April 2010 |
100404 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das HGÜ-Kabel NorGer wäre die erste Direktverbindung zwischen Norwegen und Deutschland. Seit zwei Jahren besteht bereits eine ähnliche Hochspannungs-Gleichstromübertragung namens NorNed mit den Niederlanden, die aber nur halb soviel Leistung übertragen kann. Beteiligte Netzbetreiber sind in beiden Fällen die norwegische Statnett und die niederländische TenneT (die in Deutschland von E.ON den Transportnetzbetreiber Transpower übernahm). Eine weitere HGÜ-Verbindung Norwegens mit dem westeuropäischen Verbundsystem führt seit 1977 durch das Skagerrak nach Jütland. |
Ein Hochspannungs-Gleichstromkabel soll von 2015 an Norwegen mit Deutschland verbinden und einen Leistungsaustausch bis zu 1400 Megawatt (MW) ermöglichen. Das norwegisch-schweizerische Konsortium NorGer teilte Anfang April mit, daß es bei der Bundesnetzagentur eine entsprechende Handelsgenehmigung beantragt habe. Die beachtliche Kapazität des Kabels, die etwa der Leistung des Kernkraftwerks Brunsbüttel entspricht, soll über die Strombörsen NordPool und EEX für den Stromhandel vermarktet werden. Um die Investitionskosten von rund 1,4 Milliarden Euro möglichst schnell wieder hereinzuholen, will das Konsortium für 25 Jahre von der Regulierung der Netzentgelte befreit werden. Neben der Bundesnetzagentur und der norwegischen Regulierungsbehörde muß dazu auch die EU-Kommission ihre Zustimmung geben.
Das NorGer-Kabel soll in Norwegen bei Flekkefjord anlanden, wo bereits das NorNed-Kabel endet und über eine Umrichterstation (Bild) mit dem skandinavischen Verbundsystem gekoppelt ist. Sowohl für die Kabel als auch für die Umrichter ist der Kreis möglicher Lieferanten sehr exklusiv. Bei NorNed erhielt ABB die Aufträge. Über die Lieferungen für NorGer wird erst noch verhandelt. Pressefoto ABB
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Das 570 Kilometer lange NorGer-Kabel soll in Norwegen bei Flekkefjord anlanden. Auf deutscher Seite wird es voraussichtlich in der Wesermarsch bei Elsfleth-Moorriem mit dem Transportnetz verbunden. An den beiden Endpunkten werden jeweils Umrichterstationen errichtet und die Stromübertragung zwischen den unterschiedlichen Wechselstrom-Systemen mit einer Gleichspannung von 450 bis 500 Volt ermöglichen. Bei Flekkefjord endet bereits das NorNed-Kabel, das seit 2008 Norwegen mit den Niederlanden verbindet. Nun wird dort noch eine zweite Umrichterstation für das NorGer-Kabel entstehen. Die Anbindung ans norwegische Transportnetz soll 70 Kilometer weiter nördlich in Tonstad erfolgen.
Hinter dem Unternehmen NorGer AS stehen zu jeweils einem Drittel die südnorwegischen Unternehmen Agder Energi und Lyse sowie der Schweizer Energiehändler EGL. Agder ist mit einer Jahresproduktion von 7,8 Terawattstunden (TWh) der drittgrößte Energieversorger des Landes. Er gehört zu 54,5 Prozent kommunalen Körperschaften und im übrigen dem Marktführer Statkraft. Lyse ist ein Energie- und Kommunikationsanbieter mit einer Jahreserzeugung von etwa 5,6 TWh.
Als das Unternehmen Ende 2006 gegründet wurde, war noch als weiterer Partner der deutsche Regionalversorger EWE beteiligt. Das Oldenburger Unternehmen zog sich aber im März 2008 aus dem Projekt zurück. Angeblich sind ihm wegen der gestiegenen Kupferpreise Zweifel an der Wirtschaftlichkeit gekommen. In der Tat war zunächst nur von 500 Millionen Euro und einer Kapazität von 700 MW die Rede. Für den Rückzug dürfte aber auch eine Rolle gespielt haben, daß EWE wegen der kostspieligen Beteiligungen an der ostdeutschen VNG und der Bremer swb über keinen finanziellen Spielraum mehr verfügte (080203).
Bislang gibt es keine direkte Stromverbindung zwischen Norwegen und Deutschland. Allerdings bestehen an zwei anderen Stellen Hochspannungs-Gleichstrombrücken zum westeuropäischen Verbundsystem: Die jüngste ist die 580 Kilometer lange NorNed-Leitung, die von Feda in Südnorwegen nach Eemshaven im Norden der Niederlande führt. Sie wurde 2008 in Betrieb genommen und ermöglicht die Übertragung von 700 MW. Außerdem gibt es schon seit 1977 das 130 Kilometer lange Seekabel durch das Skagerrak mit einer Leistung von 500 MW. Weitere Hochspannungs-Gleichstromübertragungen (HGÜ) zwischen dem skandinavischen und dem westeuropäischen Verbundsystem erfolgen über das 250 Kilometer lange Baltic Cable zwischen Schweden und Deutschland (040114, 931115) und das 170 Kilometer lange Kontek-Kabel zwischen Dänemark und Deutschland (960607, 030212).
Das Geschäftskonzept von NorGer gründet darauf, daß Norwegen seinen Strom fast ausschließlich aus Wasserkraft erzeugt, während er in Deutschland größtenteils aus Kohle und Kernenergie stammt. Deshalb könnte nachts überschüssiger Strom aus deutschen Wärmekraftwerken und Windparks zu niedrigen Preisen nach Norwegen geliefert werden, während tagsüber Wasserkraftstrom aus Norwegen die Lastspitzen in Deutschland mindern hilft. Da die Vermarktung der Kabel-Kapazität über die Strombörsen laufen soll, würde die Richtung des Stromflusses von den Preisschwankungen an NordPool und EEX abhängen.
Die norwegische Stromerzeugung belief sich 2008 auf 143 TWh und stammte zu 98,5 Prozent aus Wasserkraft. Die Stromerzeugung aus Wasserkraft war damit ungefähr siebenmal höher als in Deutschland. Sie würde aber nur ausreichen, um gut ein Fünftel des gesamten deutschen Strombedarfs zu decken.
Die norwegischen Wasserkraftwerke können ihre Produktion leichter einem wechselnden Bedarf anpassen als die deutschen Grundlast-Kraftwerke. Sie brauchen lediglich mehr oder weniger Wasser aus den Speichern auf die Turbinen zu leiten. Sie dürfen indessen nicht mit Pumpspeicherkraftwerken verwechselt werden, wie dies teilweise geschieht. Beispielsweise äußerte das "Greenpeace Magazin" die Erwartung, mit der NorGer-Leitung eröffne sich für Deutschland der "Zugang zu Norwegens riesigen Pumpspeicherkraftwerken, die in den kommenden Jahren noch ausgebaut werden sollen". In Wirklichkeit verfügt Norwegen über wesentlich weniger Pumpspeicher-Kapazitäten als Deutschland. Die jährliche Aufkommen an Pumpspeicherstrom liegt deshalb auch nur bei etwa 1,4 TWh gegenüber 7 TWh in Deutschland. Denkbar ist allerdings, daß die NorGer-Leitung den Ausbau der Pumpspeicher-Kapazitäten in Norwegen stimuliert, falls sich keine anderen Lösungen ergeben, um die zeitweilig hohen Überschüsse an Windstrom-Einspeisungen in Deutschland auszugleichen (100101, 100108).
Der Bau einer direkten Verbindung zwischen Norwegen und Deutschland wird schon seit zwanzig Jahren erwogen. Zunächst waren es die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW), die über den Bau einer 600 Kilometer langen Leitung verhandelten (921109). Auch Bewag, Badenwerk, EVS und VEW wollten damals von Lieferungen aus Norwegen profitieren. Die norwegische Regierung versagte dem Projekt jedoch die Genehmigung (931211). Zwei Jahre später unternahmen die HEW gemeinsam mit RWE einen erneuten Vorstoß, der einen wechselseitigen Stromaustausch über das 540 Kilometer lange "Euro-Kabel" vorsah (950310). Dem Projekt stimmte dieses Mal auch die norwegische Regierung zu (950916). Das "Euro-Kabel" sollte mit dem "Viking-Kabel" vereinigt werden, über das PreussenElektra ab 1998 Strom aus Norwegen beziehen wollte (930514). Beide Kabel hätten über eine Kapazität von jeweils 600 MW verfügt und wären auf einer gemeinsamen Trasse durch die Nordsee nach Brunsbüttel geführt worden (970106). Die Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland schuf dann aber neue Rahmenbedingungen, weshalb beide Projekte nicht zustande kamen. Im Februar 1999 kündigten HEW und RWE die Verträge für das "Euro-Kabel" (990733). Zwei Jahre später verabschiedete sich der PreussenElektra-Nachfolger E.ON auch vom Viking-Kabel (011219). Vermutlich versprach man sich von dem Projekt nicht mehr denselben wirtschaftlichen Nutzen, nachdem auf Verlangen der EU-Kommission das bisher exklusiv genutzte Skagerrak-Kabel für Konkurrenten geöffnet werden mußte (010108).