März 2007 |
070303 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Bundesumweltministerium will die von RWE beantragte Verlängerung der Laufzeit für den Reaktor Biblis A ablehnen. "Der RWE-Antrag widerspricht sowohl dem Atomgesetz als auch der von den Energieversorgungsunternehmen am 14. Juni 2000 mit der Bundesregierung abgeschlossenen Vereinbarung", erklärte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) am 9. März. RWE habe jetzt vier Wochen Zeit, zu dem vorläufigen Ablehnungsbescheid Stellung zu nehmen. Daraufhin werde die endgültige Entscheidung ergehen.
Erwartungsgemäß ergab die Prüfung des Bundesumweltministeriums, daß die von RWE beantragte Übertragung einer Reststrommenge aus dem Kontingent für Mülheim-Kärlich auf Biblis A überhaupt nicht anwendbar ist, weil das Atomgesetz in § 7 Abs. 1d in Verbindung mit Anlage 3 ausdrücklich vorsieht, daß die für Mülheim-Kärlich zugestandene Reststrommenge nur auf die Kernkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2, Isar 2, Brokdorf, Gundremmingen B und C sowie bis zu einer Elektrizitätsmenge von 21,45 Terawattstunden auf Biblis B übertragen werden darf. Eine zustimmungsfreie Übertragung von Restlaufzeiten läßt das Atomgesetz im übrigen nur zu, wenn dadurch die Laufzeit älterer Anlagen verkürzt wird (060901).
Den ersatzweise gestellten RWE-Antrag, die beantragten 30 Terawattstunden vom Kontingent des Kernkraftwerks Emsland auf Biblis A zu übertragen (das dann wiederum aus dem Kontingent für Mülheim-Kärlich aufgestockt werden könnte), will das Bundesumweltministerium weiter prüfen. Da Emsland jünger als Biblis A ist, bedarf es hierzu ebenfalls einer Genehmigung für die Übertragung, die Gabriel offenbar von Sicherheitskriterien abhängig zu machen gedenkt. Wie es in der Pressemitteilung seines Ministeriums hieß, habe man "RWE mehrfach aufgefordert, aussagekräftige Dokumente für eine vergleichende Sicherheitsanalyse der Atomkraftwerke Biblis A und Emsland vorzulegen".
Ungeachtet der eigentlich eindeutigen Rechtslage nahm die RWE Power AG den vorläufigen Ablehnungsbescheid "mit großem Unverständnis" zur Kenntnis und behauptete, einen Rechtsanspruch auf die Übertragung zu haben, den sie bei endgültiger Ablehnung des Antrags gerichtlich durchsetzen werde.
Anscheinend haben die drei Kernkraftwerkbetreiber RWE, EnBW und Vattenfall ein gemeinsames Vorgehen vereinbart, um die Stillegung ihrer jeweils ältesten Kernkraftwerke Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel zu verhindern, die nach Abarbeitung der im Atomgesetz festgelegten Reststrommengen voraussichtlich noch in dieser Legislaturperiode vom Netz gehen müssen (siehe Tabelle). Jedenfalls beantragte der Vattenfall-Konzern am 6. März beim Bundesumweltministerium, 15 Terawattstunden aus dem Kontingent für Mülheim-Kärlich auf sein Kernkraftwerk Brunsbüttel übertragen zu dürfen. Da Vattenfall nicht über das Kontingent von RWE verfügen kann, muß es eine diesbezügliche Absprache zwischen beiden Konzernen geben. Im übrigen stehen einer Genehmigung des Antrags aber dieselben Hindernisse im Atomgesetz entgegen wie bei der von RWE gewünschten Übertragung auf Biblis A. Überraschend kam der Vattenfall-Antrag auch deshalb, weil der vorläufige Ablehnungsbescheid für Biblis A bereits durchgesickert war. Eigentlich hätte es für Vattenfall viel näher gelegen, die Reststrommenge von knapp 5 TWh aus dem stillgelegten Reaktor Stade (031107) zu beanspruchen, an dem der Konzern - neben dem Betreiber E.ON - immerhin zu einem Drittel beteiligt war. Über diese Reststrommenge wurde bisher nicht verfügt (siehe Tabelle). Rechtliche Schwierigkeiten gäbe es in diesem Fall nicht. Aber anscheinend fehlt die Zustimmung von E.ON.
Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) versuchte ihrerseits Druck zu machen: Am 22. März erhob sie beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Klage gegen das Bundesumweltministerium, weil dieses noch nicht über ihren Antrag auf Reststrommengenübertragung auf das Kernkraftwerk Neckarwestheim I (061202) entschieden hat. "Statt unseren Antrag zügig und sachgerecht zu entscheiden, flüchtet sich das BMU offenbar in gesetzlich nicht vorgesehene Erwägungen und will einen Sicherheitsvergleich zwischen GKN I und GKN II vornehmen", hieß es in der Pressemitteilung. Dem Atomgesetz sei ein solcher Sicherheitsvergleich jedoch fremd. Die jetzt erhobene Klage sei die einzige Möglichkeit, "einer weiteren Verzögerung des Verfahrens entgegenzuwirken". Der Antrag war am 21. Dezember 2006 eingereicht worden. Zumindest im Vergleich mit RWE, dessen seit 26. September vorliegender Antrag nach knapp einem halben Jahr beschieden wurde, bräuchte sich die EnBW also nicht benachteiligt zu fühlen.
Sein Inkrafttreten des neuformulierten Atomgesetzes gab es nur eine einzige Strommengen-Übertragung,
und zwar zur Verlängerung der Laufzeit des KKW Obrigheim, das dann im Mai 2005
endgültig stillgelegt wurde (050503). Der damalige Bundesumweltminister
Trittin (Grüne) stand politisch unter Druck, dem Antrag der EnBW stattzugeben,
weil diese für ihre Zustimmung zum Energiekonsens eine diesbezügliche Geheimzusage
des Bundeskanzlers Gerhard Schröder erhalten hatte. Trittin setzte dann aber
doch durch, daß die Übertragung nicht von Neckarwestheim II, sondern vom
älteren Reaktor Philippsburg 1 erfolgte (021002, 021212).
Quelle: Atomgesetz, BfS
Kernkraftwerk | Reststrommengen ab 1.1.2000 gemäß Anlage 3 Atomgesetz in Terawattstunden (TWh) netto |
Beginn des kommerziellen Leistungsbetriebs | Reststrommenge Juli 2006 in TWh |
Biblis A | 62,00 | 26.02.1975 | 14,87 |
Neckarwestheim 1 | 57,35 | 01.12.1976 | 17,70 |
Biblis B | 81,46 | 31.01.1977 | 26,03 |
Brunsbüttel | 47,67 | 09.02.1977 | 16,25 |
Isar 1 | 78,35 | 21.03.1979 | 34,18 |
Unterweser | 117,98 | 06.09.1979 | 56,81 |
Philippsburg 1 | 87,14 | 26.03.1980 | 38,71**** |
Grafenrheinfeld | 150,03 | 17.06.1982 | 84,22 |
Krümmel | 158,22 | 28.03.1984 | 97,76 |
Gundremmingen B | 160,92 | 19.07.1984 | 94,77 |
Philippsburg 2 | 198,61 | 18.04.1985 | 129,40 |
Grohnde | 200,90 | 01.02.1985 | 129,53 |
Gundremmingen C | 168,35 | 18.01.1985 | 103,17 |
Brokdorf | 217,88 | 22.12.1986 | 144,74 |
Isar 2 | 231,21 | 09.04.1988 | 155,60 |
Emsland | 230,07 | 20.06.1988 | 157,68 |
Neckarwestheim 2 | 236,04 | 15.04.1989 | 166,88 |
Summe | 2.516,06 | 1468,27 | |
Mülheim-Kärlich* | 107,25 | 107,25 | |
Obrigheim** | 8,70 | 01.04.1969 | 0,00 |
Stade*** | 23,18 | 19.05.1972 | 4,79 |
Gesamtsumme | 2.623,31 | 1580,30 |
*Die für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich aufgeführte Elektrizitätsmenge von 107,25 TWh kann auf die Kernkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2, Isar 2, Brokdorf, Gundremmingen B und C sowie bis zu einer Elektrizitätsmenge von 21,45 TWh auf das Kernkraftwerk Biblis B übertragen werden.
** Das Kernkraftwerk Obrigheim ging am 11.5.2005 außer Betrieb.
*** Das Kernkraftwerk Stade ging am 14.11.2003 außer Betrieb und wurde am 7.0.2005 stillgelegt
**** Vom Kernkraftwerk Philippsburg 1 wurde am 23.1. 2003 eine Strommenge von 5,5 TWh auf das Kernkraftwerk Obrigheim übertragen.