Februar 2009

090203

ENERGIE-CHRONIK


Kosten für Asse trägt der Bund, obwohl die Radioaktivität größtenteils aus Kernkraftwerken stammt

Die Änderung des Atomgesetzes zur Umwandlung des bisherigen "Forschungsprojekts" Asse II in ein offizielles Endlager für radioaktive Abfälle (081112) wurde am 30. Januar vom Bundestag verabschiedet und am 13. Februar auch vom Bundesrat gebilligt. Auf Verlangen des Bundesrats, in dem Union und FDP die Mehrheit haben, wurde dabei in den neu eingefügten § 57b AtG ("Betrieb und Stilllegung der Schachtanlage Asse II") ausdrücklich die Bestimmung aufgenommen: "Die Kosten für den Weiterbetrieb und die Stilllegung trägt der Bund." Anscheinend hielt man die geltende Kosten-Regelung in § 21a AtG nicht für ausreichend, um die KKW-Betreiber vor einer Beteiligung an den immensen Sanierungskosten für Asse II zu bewahren. Entgegen der bisherigen Darstellung hat sich inzwischen nämlich herausgestellt, daß der größte Teil der radioaktiven Abfälle in Asse II den Kernkraftwerksbetreibern EnBW, RWE, E.ON und Vattenfall zuzurechnen ist bzw. von deren Vorläufer-Unternehmen stammt.

Bislang hieß es immer, der radioaktive Müll in Asse stamme vor allem aus Forschungsreaktoren, öffentlichen Einrichtungen und der Laborforschung. Unter dem Gesichtspunkt der Radioaktivität komme er sogar zu fast neunzig Prozent aus dem früheren Kernforschungszentrum Karlsruhe und hier wiederum fast durchweg aus der ehemaligen Wiederaufarbeitungsanlage WAK (080906).

"Das radioaktive Inventar der WAK hat nicht der Klapperstorch gebracht"

Noch in der Debatte zur Novellierung des Atomgesetzes wiederholte der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller (SPD) die bisherige Darstellung. Wörtlich sagte er: "Über 90 Prozent der eingelagerten radioaktiven Materialien stammen aus öffentlichen Einrichtungen, insbesondere aus Forschungseinrichtungen. Daraus ergibt sich auch die Verteilung der Kosten."

Die Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl als Sprecherin der Grünen stellte demgegenüber fest, daß die von Müller erwähnten Forschungseinrichtungen mehr oder weniger nur als Absender-Adresse für Müll dienten, der größtenteils aus Kernkraftwerken und von der Nuklearindustrie stammte (siehe Tabelle 1). Sie stützte sich dabei auf den jetzt bekanntgewordenen Inventurbericht "Bestimmung des nuklidspezifischen Aktivitätsinventars der Schachtanlage Asse", den das frühere GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (heute: Helmholtz Zentrum München) im August 2002 vorlegte (siehe Tabelle 2). Laut Bundestags-Protokoll sagte Sylvia Kotting-Uhl unter anderem:

Ihr Hauptargument ist, dass 90 Prozent des Inventars der Asse aus der WAK kommen. Das ist eine öffentliche Forschungseinrichtung, und deshalb muss die öffentliche Hand die Kosten tragen. Ja, 90 Prozent des radioaktiven Inventars kommen aus der WAK. Und wie kam es in die WAK? Ist es dort geboren worden? Ist es vom Himmel gefallen? Hat es der Klapperstorch gebracht? Nein, die Kraftwerksbetreiber haben es gebracht, es war Atommüll aus den Kraftwerken.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, ich glaube, die vier Minuten sind schon um!)

Wir haben den Inventurbericht von 2002, den jeder von Ihnen nachlesen kann. Da ist genau aufgelistet, was in die WAK eingeliefert wurde und von da aus in die Asse kam.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Können vier Minuten wirklich so lang sein?)

60 Prozent des radioaktiven Inventars der Asse – das lässt sich leicht errechnen – stammen allein aus dem Kernkraftwerk Obrigheim. Gilt das Verursacherprinzip nicht mehr, wenn das Material einmal in einer Versuchsanlage war, oder wollen wir das Verursacherprinzip gelten lassen? Ich kann Sie an dieser Stelle wirklich nicht verstehen. Ich glaube, Sie sind in diesen ganzen Krisen, in denen Sie ständig Schutzschirme aufspannen, schon so an Schutzschirme gewöhnt, dass Sie gar nicht anders können, als jetzt in der Asse-Krise einen Schutzschirm auch über die Atomkonzerne zu spannen, damit diese ihre Milliardengewinne behalten können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Diese wiederum nutzen das Geld für ihre Kampagnen, sie nutzen es, um die Mär vom billigen Atomstrom zu erzählen. Das ist die Kette, die Sie damit unterstützen.

(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist die unehrlichste Rede der Woche!)

– Das ist wahrscheinlich die ehrlichste Rede der Woche, und das stört Sie vielleicht; das kann ich gut verstehen.

Allein auf die EnBW entfallen 64 Prozent der Radioaktivität im Endlager Asse

Am 23. Februar veröffentlichte die Umweltorganisation Greenpeace den erwähnten Inventarbericht zusammen mit einer Auswertung zur Herkunft des in Asse gelagerten Nuklearmülls:

 
Ablieferer Gebinde Aktivität
Anteil Kernkraftwerke und Energieversorger 35,61% 71,73%
Anteil Versuchsreaktoren und Nuklearindustrie 44,66% 22,97%
Anteil Forschung und öffentliche Einrichtungen 19,72% 5,31%
 
Anteil RWE 6,63% 5,96%
Anteil EnBW 22,28% 63,74%
Anteil E.ON/Vattenfall 6,70% 2,02%
Anteil der Kernkraftwerksbetreiber zusammen 35,61% 71,73%


Von den Kernkraftwerksbetreibern stammen demnach ein gutes Drittel der Gebinde und 72 Prozent der Radioaktivität. Dabei entfallen allein auf die Energie Baden-Württemberg (EnBW) rund 64 Prozent der Radioaktivität durch Abfälle aus dem Kernkraftwerk Obrigheim, das gemeinschaftlich von den EnBW-Vorläufern EVS, Badenwerk, TWS und Neckarwerke betrieben wurde.

Die KKW-Betreiber hatten den Nuklearmüll an die Wiederaufarbeitungsanlage (WAK) im Kernforschungszentrum Karlsruhe geliefert, die von 1971 bis 1990 in Betrieb war, um den den großtechnologischen Einstieg in die Plutoniumwirtschaft bzw. den "Brennstoffkreislauf" vorzubereiten. Auf diese Weise wurden daraus "Forschungsabfälle". Praktisch diente das Kernforschungszentrum aber lediglich als Zwischenstation für den Müll der KKW-Betreiber.

Bei dem Skandal um das drohende Absaufen von Asse II waren sich die Verantwortlichen anscheinend bewußt, auf welch schwachen Beinen ihre zweckdienliche Darstellung stand, in Asse lagere größtenteils nur Müll aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe. Sonst hätte man sich kaum die Mühe gemacht, in den Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes nachträglich die Befreiung der KKW-Betreiber von allen Kosten einfügen zu lassen. "Die Regelung dient der Klarstellung, daß der künftige Weiterbetrieb und die Stilllegung der Schachtanlage Asse – wie bislang – als Bundesprojekt betrieben und finanziert wird", begründete der Bundesrat in seiner Stellungnahme lakonisch diese Forderung, die von der Bundesregierung umstandslos akzeptiert wurde.

 
Nach der von Greenpeace veröffentlichten Auswertung des Inventurberichts "Bestimmung des nuklidspezifischen Aktivitätsinventars der Schachtanlage Asse" stammen die in Asse II eingelagerten radioaktiven Abfälle von knapp fünfzig Ablieferern. In den drei Spalten links ist vermerkt, wieweit die damaligen Ablieferungen den heutigen Kernkraftwerksbetreibern zuzurechnen sind.
Ablieferer Gebinde Aktivität RWE EnBW E.ON/Vattenfall
AEG-Kernenergieversuchsanlage, Großwelzheim
233
2,87E+01      
AEG-Telefunken, Fachgebiet Schnelle Reaktoren, Großwelzheim
587
6,43E+01      
Alkem-Schrott [WAK]
0,00E+00      
Amersham-Buchler
1.833
2,44E+02      
Bundeswehr, Munster
236
2,15E+00      
C. Conradty, Werk Grünthal
6
7,50E-02      
Dekophase [WAK]
6.521
1,56E+04      
Farbwerke Hoechst, Frankfurt
376
1,32E+01      
Forschungsreaktor Garching (FRM)
260
8,62E+00      
Forschungszentrum Jülich
13.325
3,32E+03      
FR 2 [WAK]
1.116
3,18E+02      
Ges. f. Nukleartransporte, Essen (GNT)
102
3,04E+00       
Gesellschaft für Nuklear-Service mbH
3.550
1,55E+03      
GKSS
1.893
1,79E+03      
GSF, Institut f. Strahlenbotanik, Hannover
121
2,14E+00      
GSF, Neuherberg
5.293
3,58E+03      
GSF, Schachtanlage Asse (Betriebsabfälle)
14
0,00E+00      
Hahn-Meitner-Institut
2.909
2,47E+03      
HDR [WAK]
986
6,79E+02      
Kernkraftwerk Brunsbüttel (KKB)
809
2,35E+00     100%
Kernkraftwerk Gundremmingen (KRB)
3.456
1,70E+02 75%   25%
Kernkraftwerk Lingen (KWL)
1.285
1,93E+02 100%    
Kernkraftwerk Obrigheim
5.504
1,62E+03   100%  
Kernkraftwerk Stade (KKS) .
1.399
5,58E+01     100%
Kernkraftwerk Unterweser (KKU)
38
3,80E-04     100%
Kernkraftwerk Würgassen (KWW)
4.239
1,07E+02     100%
Kernreaktorteile GmbH (KRT)
153
2,70E-01      
Kraftwerk Union, Erlangen (KWU)
394
1,15E+02      
Kraftwerk Union, Karlstein (früher Großwelzheim) (KWU)
1.704
1,67E+02      
KRB [WAK]
4.334
1,63E+04 75%   25%
KWO-1 [WAK]
1.573
4,78E+02   100%  
KWO-2 [WAK]
12.340
1,14E+05   100%  
KWO-3 [WAK]
8.613
1,88E+04   100%  
Meß- u. Prüfstelle f. die Gewerbeaufsichtsverwaltung des Landes Hessen
333
3,15E+01      
MZFR-1 [WAK]
10.298
8,90E+03      
MZFR-2 [WAK]
1.237
1,44E+03      
MZFR-3 [WAK]
5.312
1,14E+04      
Nuklear-Chemie u. -Metallurgie (Nukem)
1.346
6,82E+01      
Pu-Reinigung [WAK]
741
8,65E+02      
Reaktor-Brennelement Union (RBU)
1.523
8,12E+01      
Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE)
1.208
6,33E+01 100%    
Siemens, Forschungslaboratorium, Erlangen
41
1,36E+01      
STEAG
3.025
3,83E+03      
Transnuklear
6.993
2,37E+03      
Uranbetrieb [WAK]
2.623
3,75E+02      
VAK-1 [WAK]
952
2,74E+02      
VAK-2 [WAK]
357
2,21E+02      
Versuchsatomkraftwerk Kahl (VAK)
410
9,19E+00      
Differenz Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) Ð (WAK)
4.186
0,00E+00