April 2012

120401

ENERGIE-CHRONIK


 


Die Vereinbarkeit von Gleich- und Wechselstromtransport auf derselben Trasse wird derzeit auf einer 2,4 Kilometer langen Teststrecke bei Datteln untersucht (rechts im Hintergrund ist der vorläufig gestoppte Neubau des Steinkohlekraftwerks Datteln zu sehen).

Foto: Amprion

Amprion und EnBW planen Gleichstrom-Brücke von Nord nach Süd auf vorhandenen Trassen

Die Netzbetreiber Amprion und TransnetBW (EnBW) planen eine 430 Kilometer lange Gleichstrom-Leitung, die eine Leistung von 2500 Megawatt (MW) vom Norden in den Süden Deutschlands transportieren könnte. Die Gleichstrom-Brücke würde keine neuen Trassen erfordern, sondern über das Gestänge von bereits vorhandenen 380-kV-Masten verlegt. Wie Amprion am 24. April mitteilte, untersuchen die Projektpartner derzeit auf einer 2400 Meter langen Teststrecke bei Datteln zusammen mit dem Lehrstuhl Hochspannungstechnik der Technischen Universität Dortmund, ob Gleichstrom- und Wechselstrom gemeinsam auf bestehenden Masten betrieben werden können. Der Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Innenministerium, Udo Paschedag, habe das Testgelände Ende März besucht und die Nutzung der Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) als "wichtigen Baustein für das Gelingen der Energiewende" bezeichnet.

Die Amprion GmbH ist die frühere RWE Transportnetz GmbH, die im August 2009 umbenannt (091005) und im Juli 2011 größtenteils an neue Eigentümer verkauft wurde (110705). Die TransnetBW GmbH ist die frühere EnBW Transportnetze AG, die zum 2. März 2012 einen neuen Firmenmantel bekommen hat. Sie betreibt wie ihre Vorgängerin das Stromtransportnetz der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Allerdings befindet sich auch die EnBW inzwischen auf der Suche nach Kapitalanlegern, denen sie ihr Transportnetz für ein paar hundert Millionen Euro verkaufen kann.

"Ultranet" könnte Windstrom vom Norden nach Süden leiten und Wegfall von Kernkraftwerken ausgleichen

Wie die "Frankfurter Allgemeine" (24.4.) ergänzend berichtete, sind die Versuche in Datteln bisher erfolgreich verlaufen. Es habe sich gezeigt, daß Wechsel- und Gleichstrom auf derselben Trasse transportiert werden können, ohne daß Blitzschlag, Magnetfelder oder Ionenwolken zu ungewollten oder gar unbeherrschbaren elektrischen Flüssen führen. "Wir wollen das Ding 2019 am Laufen haben, 2017 wäre uns noch lieber" zitierte das Blatt den technischen Direktor von Amprion, Klaus Kleinekorte. Jeweils zum Ende dieser beiden Jahre werden nämlich nach der neuen atomgesetzlichen Regelung die beiden Kernkraftwerke Gundremmingen B und Philippsburg 2 stillgelegt. Bereits Ende 2015 geht das KKW Grafenrheinfeld vom Netz (110601). Die Gleichstrom-Brücke könnte nicht nur die dadurch entfallenden Kraftwerks-Kapazitäten zu zwei Dritteln ersetzen, sondern auch netztechnische Probleme lösen helfen, die durch den Mangel an Blindleistung entstehen. Zugleich wäre sie eine Art Autobahn für den im Norden Deutschlands reichlich anfallenden Windstrom, der schon jetzt mangels ausreichender Leitungskapazitäten nicht im wünschenswerten Maße zu den Verbrauchsschwerpunkten im Süden gebracht werden kann. Dem Zeitungsbericht zufolge ist der Netzbetreiber Amprion von dem Konzept so überzeugt, daß er bereits den Begriff "Ultranet" dafür geprägt und Markenschutz beantragt hat.

Neubau eines "Overlay-Netzes" für Gleichstrom wäre praktisch kaum zu realisieren

Der Neubau eines deutschen "Overlay-Netzes" für Gleichstrom, wie er unlängst vom Netzbetreiber TenneT verlangt wurde (120205), wäre damit möglicherweise nicht mehr erforderlich. Vor allem würden die praktisch unlösbaren Schwierigkeiten vermieden, die der Verwirklichung eines solchen Projektes in der dichtbesiedelten Bundesrepublik entgegenstehen. Auch der angebliche Bedarf an 4360 Kilometern neuer Hochspannungsleitungen, den Netzbetreiber und Branchenverbände via "Deutsche Energie-Agentur" anmeldeten (101101), würde damit ein weiteres Mal in Frage gestellt.

Die Nutzung bestehender Trassen für die HGÜ-Technik ist eigentlich ein sehr naheliegender Gedanke, da die Hochspannungs-Gleichstromübertragung bei Entfernungen von mehreren hundert Kilometern effizienter ist als die Drehstrom-Technik. Dennoch spielte er bisher in der Diskussion um den Netzausbau überhaupt keine Rolle. Darin zeigt sich erneut, wie abgehoben von den technischen Realitäten und Möglichkeiten bisher die Diskussion um die "Energiewende" war.

Die großen Netzausrüster ABB, Siemens und Areva müssen nicht darben, falls durch die HGÜ-Technik weniger Leitungsbau anfällt. An den Anfangs- und Endpunkten der HGÜ-Strecken werden nämlich Konverter benötigt, um den Drehstrom in Gleichstrom und wieder zurück in Drehstrom zu verwandeln. Allein eine solche Umrichterstation kostet 300 Millionen Euro.

Die erste deutsche HGÜ-Anlage ermöglichte von 1993 bis 1995 den Stromaustausch mit Tschechien

Die Hochspannungs-Gleichstromübertragung ist sinnvoll, um große Strecken möglichst verlustfrei zu überbrücken oder Drehstrom-Systeme unterschiedlicher Frequenz miteinander zu verbinden. Während bei Drehstrom der "Scheinwiderstand" der Leitungen mit der Länge zunimmt und die übertragbare Wirkleistung geringer wird, zählt bei Gleichstrom nur der Ohmsche Widerstand der Leitungen, und das umso weniger, je höher die Spannung ist. HGÜ verringert deshalb die Verluste und erhöht die Kapazität der Leitungen. Allerdings bleiben sowohl die Erzeugung als auch der Verbrauch auf Drehstrom (bzw. einphasigen Wechselstrom für Kleinverbraucher) ausgerichtet. Deshalb müssen HGÜ-Strecken als Punkt-zu-Punkt-Verbindungen errichtet und mittels Umrichtern in das Drehstromnetz eingebunden werden.

Gleich- und Wechselrichter gibt es schon lange. Eine großtechnische Anwendung von HGÜ wurde aber erst dank der Halbleiter-Technologie (Thyristoren) ab den siebziger Jahren möglich. In Deutschland ging die erste HGÜ-Strecke 1993 in Betrieb: Es handelte sich um die "Kurzkupplung" im bayerischen Etzenricht, die an der Grenze zu Tschechien den Stromaustausch zwischen west- und osteuropäischem Verbundnetz ermöglichte (920507). Sie war aber nur zwei Jahre in Betrieb, weil Tschechien bald darauf in das westeuropäische Verbundsystem eingegliedert wurde. Man hat die Konverterstation deshalb wieder abgebaut, um sie für den Stromaustausch mit Rußland zu verwenden (990312). Ansonsten wurden HGÜ-Strecken in Deutschland nur als grenzüberschreitende Seekabel errichtet, die unterschiedliche Stromsysteme verbinden: Seit 1994 ermöglicht das "Baltic Cable" den Stromaustausch mit Schweden (020307). 1996 folgte das Kabel "Kontek" als Verbindung mit Dänemark (960607). Demnächst soll das 570 Kilometer langen NorGer-Kabel in Angriff genommen werden, das eine direkte Verbindung zwischen Deutschland und Norwegen herstellt (100404). Zunehmende Bedeutung erlangt HGÜ aber auch bei der Netzanbindung von Offshore-Windparks in der Nordsee, die weit von der Küste entfernt sind. Die erste deutsche HGÜ-Strecke dieser Art ist das 200 Kilometer lange Kabel von der Konverterstation Diele im Emsland zur Konverterplattform "BorWin alpha" in der Nordsee (120205).

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