Juli 2019 |
190706 |
ENERGIE-CHRONIK |
Mehr als die Hälfte des belgischen Atomstroms kommt aus den vier Reaktoren des Kernkraftwerks Doel an der Schelde. Die Blöcke 1 und 2 (rechts) sind die ältesten der insgesamt sieben belgischen Reaktoren und hätten eigentlich 2015 stillgelegt werden müssen. Die Regierung sorgte aber für eine Gesetzesänderung, die dem Betreiber Electrabel eine Ausweitung der Laufzeiten auf fünfzig Jahre sowie eine starke Ermäßigung der steuerlichen Abschöpfung der KKW-Gewinne beschert. |
Der belgische Gesetzgeber verstieß gegen europäisches Recht, als er 2015 die Laufzeiten der Kernkraftwerke Doel 1 und Doel 2 für weitere zehn Jahre verlängerte. So entschied am 29. Juli der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. In Gang gebracht hatten das Verfahren zwei belgische Umweltschutzvereinigungen, die vor dem belgischen Verfassungsgericht eine Nichtigkeitsklage gegen das Verlängerungsgesetz erhoben, weil Regierung und Parlament die Verlängerung ohne Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit beschlossen. Sie beriefen sich dabei auf das Übereinkommen von Aarhus über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten sowie auf die UVP-Richtlinie, die Habitatrichtlinie und die Vogelschutzrichtlinie. Der belgische Verfassungsgerichtshof hatte deshalb den Europäischen Gerichtshof um seine Auslegung dieser Übereinkommen und Richtlinien ersucht.
Dem Urteil zufolge lässt sich die zehnjährige Verlängerung der Laufzeiten mit den Risiken einer Erstinbetriebnahme dieser Kraftwerke vergleichen. Deshalb müsse ein solches Projekt zwingend einer Prüfung gemäß der UVP-Richtlinie unterzogen werden. Wegen der Nähe der beiden Reaktoren zu einem anderen Mitgliedsstaat– namentlich werden nur die Niederlande genannt, aber auch Deutschland ist betroffen – müsse ein solches Projekt hinzu einem grenzüberschreitenden Prüfungsverfahren nach dieser Richtlinie unterzogen werden. Diese Prüfungen hätte vor dem Erlass des Gesetzes erfolgen müssen, mit dem die Laufzeit der betreffenden Kraftwerke verlängert wurde.
Ob die beiden Reaktoren nun tatsächlich abgeschaltet werden, ist vorläufig unklar. Die Richter lassen hier insofern ein Schlupfloch, als ein nationales Gericht die Fortdauer des an sich unrechtmäßig zustande gekommenen KKW-Betriebs anordnen kann, "wenn im Fall einer Aufhebung oder Aussetzung der Wirkungen dieser Maßnahmen die tatsächliche und schwerwiegenden Gefahr einer Unterbrechung der Stromversorgung des betreffenden Mitgliedsstaates bestünde, der nicht mit anderen Mitteln und Alternativen, insbesondere im Rahmen des Binnenmarkts, entgegengetreten werden kann".
Die beiden Umweltschutzvereinigungen Bond Beter Leefmilieu (BBL)
und Inter-Environnement Wallonie (IEW) begrüßten das von ihnen erstrittene
Urteil. Sie hoffen nun auf eine baldige Entscheidung des belgischen Verfassungsgerichtshofs,
mit der die Stillegung von Doel 1 und Doel 2 verfügt wird. Nach Überzeugung
der belgischen Umweltschutzorganisationen werde dies keine gravierenden Auswirkungen
auf die Versorgungssicherheit haben.