September 2007

070903

ENERGIE-CHRONIK


Kartellamt verzichtet auf wirksame Ahndung der Preistreiberei mit CO2-Zertifikaten

Das Bundeskartellamt hat am 26. September eine vom RWE-Konzern angebotene "Verpflichtungszusage" nach § 32b GWB akzeptiert und damit das Mißbrauchsverfahren wegen der Einbeziehung der kostenlos erhaltenen CO2-Zertifikate in die Strompreise eingestellt. Mit dem jetzt vereinbarten Kompromiß kommt der Konzern glimpflich davon. Unklar bleibt vorläufig, ob und wieweit das Kartellamt nun auch noch ähnliche Sanktionen gegen die drei anderen Großstromerzeuger E.ON, Vattenfall und EnBW zu verhängen gedenkt, die den Börsenwert ihrer kostenlos erhaltenen CO2-Zertifikate ebenfalls als "Opportunitätskosten" in die Preise eingehen ließen.

RWE versteigert 46.386.000 MWh an Großkunden – Keine Entschädigung für andere Kundengruppen

Nach der jetzt getroffenen Vereinbarung wird RWE in den kommenden vier Jahren Kraftwerkskapazitäten von insgesamt 6.300 Megawatt in einem Auktionsverfahren an Industriekunden verkaufen. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Jahresbenutzungsstunden entspricht dies einer Stromerzeugung von 46.386.000 Megawattstunden (MWh), wovon 31.536.000 MWh auf Braunkohle- und 14.850.000 MWh auf Steinkohlekraftwerke entfallen. Der Arbeitspreis soll den tatsächlichen Erzeugungskosten der spezifischen Braun- und Steinkohlekraftwerke entsprechen, ohne daß fiktive oder echte Kosten für CO2-Zertifikate angerechnet werden. Um den Stromhandel und die Verteuerung des Stroms über Weiterverkauf an der Börse auszuschalten, ist die Versteigerung auf leistungsgemessene Strom-Endkunden begrenzt. Damit auch kleinere Industriekunden zum Zug gelangen können, sollen die Bieter die zu versteigernden Kapazitäten in Schritten von 1 MW frei wählen können. Grundsätzlich können von der Verpflichtungszusage aber nur Großkunden profitieren. Wie aus dem Beschluß hervorgeht, hat die Behörde auch nicht die Absicht, anderen Kundengruppen (Kleinverbraucher, Stadtwerke, Stromhändler) eine Entschädigung für die erlittenen Einbußen zukommen zu lassen.

Stromkonzerne erzielten Milliarden an "Windfall-Profits"

Der Handel mit CO2-Zertifikaten hatte schon kurz nach seinem Beginn im Jahr 2005 zu einem enormen Anstieg des Börsenwerts dieser Zertifikate geführt, obwohl mehr Zertifikate ausgegeben worden waren, als die Emittenten tatsächlich benötigten (070502). Diesen Börsenwert hatten die Großkraftwerksbetreiber auf die Strompreise aufgeschlagen, obwohl sie die Zertifikate kostenlos erhalten hatten. Anderen Emittenten war dies dagegen nicht möglich, da sie tatsächlich im Wettbewerb standen und sich deshalb an realen Kosten orientieren mußten. Die Stromkonzerne konnten so Milliarden an "Windfall-Profits" kassieren (060303), bis offenkundig wurde, daß europaweit ein Überschuß an Zertifikaten bestand (060501). Der Börsenwert der Zertifikate stürzte daraufhin von nahezu 30 Euro pro Tonne CO2 auf wenige Cent ab (070202). Die industriellen Großstromverbraucher schlugen erstmals im Mai 2500 Alarm (050505) und warfen den Stromkonzernen vor, durch ihre Preispraktiken jährlich rund fünf Milliarden Euro ungerechtfertigte Mehrerlöse zu erzielen (050901).

Nach Feststellung des Bundeskartellamts hätten die Stromproduzenten trotz der Überversorgung mit CO2-Zertifikaten lediglich einen relativ geringen Teil ihrer Emissionsrechte tatsächlich verkaufen können. Deshalb hätten sie auch nur für diese frei verfügbaren Zertifikate einen monetären Nutzen geltend machen dürfen, der ihnen entgehe, wenn sie den Börsenwert nicht in die Strompreise einkalkulieren (061203).

Industrielle Großverbraucher forderten Kartellamt zum Einschreiten auf

Das Verfahren war Mitte 2005 auf Betreiben von Unternehmen und Interessenverbänden in Gang gekommen, die Leidtragende dieser Preispraktiken waren. Der VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft, die WVM Wirtschaftsvereinigung Metalle und der Bundesverband Neuer Energieanbieter (BNE) fungierten in dem Verfahren als Beigeladene. Sie machten geltend, daß RWE, E.ON und andere Stromerzeuger den jeweils aktuellen Kurswert der unentgeltlich zugeteilten Emissionsberechtigungen in ihre Stromverkaufspreise einbezogen. Dieses "Einpreisen" führe zu einem den Strompreis insgesamt aufblähenden "Opportunitätsgewinn". Die unentgeltlich zugeteilten Emissionsberechtigungen stellten rein kalkulatorische Kosten dar, denen keine tatsächlichen Kosten gegenüberstünden. Die Praxis der Einpreisung sei nur angesichts eines auf den Strommärkten fehlenden wesentlichen Wettbewerbs möglich. Unternehmen in anderen Wirtschaftsbereichen, denen ebenfalls unentgeltlich Emissionsberechtigungen zugeteilt wurden, seien aufgrund eines dort funktionierenden Wettbewerbs nicht in der Lage, diese Berechtigungen als Opportunitätskosten in ihre Verkaufspreise einzupreisen. Die Beschwerdeführer verwiesen ferner darauf, daß der Gesetzgeber sich bewußt für eine hundertprozentig kostenlose Abgabe der Zertifikate entschieden habe, um Kostenbelastungen für deutsche Unternehmen und Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zum außereuropäischen Ausland zu vermeiden.

Die Beschlußabteilung sah daraufhin den Verdacht gegeben, daß die Konzerne gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§ 19 Abs. 1, § 19 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 Nr. 2 GWB) sowie gegen Artikel 82 des EG-Vertrages verstoßen haben könnten, der die mißbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht untersagt. Nach umfangreichen Ermittlungen, in deren Verlauf sich der Verdacht verdichtete, teilte sie dem RWE-Konzern im Dezember 2006 ihre vorläufige Beurteilung des Sachverhalts mit (061203). In dieser Abmahnung hieß es, "daß jedenfalls im Zusammenhang mit dem Absatz von Strom-Grundlastbändern und Strom-Vollversorgung an Industriekunden im bilateralen Geschäft in Deutschland im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2005 eine missbräuchliche Preisstellung der Betroffenen einschließlich ihrer im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Unternehmen im Sinne von § 19 GWB sowie Art. 82 EG vorliegt". Der RWE-Konzern bot daraufhin am 8. August 2006 eine "Verpflichtungszusage" gemäß § 32b GWB an, die er am 24. September nochmals in einer verbesserten Form vorlegte und die das Kartellamt – ein halbes Jahr nachdem Bernhard Heitzer die Nachfolge von Ulf Böge als Präsident der Behörde antrat (070414) – jetzt so akzeptiert hat.

VIK übt scharfe Kritik am Ausgang des Verfahrens

Die Beschwerdeführer äußerten sich zum Ausgang des Verfahrens unterschiedlich. Während der VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft die Entscheidung mit "großem Unverständnis" aufnahm und "sehr bedauerlich" fand, begrüßte die WVM Wirtschaftsvereinigung Metalle die Verpflichtungszusage als "pragmatischen Weg, ungerechtfertigte Gewinne an die industriellen Stromverbraucher zumindest zum Teil zurückzuerstatten und einen zusätzlichen börsen-unabhängigen Marktplatz für Industriestrom aufzubauen". Der seit fünf Jahren bestehende Bundesverband Neuer Energieanbieter (021013) sah sich nicht in der Lage, kurzfristig eine Stellungnahme abzugeben.

Der VIK konstatierte einen sichtlichen Bruch zwischen dem Stand der Vorermittlungen und dem für RWE glimpflichen Ausgang des Verfahrens. Mit der Einstellungsentscheidung sei keine Kritik an der Marktmacht von RWE verbunden. Unangetastet blieben auch die CO2-Sondergewinne bei RWE. Außerdem sei keinerlei Mißbilligung des Verhaltens von RWE bei der CO2-Einspeisung mehr festzustellen, obwohl die Strompreise in der Abmahnung vom Dezember 2006 "vorläufig" noch als mißbräuchlich überhöht eingeschätzt wurden. Hinzu sei ungeklärt, was mit der anhängigen Klage gegen E.ON AG passieren soll.

Anders als die WVM vermag der VIK auch keine wirtschaftlichen Vorteile durch die von RWE angebotene und vom Kartellamt akzeptierte Strom-Auktion zu erkennen: Sie werde aller Voraussicht nach zu Preisen in Höhe des üblichen Großhandelsniveaus führen oder zumindest in dessen Nähe. Insofern sei diese Auktion keine akzeptable und angemessene Alternative zum derzeitigen Großhandel. Sie schaffe die Ursachen für die Mißbrauchsbeschwerde des VIK nicht aus der Welt und könne den betroffenen Stromkunden die in der Vergangenheit erlittenen Schäden in Höhe von mehreren Milliarden Euro jährlich nicht ausgleichen. Die Verpflichtungszusagen von RWE seien daher unzureichend. Sie seien "eher ein Placebo".

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