August 2017

170804

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Etwas skurril wirkt es schon, wie die "Energie-Fakten" direkt über der Mitteilung der Vereinsauflösung weiterhin um Mitglieder für den Verein werben...

Atomkonzerne spenden zu wenig: Aus für "Energie-Fakten"

Der Förderverein des kernkraftfreundlichen Internet-Portals "Energie-Fakten" hat sich aufgelöst. Die Liquidierung wurde vom Vorstand ohne Begründung bekanntgegeben. Offenbar sind aber die Atomkonzerne und andere Wirtschaftskreise nicht mehr bereit, das Projekt im bisherigen Umfang durch Spenden zu unterstützen.

Im August ließen sich die Energie-Fakten noch wie gewohnt aufrufen. Allerdings scheiterte der Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem Vereinsvorsitzenden Manfred Popp daran, daß die für Anfragen angegebene E-Post-Adresse nicht mehr funktionierte. Lediglich der Webmaster und Kassenwart des Vereins, Klaus Theißing, war noch erreichbar. Dieser bestätigte die Vermutung, daß es sich wegen des geringen Spendenaufkommens nicht mehr rentiert habe, den Förderverein beizubehalten.

Zudem habe die Anzahl der Mitglieder und die Höhe der Beiträge nicht ausgereicht, teilte Theißing auf Anfrage der ENERGIE-CHRONIK mit. Der Markenname Energie-Fakten sei in seinen Besitz übergegangen. Die bisherigen Inhalte der Seite würden in Kürze gelöscht. Theißing betreut unter anderem noch die Webseite des Wirtschaftsverbands Kernbrennstoff-Kreislauf und Kerntechnik e.V. Ferner bietet er die Webadresse "atomkraft-ja-bitte.de" zum Verkauf an, die nur noch als Domain-Name ohne Inhalte existiert.

Kernkraft-Fans wollten Atomausstieg nicht akzeptieren


Sieht eindrucksvoll aus, besagt aber wenig: Mit dieser Seitenabrufs-Statistik wollten die "Energie-Fakten" Werbekunden und Sponsoren beeindrucken.

Die Energie-Fakten entstanden im Jahr 2000, als die rot-grüne Bundesregierung und die vier KKW-Betreiber sich über die Rahmenbedingungen für die "geordnete Beendigung der Kernenergie" einigten (000601). Der damals erzielte Atomkonsens war von Anfang an brüchig, weil die KKW-Betreiber hofften, ihn mit Hilfe von Union und FDP möglichst bald revidieren zu können (050502). Offiziell mußten sie den gesetzlich verankerten Atomausstieg aber bis auf weiteres respektieren (041007). Das galt auch für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Da fügte es sich gut, daß es in der Strombranche und deren Umfeld noch immer viele Anhänger der Kernenergie gab, die auch ohne förmlichen Auftrag und Lohn bereit waren, wider den Stachel des Atomausstiegs zu löcken.

Im Unterschied zu dem seit 1959 bestehenden Deutschen Atomforum oder dem 1975 gegründeten Informationskreis Kernenergie handelte es sich bei den Energie-Fakten jedenfalls um keine direkte Veranstaltung der Atomkonzerne. Vielmehr wurden hier Fachleute aus verschiedenen Bereichen der "Atomgemeinde" von sich aus aktiv, weil sie den Ausstieg aus der Kernenergie aus persönlicher Überzeugung für eine Fehlentscheidung hielten oder eine Entwertung ihrer beruflichen Karriere befürchteten, die eng mit der Atomwirtschaft verflochten war. Als Privatpersonen blieb es ihnen unbenommen, alternative Szenarien zu verfechten, in denen die Kernenergie weiterhin ihren festen Platz hatte. Sie konnten sich in dieser Hinsicht unbefangener und elastischer bewegen als die regulären Öffentlichkeitsarbeiter der Atomkonzerne.

Führende VDEW-Mitarbeiter wurden als Ruheständler aktiv

Initiator der Energie-Fakten war der frühere Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Joachim Grawe, der den Verband bis 1997 geleitet hatte (971013). Schon als VDEW-Chef propagierte Grawe einen Mix aus Kernenergie, Erneuerbaren und "innovativen Techniken" wie Kohlevergasung. Aus seiner Sicht waren das alles "Zukunftsenergien", die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften. Daß dabei den Erneuerbaren nur der zweite oder dritte Rang gebühre, konnte man freilich heraushören. Ähnlich war der Grundton der Energie-Fakten gestimmt, für die Grawe bis 2008 als Herausgeber amtierte.

Zu Grawes "Rentner-Band" (Branchenspott) gesellten sich noch andere Mitstreiter aus der Stromwirtschaft und ihrem kernenergetischen Umfeld. Etwa der stellvertretende VDEW-Hauptgeschäftsführer Eckhard Schulz, der 2004 pensioniert wurde. Oder der frühere VDEW-Abteilungsleiter Friedrich Kienle, der zuletzt als Geschäftsführer des "Verbands der Verbundwirtschaft" (VdV) fungierte. Dieser Mini-Verband bestand praktisch nur aus dem Geschäftsführer und war eine kurzfristige Verlegenheitslösung, um im Zuge der Reform der stromwirtschaftlichen Verbändearbeit (000618) die Interessen der KKW-Betreiber neu zu bündeln. Als er 2002 wieder aufgelöst wurde (020510), fiel der Kernenergie-Fan Kienle ins Bergfreie und schied frustriert ob der "unterschiedlichen Auffassungen" aus den Diensten der Stromversorger. Aus dem politischen Bereich stieß der Europa-Abgeordnete Rolf Linkohr (SPD) hinzu, der sich 1995 vom Gegner zum Befürworter der Kernenergie gemausert hatte (950201). Weitere Verstärkung erhielt die Grawe-Truppe durch Mitarbeiter der Kernforschungszentren Karlsruhe und Jülich, die mittlerweile die Silbe "Kern" im Namen gestrichen hatten.

Förderverein sollte vermehrten Finanzbedarf für technische Aufrüstung decken

Im Jahr 2009 kam es zur Gründung eines Fördervereins mit Sitz in Karlsruhe, der vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt wurde. Damit hatten Unterstützer die Möglichkeit, ihre Spenden steuermindernd geltend zu machen. Den vermehrten Finanzbedarf erklärte man mit der technischen Aufrüstung der Seite, die nun auch Werbeeinblendungen oder den Bezug von Video- und Audiodateien als "Podcasts" anbieten wollte. Die Anzeigen kosteten je nach Größe zwischen 200 und 1000 Euro monatlich bzw. zwischen 375 und 2500 Euro jährlich.

Den Vorsitz des neuen Vereins übernahm Manfred Popp, der seit 2007 den Vorsitz des "Lenkungsausschusses" innehatte. Popp war Ministerialdirigent im Bundesforschungsministerium, bevor er in den achtziger Jahren wegen des geplanten Atomausstiegs der SPD den Rücken kehrte und seine Karriere im Umweltministerium des CDU-regierten Landes Hessen fortsetzte. 1991 wurde er Vorstandsvorsitzender des Kernforschungszentrums Karlsruhe, das seit 1995 nur noch "Forschungszentrum" hieß (941213) und 2009 mit der örtlichen Universität zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) fusionierte. Wie sein Vorgänger Grawe hatte Popp das Bundesverdienstkreuz und eine Honorarprofessur verliehen bekommen.

Je nach Optik "eine Initiative unabhängiger Fachleute" oder "ein Abklingbecken für altgediente Atomlobbyisten "

Die Energie-Fakten bezeichneten sich als "eine Initiative unabhängiger Fachleute, die sich beruflich in Wissenschaft und Wirtschaft mit unterschiedlichen Fragen der Energieversorgung und deren Wechselbeziehungen zu Umwelt und Gesellschaft beschäftigen". Ziel dieser Fachleute sei es, "ihr Wissen und ihre Erfahrungen über das Internet einer möglichst breiten interessierten Öffentlichkeit 'per Mausklick' zur Verfügung zu stellen". Dies geschehe "wissenschaftlich kompetent und unabhängig" sowie "klar und leicht verständlich wie möglich". Allgemein gehe es ihnen "um die nachhaltige Versorgung mit Energie in Deutschland und weltweit heute und morgen auf der Grundlage liberalisierter Märkte für alle Energieträger und -quellen".

Mit dem angeblich vorurteilslosen Blick auf die Energiewirtschaft war es allerdings nicht so weit her. Zumindest in kernkraftkritischen Kreisen hatten die Energie-Fakten keinen guten Ruf. Der einschlägige Wikipedia-Artikel konstatiert "personelle Überschneidungen zwischen den Machern der Website und Lobbyorganisationen zur Förderung der Atomenergie, insbesondere der Kerntechnischen Gesellschaft und dem Verein Bürger für Technik e.V.". Die Verfasser des Wikis "AtomkraftwerkePlag" spotteten: "Man könnte das Internet-Portal auch als ein Abklingbecken für altgediente Atomlobbyisten bezeichnen." Sogar das "Nuclear Energy Handbook" der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO hat die Energie-Fakten einst ganz unbefangen als "pro nuclear site" eingestuft – und offenbar nicht bedacht, daß es damit den Intentionen der Herausgeber einen Bärendienst erwies. Inzwischen ist der Eintrag gelöscht.

Resonanz blieb bescheiden – trotz über zwei Millionen Seitenabrufen

Wegen der eher langweiligen und wenig informativen Machart, die mehr Bräsigkeit als Seriösität ausstrahlte, dürfte sich die Attraktivität der Energie-Fakten für Nutzer wie für Werbekunden in engen Grenzen gehalten haben. In den Anfängen mußte man die Seitenabrufe wohl mit der Lupe suchen, denn sie wurden erst gar nicht ausgewiesen (siehe Grafik). Bis 2010 stiegen sie dann auf bis zu 1,1 Millionen jährlich. Nach der Vereinsgründung unter dem Vorsitz von Popp wurden es zeitweilig über zwei Millionen. Damit seien die Energie-Fakten "eine der größten unabhängigen Informationsplattformen im deutschsprachigen Internet zu Energiefragen", hieß es vollmundig. Webmaster Theißing glaubt sogar, daß es sich um die "meistbesuchte unabhängige Seite Deutschlands" gehandelt habe. Indessen sind zwei Millionen Seitenabrufe pro Jahr für ein Internet-Portal überhaupt nicht viel: Schon eine rein private Webseite wie die vorliegende, zu der die ENERGIE-CHRONIK gehört, hat in den vergangenen zwölf Monaten nachweislich 3,65 Millionen Seitenabrufe gehabt – und das mit minimalem Aufwand, ohne Sponsoren und völlig frei von Werbung.

 

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