Januar 2019

190107

ENERGIE-CHRONIK


EU-Staaten erklären internationale Schiedsgerichte im Binnenmarkt für unzulässig

In einer gemeinsamen Erklärung, die sie am 15. Januar in Brüssel unterzeichneten, haben die Vertreter von 22 EU-Staaten den Vorrang des Unionsrechts vor bilateralen Investitionsschutzverträgen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten unterstrichen. Solche Verträge verstießen gegen EU-Recht und seien deshalb nicht anwendbar, wenn sie Investoren die Möglichkeit eröffnen, den Staat vor einem Schiedsgericht auf Schadenersatz zu verklagen. Die Unterzeichner der Erklärung verpflichten sich, ihre wechselseiten bilateralen Investitionsschutzverträge bis zum 6. Dezember 2019 zu beenden. Darüber hinaus seien aber auch internationale Abkommen wie der Energiechartavertrag, die von der Europäischen Union selber unterzeichnet wurden, als "integraler Bestandteil der EU-Rechtsordnung" auf diese verpflichtet. Schiedsgerichte dürften deshalb den  Energiechartavertrag nicht so auslegen, als ob er eine zwischen den EU-Mitgliedstaaten anwendbare Schiedsklausel für Investoren und Staaten enthalte.  Eine solche Auslegung sei mit dem Unionsrecht unvereinbar und müsse außer Kraft gesetzt werden (siehe Wortlaut der Erklärung).

Vattenfall wendet sich wegen Krümmel und Brunsbüttel an die falsche Adresse

Damit bestreiten die 22 EU-Staaten dem Vattenfall-Konzern das Recht, auf Grundlage der sogenannten Energie-Charta beim ICSID-Schiedsgericht in Washington 4,7 Milliarden Euro an Schadenersatz für die Abschaltung seiner Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel von Deutschland zu verlangen. Der schwedische Staatskonzern hatte diese Klage 2012 in Washington eingereicht und sie auch dann noch aufrechterhalten, nachdem ihm erst vom Bundesverfassungsgericht (161201) und dann auch noch per Gesetz (180601) eine Entschädigung für jene Reststrommengen zugesprochen wurde, die er aufgrund der schweren juristischen Fehler bei der Re-Revision des Atomgesetzes im Jahre 2011 nicht mehr selber abarbeiten konnte (siehe Hintergrund, Mai 2018).

Schweden und fünf weitere EU-Mitglieder fehlen auf der Liste der Unterzeichner

Der Vattenfall-Eigentümer Schweden fehlt auf der Liste der Unterzeichner. Außerdem haben Finnland, Luxemburg, Malta, Ungarn und Slowenien abweichende Erklärungen abgegeben. Trotzdem werden diese sechs Länder ihre Partialinteressen nicht auf Dauer gegen die große Mehrheit der Mitgliedsstaaten durchsetzen wollen und können.

Auch die ICSID-Klagen deutscher Unternehmen gegen Spanien sind unzulässig

Im energiewirtschaftlichen Bereich geht es, soweit deutsche Unternehmen betroffen sind, nicht nur um Krümmel und Brunsbüttel. Beispielsweise haben die Stadtwerke München und Köln (RheinEnergie), Innogy und sechs weitere Unternehmen auf Grundlage der Energie-Charta ebenfalls ein ICSID-Verfahren angestrengt. Beklagter ist dabei der spanische Staat, weil er mit der Kürzung der Solarförderung ihre Investitionserwartungen in Andalusien enttäuschte (170510, 160203). Schon vor zwanzig Jahren konnte Vattenfall die Bundesregierung mit einer ICSID-Klage unter Druck setzen, weil die Hamburger Landesregierung für das neue Kraftwerk Moorburg anstelle der Direktkühlung mit Elbwasser die Errichtung eines Hybrid-Kühlturms vorgeschrieben hatte (100812).

Achmea-Urteil betrifft nicht nur bilaterale Abkommen zwischen EU-Staaten

Zunächst war Anfang vorigen Jahres eine Entscheidung des Washingtoner Schiedsgerichts zur KKW-Klage von Vattenfall erwartet worden. Am 6. März 2018 sorgte aber ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für weitere Verzögerung:  Dieser erklärte eine Schiedsklausel für ungültig, die der niederländische Versicherungskonzern Achmea 1991 mit der Tschechoslowakei bzw. der Slowakei als Nachfolgestaat vereinbart hatte. Aus Sicht der Luxemburger Richter beeinträchtigt ein solches Schiedsverfahren die Autonomie des Unionsrechts und ist deshalb nicht mit ihm vereinbar. Bundesregierung und EU brachten daraufhin die EuGH-Entscheidung in das Washingtoner Schiedsverfahren mit ein. Das Schiedsgericht war allerdings der Meinung, dass der vom EuGH entschiedene Fall nur ein bilaterales Investitionsschutzabkommen zwischen zwei EU-Staaten betreffe. Vor diesem Hintergrund nimmt die jetzt beschlossene Erklärung der 22 EU-Staaten mehrfach auf das Achmea-Urteil Bezug und stellt ausdrücklich klar, dass sich diese Entscheidung auch auf die Energie-Charta bezieht.

Präsident der Weltbank zögert mit Entscheidung

Die Bundesregierung hat am 12. November die Absetzung aller drei Mitglieder des ICSID-Schiedsgerichts wegen Befangenheit beantragt (181110). Den Regularien zufolge hätte der Präsident der Weltbank, der Koreaner Jim Yong Kim, innerhalb von 30 Tagen über den Antrag entscheiden müssen. Offenbar gibt es eine solche Entscheidung bisher nicht. Auf der ICSID-Webseite findet man zum aktuellen Stand des Verfahrens lediglich den Hinweis: "11. Dezember 2018 – Die Beklagte reicht weitere Einwendungen zum Antrag auf Disqualifikation ein."

 

Links (intern)