August 2012

120810

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Im Unterschied zu herkömmlichen Leiterseilen aus Aluminium, die zur Erhöhung ihrer Zugfestigkeit einen Kern aus Stahldrähten haben (links), verfügt das von RWE im Hunsrück verwendete Leiterseil vom Typ ACCC (rechts) über einen Karbonkern. Dadurch hängt es auch bei starker Erwärmung durch den Stromfluß nicht weiter durch als eine herkömmliche Leitung und ermöglicht die Übertragung einer größeren Leistung.

Foto: CTC.

RWE erhöht Kapazität von 110-kV-Leitung mit Hochtemperatur-Leiterseilen

RWE hat die Leistungsfähigkeit einer 110-kV-Leitung seines Verteilnetzes zwischen Simmern und Rheinböllen durch die Umrüstung auf Hochtemperatur-Leiterseile erhöht. Dadurch werde "zum ersten Mal in Deutschland ein Hochtemperatur-Leiterseil in einer Hochspannungsleitung installiert", hieß es in einer Pressemitteilung vom 23. August. Mit mehr als zwölf Kilometern Leitungsstrecke handele es sich "in dieser Spannungsebene um die deutschlandweit derzeit längste Beseilung dieser Art, die im realen Netzbetrieb eingesetzt wird".


Beim ACCR-Seil von 3 M wird das Stahlseil im Kern durch einen metallischen Verbundwerkstoff ersetzt (Keramikfasern in Aluminium-Matrix). Außerdem tragen die Aluminium-Zirkonium Drähte im Mantel zur Zugfestigkeit und zur Leitfähigkeit bei.
Foto: 3 M

Hochtemperatur-Leiterseile spielen in der gegenwärtigen "Energiewende"-Debatte eine große Rolle, da sie eine höhere Übertragungskapazität als konventionelle Aluminium-Leiterseile ermöglichen und so den Neubau von Trassen erübrigen können. Sie sind schon seit Jahren Stand der Technik. Dennoch wird im Netzentwicklungsplan, den die Übertragungsnetzbetreiber jetzt vorlegten, die Netzverstärkung durch Verwendung von Hochtemperatur-Leiterseilen nur bei einer einzigen Maßnahme vorgeschlagen (120803). In der ersten sogenannten Dena-Netzstudie, die den Neubau von 1900 Kilometer Leitungen bis 2020 für notwendig hielt (050201), wurde diese technische Alternative nicht einmal erwähnt. Erst die zweite Dena-Netzstudie, die den Neubaubedarf sogar auf insgesamt 4360 Kilometer veranschlagte, hat auch Hochtemperatur-Leiterseile und das sogenannte Freileitungsmonitoring in Betracht gezogen. Dabei blieben jedoch neuere Entwicklungen unberücksichtigt. Sie gelangte deshalb zu dem irreführenden Schluß, daß die Verwendung von Hochtemperaturseilen zwar den Bedarf an neuen Trassen mit 1700 Kilometer mehr als halbiere, aber die Umrüstung von 5700 Kilometer bestehender Trassen erfordere und mit 17 Milliarden Euro noch wesentlich teuerer komme. In Wirklichkeit wäre der erforderliche Aufwand viel geringer und diese Lösung auch kostengünstiger (101101).

Bei ACCC ermöglicht der Karbonkern eine Betriebstemperatur bis 175 Grad

Zur Umrüstung der 110-kV-Leitung im Hunsrück verwendete die Rhein-Ruhr-Verteilnetz GmbH des RWE-Konzerns ein Hochtemperatur-Leiterseil vom Typ ACCC (Aluminium Conductor Composite Core), das der belgische Hersteller Lamifil mit einer Lizenz der Composite Technology Corporation (CTC) produziert und vertreibt. Die ACCC-Leiter von CTC enthalten einen Kohlenstofffaser-Verbundkern. Er wird am Hauptsitz des Unternehmens in Irvine (Kalifornien) zur Lieferung an andere Leiter-Hersteller gefertigt. Die ACCC-Leiter hängen aufgrund ihrer thermischen Stabilität kaum durch und ermöglichen so gegenüber herkömmlichen Leitern von ähnlichen Durchmessern und Gewicht eine erhöhte Kapazität. Nach RWE-Angaben hält das im Hunsrück verwendete Leiterseil eine Betriebstemperatur von 175 Grad Celsius aus. Die üblichen Hoch- und Höchstspannungsleitungen sind für eine Betriebstemperatur von etwa 80 Grad im Normalbetrieb und bis zu 100 Grad für kürzere Spitzenlasten ausgelegt.

ACCR-Leiterseile können sogar bis 210 Grad belastet werden und hängen noch weniger durch

Die Darstellung von RWE, daß damit "zum ersten Mal in Deutschland ein Hochtemperatur-Leiterseil in einer Hochspannungsleitung installiert" worden sei, ist allerdings nicht ganz zutreffend bzw. mißverständlich. Es handelt sich lediglich um die bisher längste Strecke dieser Art. Tatsächlich werden in Deutschland ähnliche Hochtemperatur-Leiterseile schon seit 2009 sowohl im Übertragungs- als auch im Verteilungsbereich eingesetzt. Es handelt sich um Leiterseile des Typs ACCR (Aluminium Conductor Composite Reinforced), die der US-amerikanische Technologiekonzern 3 M herstellt. Sie sind mit einer Betriebstemperatur von bis zu 210 Grad belastbar, können die doppelte Leistung eines herkömmlichen Leiterseils übertragen und hängen noch weniger durch, was die Verwendung vorhandener Strommasten ohne Veränderung ermöglicht. Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion testet sie seit 2009 auf der 8,4 Kilometer langen 400-kV-Strecke Hanekenfähr-Gersteinwerk und die TransnetBW seit 2011 auf der 0,5 Kilometer langen 220-kV-Strecke Daxlanden-Eichstätten. Im Verteilnetzbereich sammelt die E.ON Netz schon seit 2009 Erfahrungen mit der 2,7 Kilometer langen 110-kV-Verbindung zwischen Ostermoor und Marne. Im vorigen Jahr folgte 50Hertz mit einer 0,5 Kilometer langen Strecke am Umspannwerk Güstrow.

Momentan betreibt auch der Übertragungsnetzbetreiber TenneT die Umrüstung einer 10,8 Kilometer langen Teilstrecke der bestehenden 220-kV-Leitung Stade-Sottrum. Neben dem ACCR-Typ von 3 M sollen dabei die Hochtemperatur-Leiterseile von zwei anderen Herstellern getestet werden.

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