April 2019 |
190405 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat sich mit dem Entwurf einer "Nationalen Industriestrategie 2030", den er am 5. Februar vorlegte, bei großen Teilen der deutschen Wirtschaft in die Nesseln gesetzt. Besonderen Anstoß erregte ein protektionistisch anmutendes Konzept, das er unter der Überschrift "Nationale und europäische Champions: Größe zählt – Size matters!" entwirft und wie eine Neuauflage der "Züchtung nationaler Champions" anmutet, die einst die Schröder-Regierung zum energiepolitischen Programm erhoben hat (040701).
Altmaiers Sichtweise läuft ebenfalls auf die staatliche Förderung marktbeherrschender Unternehmen hinaus. Er bedauert, dass in Deutschland seit Jahren kaum noch neue Unternehmen entstünden, die es an Größe und Weltgeltung mit "bereits bestehenden Champions wie Siemens, Thyssen-Krupp, Automobilhersteller oder Deutsche Bank" aufnehmen könnten. Auch die Gründung von Airbus als "große neuere Erfolgsgeschichte" liege schon fünfzig Jahre zurück. Oft würden deutsche oder europäische Fusionen, die mit Blick auf den Weltmarkt sinnvoll und notwendig seien, am geltenden Recht scheitern, weil dieses auf nationale und regionale Märkte ausgerichtet sei. Das europäische und deutsche Wettbewerbsrecht müssten deshalb überprüft und gegebenenfalls geändert werden, "damit für deutsche und europäische Unternehmen ein internationaler Wettbewerb 'auf Augenhöhe' möglich bleibt".
"Je größer die volkswirtschaftliche Bedeutung eines Vorgangs, desto größer muss der Spielraum des Staates für aktive und aktivierende Gestaltung sein", heißt es in dem Papier. Dies könne bis zur zeitlich befristeten Übernahme von Unternehmensanteilen durch den Staat oder die Gewährung von Beihilfen gehen. Insgesamt dürfe sich der Anteil staatlicher Beteiligungen langfristig aber nicht erhöhen. Deshalb komme die Schaffung einer "nationalen Beteiligungsfazilität" in Betracht, über deren Umfang regelmäßig dem Parlament zu berichten ist.
Nachträglich wird nun auch klarer, weshalb Altmaier schätzungsweise eine Milliarde Euro dafür ausgegeben hat, den Erwerb eine Fünftelbeteiligung am ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz durch die State Grid Corporation of China (SGCC) zu verhindern (180709, 180603). Die staatliche Untersagung von Unternehmensübernahmen durch ausländische Wettbewerber sei auch künftig an strenge Voraussetzungen zu knüpfen, versichert er in dem Papier. Sie dürfe im Einzelfall nur dann erfolgen, "wenn dies zur Abwehr von Gefährdungen der nationalen Sicherheit, einschließlich des Bereichs der kritischen Infrastrukturen, erforderlich ist". – Anscheinend sah er bei 50Hertz einen solchen Notfall bereits gegeben.
Das Echo in Wirtschaftskreisen war äußerst negativ, bis hin zu der Frage, ob Altmaier für den Posten des Wirtschaftsministers geeignet sei. Zu den Kritikern gehörte auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium. In einem Brief an Altmaier zerpflückte er dessen Sichtweise gleich in mehreren Punkten. Der Brief ist vom 8. Februar datiert und nimmt Bezug auf eine Sitzung am Vortag, bei der Altmaier seine "nationale Industriestrategie" vorgestellt hatte. Veröffentlicht wurde er allerdings erst am 4. April. Unter anderem gaben die Beiräte dem Minister zu bedenken: "Wenn 'national champions' die Politik drängen, sie im internationalen Wettbewerb zu unterstützen, ist besondere Vorsicht geboten. Hier geht es in aller Regel nicht um das nationale Interesse, sondern um die Interessen der Unternehmen, ihrer Aktionäre und Mitarbeiter, die zulasten des Steuerzahlers gefördert werden wollen. Die Aktien dieser Unternehmen liegen im Übrigen zu einem großen Teil im Ausland."