber betonte die SPD, daß sie an den Vereinbarungen zur Kernenergie im Koalitionsvertrag nicht rütteln lasse (051102). Bei dem kurz darauf stattfindenden Treffen stand die Kernernergie nicht zur Debatte. Die Kernkraftwerksbetreiber bekräftigten allerdings ihre Absicht, für solche Kernkraftwerke, die normalerweise in dieser Legislaturperiode das Ende ihrer Laufzeit erreichen würden, die Übertragung von Reststrommengen von jüngeren auf ältere Anlagen zu beantragen. Nach dem Atomgesetz ist dies nur mit Zustimmung der Bundesregierung möglich (051001). Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ließ bereits erkennen, daß er diesen Anträgen nicht zustimmen will. Vermutlich bezwecken die Anträge der Kernkraftwerksbetreiber deshalb vor allem die Herbeiführung eines Rechtsstreits, der die Abschaltung der Kernkraftwerke über das Ende der Legislaturperiode hinaus verzögert.
Weitere Teilnehmer der Runde im Kanzleramt waren seitens der Bundesregierung Kanzleramtsminister
Thomas de Maizière (CDU), Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Forschungsministerin
Annette Schavan (CDU). Für die Strom- und Gaskonzerne erschienen die Vorstandsvorsitzenden
Wulf Bernotat (E.ON), Harry Roels (RWE), Klaus Rauscher (Vattenfall Europe), Utz Claassen
(EnBW) und Klaus-Ewald Holst (Verbundnetz Gas). Die Stadtwerke vertrat VKU-Präsident
Gerhard Widder (da offiziell keine Verbandsvertreter eingeladen waren, figurierte
Widder auf der Gästeliste als Aufsichtsratsvorsitzender der MVV Energie AG).
Für die erneuerbaren Stromerzeuger sprachen Frank Asbeck (SolarWorld), Ulrich
Schmack (Schmack Biogas) und Aloys Wobben (Enercon).
Die Interessen der stromverbrauchenden Industrie repräsentierten die Vorstandsvorsitzenden
Wilhelm Bonse-Geuking (Deutsche BP), Jürgen Hambrecht (BASF), Klaus Kleinfeld
(Siemens), Ekkehard Schulz (Thyssen-Krupp), Heinz-Peter Schlüter (Trimet Aluminium),
Martin Viessmann (Viessmann Werke) und Dieter Zetsche (DaimlerChrysler). Mit am Tisch
saßen ferner Volker Hauff (Rat für Nachhaltige Entwicklung), Stephan Kohler
(Deutsche Energieagentur), Edda Müller (Verbraucherzentrale Bundesverband), Klaus
Töpfer (UN-Umweltprogramms Unep) und Joachim Treusch (Forschungszentrum Jülich).
Auf Antrag der Grünen diskutierte der Bundestag am 6. April im Rahmen einer "Aktuellen Stunde" über den Energiegipfel. Die Abgeordnete Renate Künast (Grüne) kritisierte ihn als "mediale Inszenierung" mit eher dünnen Ergebnissen. "Vertreten waren die Besitzstandswahrer der Energiewirtschaft, die vier großen Monopolisten, aber wenige Verbraucher und überhaupt keine Umweltgruppen." Die Bundesregierung helfe so den Kraftwerksbetreibern, weiterhin große Profite zu machen, während die Stromrechnungen der Verbraucher weiter steigen. Die Grünen würden darauf bestehen, daß bei der nun anstehenden Beschlußfassung über den zweiten Allokationsplan zehn Prozent der Zertifikate versteigert anstatt kostenlos zugeteilt werden. Man dürfe sich nicht von den großen Wirtschaftsunternehmen "erpressen" lassen.
Hans-Josef Fell (Grüne) zeigte sich ebenfalls "gespannt, ob Sie in Zukunft den Anstieg der Gewinne der Energiekonzerne durch kostenlose Emissionszertifikate endlich stoppen werden und den Mut haben, in ein Versteigerungsverfahren einzusteigen, anstatt wie bisher die Zertifikate zu verschenken". Durch die "Hängepartie beim Atomausstieg" behindere die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien, "denn wenn Sie an der Atomenergie festhalten und es zulassen, dass neue fossile Kraftwerke gebaut werden, dann wird das Volumen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Nutzung von Effizienzmöglichkeiten verringert".
Für die FDP bezeichnete Gudrun Kopp den Energiegipfel als "selbsttherapeutischen Gesprächskreis", der keine Substanz erkenne lasse. Unter anderem seien die Vorgaben für den zweiten Allokationsplan weiterhin völlig offen. Man könne es sich nicht leisten, noch weitere zwei Jahre auf ein energiepolitisches Gesamtkonzept zu warten. Die FDP-Bundestagsfraktion habe deshalb in dieser Woche ein energiepolitisches Grundsatzpapier verabschiedet, das "zukunftsweisend" sei.
Hans-Kurt Hill von der Linkspartei nannte die Zusagen der Kraftwerksbetreiber eine Mogelpackung, weil die versprochenen Investitionen schon lange vor dem Energiegipfel geplant gewesen seien. Da die neuen Kraftwerke nur mit einem Viertel des Personals auskämen, würden auch keine neuen Arbeitsplätze entstehen. Schon bisher hätten allein EnBW und RWE 14000 Mitarbeiter entlassen.
Für die SPD bekräftigten Rolf Hempelmann, Frank
Schwabe, Rainer Tabillion und Christoph
Pries, daß ihre Partei auch in der jetzigen Regierungskoalition am Atomausstieg
festhalten werde. Christoph Pries forderte die Kernkraftwerksbetreiber auf, endlich
einzugestehen, daß sie die Verlängerung der Laufzeiten lediglich aus Profitgründen
anstrebten: "Die Meiler sind längst abgeschrieben, die Betriebskosten gering,
und die Gewinnmargen wären sensationell, wenn die Reaktoren länger laufen
dürften." Die anhaltende Diskussion über eine Verlängerung der
Laufzeiten der Atomkraftwerke behindere die dringend benötigten Zukunftsinvestitionen
im Energiesektor.
Die Unionsabgeordneten Franz Obermeier, Katherina
Reiche und Philipp Mißfelder sahen die von Angela Merkel
geführte Bundesregierung auf dem richtigen Weg in der Energiepolitik. Den Grünen
warfen sie vor, zu Zeiten ihrer Regierungsbeteiligung eine "ideologiegeprägte"
Energiepolitik betrieben und den mangelnden Wettbewerb in der Stromwirtschaft mit
verschuldet zu haben.
Die vom Thema unmittelbar betroffenen Minister Glos (Wirtschaft) und Gabriel (Umwelt)
waren nicht anwesend, da Glos in den USA weilte und Gabriel einen Termin vor dem Haushaltsausschuß
hatte. Ein Antrag des grünen Abgeordneten Volker Beck,
wenigstens Gabriel herbeizuzitieren, wurde von der Mehrheit des Plenums abgelehnt.
Anstelle der beiden Minister verteidigten die parlamentarischen Staatssekretär
Hartmut Schauerte (CDU) und Michael
Müller (SPD) den Energiegipfel. Schauerte verwies auf die Einrichtung der drei
Arbeitskreise, deren Ergebnisse die Bundesregierung bis 2007 in ein energiepolitisches
Gesamtkonzept einbeziehen werde. Der Energiegipfel sei "als Auftakt einer Debatte
über die mittel- und langfristige Energiepolitik gedacht". Müller appellierte
an die Grünen, nicht die "Schlachten von gestern" zu schlagen, sondern
die anstehenden Probleme mit lösen zu helfen: Mehr Energieeffizienz, schnellere
Entwicklung der erneuerbaren Energien, Vorangehen beim Klimaschutz und Sicherung der
Energieversorgung im Sinne einer "Energieaußenpolitik".