Juli 2013 |
130707 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bei der vor vier Jahren gegründeten Wüstenstrom-Planungsgesellschaft Dii GmbH (090702) ist es zu einem offenen Machtkampf innerhalb der Geschäftsführung gekommen, der mit der Entlassung der Mit-Geschäftsführerin Aglaia Wieland endete. Wie die Gesellschaft am 9. Juli mitteilte, wird fortan Paul van Son als alleiniger Geschäftsführer das Sagen haben. Hintergrund des Streits waren offenbar unterschiedliche Ansichten über die strategische Ausrichtung des Unternehmens. In diesem Zusammenhang gab am 1. Juli die Stiftung "Desertec" ihren Rückzug aus der Projektgesellschaft bekannt. Der Kreis der derzeit 19 Dii-Gesellschafter besteht damit nur noch aus Finanz- und Industrieunternehmen wie Munich Re, Deutsche Bank, E.ON, RWE, ABB oder Schott Solar.
Die gemeinnützige Stiftung Desertec wurde im Januar 2009 vom Club of Rome Deutschland und Privatpersonen gegründet, um die Versorgung Europas mit Solarstrom aus den sonnenreichen Gebieten Nordafrikas und des Mittelmeerraums zu propagieren. Sie stützte sich dabei auf Studien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ein halbes Jahr später erhielten diese Pläne kräftigen Auftrieb durch ein Konsortium aus Finanz- und Industrieunternehmen, das bis 2050 auf diese Weise 15 Prozent des europäischen Strombedarfs decken wollte und die dafür erforderlichen Kosten auf 400 Milliarden Euro taxierte (090604).
Anfangs präsentierten sich die "Desertec Foundation" und die geplante "Desertec Industrial Initiative" (DII) wie siamesische Zwillinge (090702). Schon bald legte die Stiftung aber Wert darauf, nicht mehr mit der kommerziellen Planungsgesellschaft verwechselt zu werden, deren Geschäftsführer Paul van Son inzwischen massiv Lobbyarbeit betrieb und bei der Bundesregierung auf politische wie finanzielle Unterstützung drängte (100806). Der Grund dafür war offenbar, daß sich Stiftung und Planungsgesellschaft nicht über die Überlassung der Namensrechte an "Desertec" und die dafür zu zahlende Summe einigen konnten. Bei der Eintragung ins Münchener Handelsregister – die im Oktober 2009 angemeldet, aber erst im Januar 2010 abgeschlossen wurde – firmierte die Planungsgesellschaft deshalb lediglich unter dem Kürzel "Dii GmbH". Es war ihr auch untersagt, sich in anderer Weise des Namens "Desertec" zu bedienen. Die Stiftung Desertec blieb jedoch an dem Konsortium beteiligt.
Mit dem nunmehr erfolgten Austritt aus dem Dii-Konsortium zieht die Stiftung erklärtermaßen "die Konsequenzen aus den unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten bezüglich der zukünftigen Strategie, den Aufgaben und der dafür notwendigen Kommunikation sowie nicht zuletzt des Führungsstils der DII-Spitze". Sie will mit diesem Schritt auch vermeiden, "unverschuldet in den Sog der negativen Berichterstattung über die Führungskrise und Orientierungslosigkeit des Industriekonsortiums gezogen zu werden". Der Führungsstreit habe bereits zu erheblichen Irritationen bei Partnern der Stiftung geführt, indem es den Ruf des Desertec-Konzepts und das Vertrauen in seine Machbarkeit zerstörte.
Mit dieser Machbarkeit war es von Anfang an nicht gut bestellt. Neben dem Streit um die kommerzielle Verwertung des zugkräftigen Namens "Desertec" dürfte der Kern des Konflikts deshalb in den ungelösten finanziellen, politischen und technischen Problemen liegen, die eine Realisierung des Desertec-Projekts weder möglich noch wünschenswert erscheinen lassen. Zum Beispiel wäre es politisch ein hohes Risiko, die europäische Stromversorgung in erheblichem Umfang von solarthermischen Anlagen in den Wüsten Nordafrikas abhängig zu machen. Technisch wäre es eher widersinnig, die Dezentralisierung der Stromerzeugung, wie sie sich derzeit abzeichnet, durch ein solches Großprojekt wieder umzukehren. Finanziell würde es sich insoweit eher um eine gigantische Fehlinvestition handeln, als der Ausbau der erneuerbaren Energien an verbrauchsnahen Standorten in Europa sicher sinnvoller, billiger und unproblematischer wäre.
Vermutlich haben auch solche Überlegungen den Siemens-Konzern veranlaßt, seine Mitgliedschaft im Dii-Konsortium zu beenden (121012). Bei den anderen Finanz- und Industrieunternehmen dürfte inzwischen ebenfalls Ernüchterung eingetreten sein, was den Sinn und die Realisierbarkeit eines solchen Großprojekts betrifft. Sie gehen zwar weiterhin mit der ursprünglichen Vision vom Wüstenstrom für Europa hausieren, um möglichst viel finanzielle und politische Unterstützung seitens der Bundesregierung, der EU-Kommission und aus anderen Quellen zu erhalten. In der Praxis backen sie aber längst kleinere Brötchen.
Deutlich wurde diese Zweigleisigkeit, als die Dii vor einem Jahr eine neue Studie publizierte, wonach bis 2050 sogar ein Fünftel der europäischen Strombedarfs aus den Wüsten Nordafrikas und des Nahen Ostens kommen könne. Ebenfalls propagandistischen Zwecken diente eine dreitägige Konferenz, die das Konsortium im November 2012 in den Räumen des Auswärtigen Amts in Berlin veranstaltete. Dabei wurde die geplante Errichtung eines solarthermischen Kraftwerks mit 150 MW im marokkanischen Wüstenort Quarzazate vorgestellt. Dieses Kraftwerk werde dann – so hieß es – über Spanien ins europäische Netz einspeisen und so das erste Referenzprojekt für Desertec darstellen.
Unter den den fast 600 Teilnehmern der Konferenz befand sich auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der ein Faible für stromwirtschaftliche Großprojekte hat, obwohl oder gerade weil er nicht sonderlich viel von Stromwirtschaft versteht (101217). Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" (9.11.) äußerte sich Oettinger zuversichtlich, sowohl Spanien als auch Deutschland, Frankreich und Italien für den praktischen Einstieg in die Desertec-Vision gewinnen zu können: "Wir brauchen in den nächsten zwei Jahren erste konkrete Projekte, die zeigen, daß die Wüstenstromvision finanziell und technisch machbar ist. Dann werden andere Investitionen folgen."
Tatsächlich ging es bei dem angeblichen Referenzprojekt in Marokko aber allenfalls um ein solarthermisches Kraftwerk für den Eigenbedarf des Landes, das derzeit über zwei Stromleitungen durch die Meerenge von Gibraltar mit Strom aus Europa versorgt wird. Auf der anderen Seite, in Spanien, gibt es keinen Bedarf und kein Interesse an dem Projekt. Und das war bereits absehbar, als das Dii-Konsortium mit Unterstützung des Auswärtigen Amts zu der Konferenz einlud.
Der Dii-Geschäftsführer Paul van Son soll das intern auch eingestanden und das angebliche Referenzvorhaben für "tot" erklärt haben. Die Mit-Geschäftsführerin Aglaia Wieland sah das freilich anders, und weil der Streit um die strategische Neuausrichtung nicht nur firmenintern ausgetragen wurde, berichtete darüber am 27. Juni die "Süddeutsche Zeitung". Der Verfasser des Artikels war allerdings insoweit etwas einseitig informiert, als er die Ende des Monats anstehende Vertragsverlängerung van Sons gefährdet sah. Tatsächlich beschlossen die 19 Gesellschafter am 9. Juli den Rausschmiß Wielands und inthronisierten van Son als alleinigen Geschäftsführer.
In der offiziellen Mitteilung des Dii-Konsortiums war lediglich von einer "Neustrukturierung" der Geschäftsleitung die Rede. Die Gesellschafter dankten Aglaia Wieland, die das Unternehmen "verlasse", in dürren Worten für die geleistete Arbeit. Im übrigen betonten sie vor allem ihre "Einigkeit über die strategische Ausrichtung des Unternehmens":
"Dii arbeitet unverändert an der Schaffung eines Marktes für erneuerbaren Strom, der Nordafrika, den Nahen Osten und Europa verbindet. Wüstenstrom aus Sonne und Wind wird dabei für die Deckung des stark wachsenden Bedarfs im Nahen Osten und in Nordafrika eine tragende Rolle spielen. Die vorhandenen Ressourcen erlauben darüber hinaus einen in den nächsten Jahrzehnten stetig wachsenden Export kostengünstigen und klimafreundlichen Wüstenstroms nach Europa."
Deutlicher gesagt: Wüstenstrom aus Sonne und Wind ist praktisch nur für jene Länder bedeutsam, in denen er erzeugt wird. Sein "stetig wachsender Export" nach Europa bleibt dagegen Theorie – basierend auf der genauso richtigen wie banalen Feststellung, daß die in den Wüstenländern "vorhandenen Ressourcen" an Sonne und Wind ein Vielfaches des Eigenbedarfs decken könnten.