Neue EU-Richtlinien für Binnenmärkte bei Strom und Gas verabschiedet
Das Europäische Parlament billigte am 22. April in Straßburg das Energiepaket,
das die Kommission im September 2007 vorgelegt hat (070901),
mit den mittlerweile vereinbarten Änderungen. Es handelt sich um die beiden neuen
Richtlinien für die Binnenmärkte bei Strom und Gas sowie drei Verordnungen
zum grenzüberschreitenden Stromhandel, zu den Erdgastransportnetzen und zur Zusammenarbeit
der europäischen Regulierungsbehörden. Das Energiepaket kann damit voraussichtlich
bis September in Kraft treten. Die Mitgliedsstaaten haben dann anderthalb Jahre Zeit,
die Richtlinien in nationales Recht umzusetzen.
Für die Entflechtung des Transportnetzbetriebs wird es künftig drei mögliche
Modelle geben, wie dies im Oktober 2008 von den Regierungen vereinbart worden war
(081009):
- Die vollständige eigentumsrechtliche Entflechtung zwingt die Energiekonzerne
ihre Strom- und Gasübertragungsnetze zu veräußern, so daß separate
unabhängige Betreiber den Netzbetrieb übernehmen. Ein Energieversorger kann
in diesem Fall nicht die Aktienmehrheit an einem unabhängigen Netzbetreiber halten.
- Als Alternative zur eigentumsrechtlichen Entflechtung können Mitgliedsländer
ihre Energiekonzerne verpflichten, den Netzbetrieb von einer unabhängigen, separaten
Gesellschaft durchführen zu lassen - dem unabhängigen Netzbetreiber (ISO
= Independent System Operator).
- Die dritte und schwächste Option - die auf Verlangen Frankreichs und Deutschlands
zustande kam - ist das neu erfundene Modell des "Independent Transmission Operator"
(ITO). Es beläßt den Konzernen nicht nur das Eigentum an den Netzen, sondern
auch ihre herkömmliche integrierte Struktur aus Netz, Erzeugung und Versorgung.
Es schreibt ihnen lediglich die Einhaltung verschiedener Regeln vor, die garantieren
sollen, daß das Netz in der Praxis unabhängig von den anderen Konzernbereichen
betrieben wird. Zum Beispiel dürfen Führungskräfte in den drei Jahren
vor Beginn ihrer Tätigkeit nicht beim selben Konzern angestellt gewesen sein.
Anschließend dürfen sie erst nach vier Jahren zu diesem Konzern zurückkehren
("Cooling-off"-Zeiten). Bei Verstößen gegen die Unbundling-Vorschriften
kann der nationale Regulierer dem betreffenden Unternehmen bis zu zehn Prozent seines
Gewinnes einziehen.
Nach anfänglichem Widerstand war die Abschwächung der Entflechtungs-Vorschriften
durch Einfügung des ITO-Modells in die beiden Richtlinien auch vom Europäischen
Parlament akzeptiert worden (090303). Bei der jetzt erfolgten
Abstimmung im Plenum votierten 588 Abgeordnete bei 81 Nein-Stimmen und neun Enthaltungen
für den im März ausgehandelten Kompromiß. Der RWE-Konzern hatte bereits
im Februar angekündigt, daß er sein Höchstspannungsnetz in den nächsten
Monaten nach dem ITO-Modell organisieren werde (090209).
Offenbar hatte er dabei nicht nur die Zustimmung des Parlaments schon eingeplant,
sondern auch die Umsetzung der Richtlinie in die nationale Gesetzgebung, die wegen
der im September anstehenden Bundestagswahl theoretisch auch noch zu einer anderen
Lösung führen könnte.
Links (intern)
- Parlament gibt nach: Künftig drei Modelle für den Betrieb von Strom-
und Gastransportnetzen (090303)
- RWE stellt EU-Parlament vor vollendete Tatsachen (090209)
- Europäische Netzbetreiber formieren sich neu: ENTSO-E löst sechs alte
Verbände ab (090207)
- Industrieausschuß für eigentumsmäßige Entflechtung der
Transportnetze (080503)
- EU will Netze eigentumsmäßig entflechten und vor ausländischer
Übernahme schützen (070901)
- Rat verlangt "wirksame Trennung der Versorgung und Erzeugung vom Betrieb
der Netze" (070306)
- Wirtschaftsminister billigen Energie-Pläne der Kommission nur mit Abstrichen
(070204)
- Brüssel verlangt eigentumsmäßige Entflechtung der Strom- und
Gasnetze (070101)
- Bundestag hält eigentumsmäßige Entflechtung der Stromnetze vorerst
nicht für sinnvoll (061004)
- EU-Kommissarin dringt auf eigentumsmäßige Entflechtung der Stromnetze
(060902)
- EU-Kommission will Oligopole bei Strom und Gas aufbrechen (060202)