März 2012 |
120305 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs billigte auf seiner Sitzung am 2. März unter anderem den "Energiefahrplan 2050", den die Kommission vor einem Jahr veröffentlichte und der es ermöglichen soll, bis zum Jahr 2050 eine weitgehende "Dekarbonisierung" der Energiewirtschaft zu erreichen. Neben Energieeinsparungen und Erhöhung des Energieanteils aus erneuerbaren Quellen enthält der Kommissionsvorschlag als wichtigstes Instrument einen starken Anstieg der Stromerzeugung aus Kernkraftwerken und fossil befeuerten Wärmekraftwerken mit CCS-Technik. Der Rat drängte auf rasche Fortschritte bei der Umsetzung des Fahrplans und äußerte die Erwartung, daß bis Juni eine Einigung über die neue Energieeffizienzrichtlinie (120214) erzielt wird.
Der "Energiefahrplan 2050" geht davon aus, daß Kohle- und Gaskraftwerke mit CCS-Technik mit bis zu 32 Prozent an der Stromerzeugung beteiligt sein müssen, falls es zu einer "eingeschränkten Kernenergieerzeugung" kommt. Umgekehrt sei ein besonders hoher Anteil an Kernenergie erforderlich, falls sich die Einführung von CCS verzögere. Die Kommission konstruiert somit eine Art Zwickmühle, um sowohl der Kernenergie als auch der CCS-Technik zum Durchbruch zu verhelfen. Die Vergrößerung des Anteils der Erneuerbaren am Energie-Mix und die Verbesserung der Energieeffizienz spielen in den insgesamt fünf Szenarios der Kommission dagegen eher eine ergänzende Rolle.
Die "Energy Roadmap 2050" wurde inzwischen in der von der Kommission am 15. Dezember 2011 verabschiedeten Fassung als illustrierte Broschüre veröffentlicht, die aber nur auf englisch erhältlich ist. Sie enthält zusätzlich ein Vorwort von EU-Energiekommissar Günther Oettinger. "Wir müssen schnell handeln", schreibt er darin. "Unsere Energienetze altern und erfordern Milliarden Euro an Investitionen."
Polen akzeptiert den "Energiefahrplan" bisher nicht, weil er die zu über neunzig Prozent auf Kohle gegründete Stromerzeugung des Landes (120306) durch den notwendigen Kauf von Emissionszertifikaten oder die Kosten der CCS-Technologie zu stark belasten würde. Beim Treffen der Umweltminister am 9. März votierte der polnische Umweltminister Marcin Korolec als einziger der Teilnehmer gegen den Kommissionsvorschlag. Schon am 21. Juli 2011 hatte Polen im Umweltministerrat den Fahrplan abgelehnt, der bis 2050 eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent vorsieht. Ebenso war es nicht bereit, das Zwischenziel von 25 Prozent bis 2020 zu akzeptieren. Verabschiedet wurde deshalb nur das schon bisher geltende Minderungsziel von 20 Prozent.
Klimakommissarin Connie Hedegaard bedauerte das Veto Polens. Die EU werde sich dadurch aber nicht vom Ziel zu einer CO2-armen Wirtschaft abbringen lassen, erklärte sie am 10. März. Die Präsidentschaft und die andern 26 Mitgliedsstaaten der Union hätten die Kommission ausdrücklich gebeten, diesen Weg weiter zu verfolgen, und dies werde man auch tun.
Unannehmbar sei auch der Vorschlag, lediglich das CO2-Reduktionsziel bis 2050 festzuschreiben und dessen Umsetzung den einzelnen Mitgliedsländern zu überlassen, den der polnische Umweltminister kurz vor dem Ministertreffen in einem Medienbeitrag machte. "Die EU kann so nicht arbeiten", sagte Hedegaard, "die EU ist eine demokratische Gemeinschaft mit Verhandlungen über wechselseitiges Geben und Nehmen, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Wir kommen nicht weiter voran, wenn der Unwilligste das Tempo für die anderen vorgibt."
In einem Interview mit Dow Jones (19.3.) kündigte Energiekommissar Günther Oettinger einen neuen Vorstoß an, um die umstrittene CCS-Technik auch in Deutschland einzuführen, wo das Gesetz zur Umsetzung der diesbezüglichen EU-Richtlinie noch immer nicht verabschiedet ist (111019). "Vielleicht brauchen wir zukünftig eine zusätzliche CCS-Regulierung", sagte er. "Wir untersuchen gerade, ob wir einen Vorschlag entwickeln, zu welchem Zeitpunkt CCS für neue, aber auch für alte Kraftwerke verbindlich werden sollte." Bisher räumt die geltende EU-Richtlinie zur geologischen Speicherung von Kohlendioxid (090614) den Mitgliedsstaaten auch ausdrücklich das Recht ein, "keinerlei Speicherung auf Teilen oder auf der Gesamtheit ihres Hoheitsgebiets zuzulassen".
In den Streit um die Förderung von Schiefergas (110810) will sich die EU dagegen vorläufig nicht einmischen. Oettinger verwies dazu auf die konträren Haltungen der Mitgliedsstaaten: Während Frankreich das "Fracking" sogar verboten habe (110612), treibe Polen solche Projekte voran, um die Abhängigkeit von russischen Gasexporten zu verringern.
Inzwischen stellte sich allerdings heraus, daß die Schiefergasvorkommen im polnischen Untergrund bei weitem nicht so groß sind wie zunächst angenommen. Sie bewegten sich zwischen 346 und 768 Milliarden Kubikmetern, teilten das Umweltministerium und der Geologische Dienst am 21. März mit. Zuvor hatte man die Schiefergasreserven Polens auf 5,3 Billionen Kubikmeter geschätzt und ausgerechnet, daß damit die Gasversorgung des Landes 300 Jahre lang bestritten werden könne.