November 2020

201107

ENERGIE-CHRONIK


Neben dem stillgelegten Kernkraftwerk Biblis entsteht ein Gaskraftwerk für Notfälle

Auf dem Gelände des stillgelegten Kernkraftwerks Biblis wird ein Gaskraftwerk errichtet, das ausschließlich dazu dient, in kritischen Netzsituationen die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten. Wie der Übertragungsnetzbetreiber Amprion am 13. November mitteilte, hat er die RWE Generation SE mit dem Bau dieses Notfall-Kraftwerks beauftragt, das aus elf Gasturbinen mit einer Leistung von insgesamt 300 MW besteht. Den Betrieb des Kraftwerks wird ebenfalls RWE besorgen, da den Netzbetreibern noch immer untersagt ist, den zur Erfüllung ihre Aufgaben notwendigen Strom selber zu erzeugen.

TenneT baut bereits in Irsching und TransnetBW in Marbach

Es handelt sich um die dritte von insgesamt vier "Netzstabilitätsanlagen", die von den Übertragungsnetzbetreibern Amprion, TenneT und TransnetBW in Süddeutschland errichtet werden, um drohenden Stromausfällen vorzubeugen. Der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz ist nur im Norden tätig und deshalb von der Problematik nicht betroffen. Die Notfall-Kraftwerke sollen bis 2022 fertig sein und dann zehn Jahre lang zur Verfügung stehen. TenneT und TransnetBW haben entsprechende Aufträge für die Standorte Irsching (190103) und Marbach (190806) schon im Vorjahr vergeben. Die Auftragsvergabe für die vierte Anlage im Raum Gundremmingen sollte ebenfalls schon erfolgt sein. Sie wurde aber angefochten und deshalb erneut ausgeschrieben. Mit der Bekanntgabe des neuen Ergebnisses durch Amprion ist in Kürze zu rechnen.

"Netzstabilitätsanlagen" sollen Stromausfälle in Süddeutschland verhindern

Die Notfall-Kraftwerke sind als Ersatzlösung gedacht, weil der Netzausbau zur Behebung der Engpässe zwischen dem Norden und Süden Deutschlands nicht schnell genug vorankommt. Zunächst hielten es die Übertragungsnetzbetreiber sogar für erforderlich, an den süddeutschen Netzknotenpunkten schnell hochfahrbare Gaskraftwerke mit einer Leistung von insgesamt rund 2000 MW zu errichten, damit es nicht zu gravierenden Störungen der deutschen und europäischen Stromversorgung kommt. Sie hielten es ferner für sinnvoll und notwendig, diese Kraftwerke in eigener Regie zu betreiben (170204). Grundlage dafür wäre der neu eingefügte § 13k im Energiewirtschaftsgesetz gewesen, der den Übertragungsnetzbetreibern ausdrücklich die Errichtung von "Netzstabilitätsanlagen" erlaubte.

Im EnWG ist nur noch von "besonderen technischen Betriebsmitteln" die Rede

Die Bundesnetzagentur hat dann diesen angemeldeten Bedarf auf 1200 MW gekürzt, weil der mögliche Einsatz von Pumpspeicherkraftwerken nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Außerdem hat die Große Koalition im Juni 2017 den § 13k im Energiewirtschaftsgesetz kurzerhand wieder gestrichen. Der Wirtschaftsausschuss des Bundestags begründete dies mit der angeblichen Notwendigkeit eines "diskriminierungsfreien Zugangs zum Auftragsvolumen der Übertragungsnetzbetreiber". Der Begriff "Netzstabilitätsanlage" verschwand ebenfalls aus dem Gesetz und wurde durch den nichtssagenden Ausdruck "besondere technische Betriebsmittel" ersetzt (170604).

Es spricht einiges für die Vermutung, dass dieser Kotau vor der neoliberalen Entflechtungs-Dogmatik auf einen Wink oder sogar auf Druck aus Brüssel zurückzuführen war. Möglicherweise war es aber auch nur der normale Einfluss der Branchenlobby, der die schwarz-rote Mehrheit im Wirtschaftsausschuss zu dieser kurzfristig vorgelegten Beschlussempfehlung veranlasste. Das Abnicken im Plenum war dann, wie üblich, nur noch Formsache.

Das profitable Geschäft mit Bau und Betrieb der Anlagen muss Subunternehmen übertragen werden

Gemäß der Neuformulierung in § 11 Abs. 3 des Energiewirtschaftsgesetzes dürfen die Übertragungsnetzbetreiber seitdem nur noch "besondere netztechnische Betriebsmittel vorhalten, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems bei einem tatsächlichen örtlichen Ausfall eines oder mehrerer Betriebsmittel im Übertragungsnetz wieder herzustellen". Sie bleiben demnach Eigentümer der Netzstabilitätsanlagen, die offiziell so nicht mehr genannt werden, und sind als einzige befugt, über deren Einsatz zu entscheiden. Mit dem profitablen Geschäft aus Bau, Vorhaltung und Betrieb der Anlagen haben sie aber "Dritte zu beauftragen". Die Rechnungen, die ihnen diese vorgeschalteten Unternehmen präsentieren, werden dann über die Netzentgelte an die Stromverbraucher weitergereicht.

Nach Ansicht von Kritikern ist dies ein weiteres Beispiel dafür, wie der neoliberalisierte Strommarkt die profitablen Bereiche aus der Regulierung herauslöst und dadurch entstehende Mehrkosten über die Netzentgelte oder andere Umlagen zwangsweise den Verbrauchern auferlegt. Im Unterschied zu den Netzbetreibern unterliegen die Kraftwerksbetreiber nämlich keinen Kontrollen oder gar Beschränkungen ihrer Erlöse. Wenn die Notfall-Kraftwerke nach zehn Jahren Bereitschaft wieder abgerissen werden – so ist das zumindest bisher vorgesehen – belastet das ebenfalls nur die formalen Eigentümer und damit die Netzentgelte.

Für Außenstehende ist das Vergabeverfahren völlig intransparent

Die Übertragungsnetzbetreiber haben die Aufträge zur Errichtung der vier Netzstabilitätsanlagen "technologieoffen und europaweit ausgeschrieben", wie sie gern hervorheben. Das klingt nach viel Wettbewerb, technischer Vielfalt und Transparenz. Tatsächlich ist der Kreis der möglichen Bewerber aber äußerst exklusiv. Technisch handelt es sich immer um denselben Typ von Gasturbinenkraftwerken, die innerhalb von 30 Minuten auf Volllast kommen und diese für mindestens 38 Stunden halten können. Zu Einzelheiten des Vergabeverfahrens gibt es keine Auskünfte. Man erfährt nicht einmal, wieviele Angebote vorgelegen haben.

Strukturelle Verbundenheit mit dem Netzbetrieb begünstigt Kraftwerksbetreiber der Konzerne bis heute

Objektiv feststellbar ist aber, dass die bisher ergangenen drei Zuschläge sozusagen an geborene Anwärter vergeben wurden, die von vornherein überragende Chancen hatten, weil sie zumindest früher zum selben Konzern gehörten. Am deutlichsten war dies bei der EnBW-Tochter TransnetBW, die den Auftrag für das Gaskraftwerk in Marbach an die Kraftwerksgesellschaft des eigenen Konzerns vergab und dafür auch gute Gründe anführen konnte (190806). Bei TenneT und Amprion ist der Zusammenhang nicht so offensichtlich, weil diese Netzbetreiber sich ganz oder teilweise von den Konzernen E.ON und RWE abgenabelt haben, aus denen sie hervorgegangen sind. Trotzdem zehrte auch die ehemalige E.ON-Tochter Uniper natürlich noch von der strukturellen Verbundenheit unter dem Dach desselben Konzerns, als sie von TenneT den Zuschlag für den Standort Irsching erhielt (190103).

Genauso verhält es sich mit der Amprion GmbH, die bis 2011 eine RWE-Tochter war und an der RWE bis heute eine Sperrminorität besitzt. Unabhängig von dieser noch immer vorhandenen geschäftlichen Verflechtung sprachen schon rein sachlich-technische Erwägungen für eine Netzstabilitätsanlage am Standort des stillgelegten Kernkraftwerks Biblis, weshalb wohl kein anderes Unternehmen in der Lage gewesen wäre, dem RWE-Konzern diesen Auftrag streitig zu machen. Auf Nachfrage wollte Amprion übrigens nicht mitteilen, ob sich auf die europaweite Ausschreibung außer RWE noch ein anderer Bewerber gemeldet hat.

Streit um die vierte Anlage bei Gundremmingen führte zu erneuter Ausschreibung

Dagegen gab es bei der Ausschreibung der vierten Netzstabilitätsanlage im Raum Gundremmingen tatsächlich mehrere Bewerber und echte Konkurrenz. Dieses Projekt liegt im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben, der früher mit den Lech-Werken zur Regelzone von RWE gehörte. Deshalb ist in diesem Gebiet noch heute Amprion als Übertragungsnetzbetreiber zuständig und hatte auch über die Auftragsvergabe zu entscheiden. Die Bekanntgabe des Ergebnisses führte jedoch zu soviel Zoff unter den Beteiligten, dass die europaweite Ausschreibung erneut durchgeführt werden musste. Infolge dieses Streits gab es hier ausnahmsweise auch etwas mehr Transparenz, was den Kreis der Interessenten und ihre Pläne betraf.

Laut Medienberichten hatten sich insgesamt drei Bewerber gemeldet, die in diesem Bereich sowieso Gaskraftwerke planten und bereit gewesen wären, diese Pläne den Ausschreibungsbedingungen anzupassen: Die Stadtwerke Ulm besitzen schon seit 2011 in Leipheim an der Donau ein Grundstück, auf dem sie gemeinsam mit Siemens und Steag ein Gaskraftwerk errichten wollten. Ein paar Kilometer flußabwärts verfügt der RWE-Konzern mit dem Kernkraftwerk Gundremmingen, das 2021 stillgelegt werden soll, über viel nutzbare Fläche mit idealer Netzanbindung. Als dritter zeigte sich die Schweizer Firma PQ Energy interessiert, die auf der anderen Seite der Donau in Gundelfingen sowieso ein Gaskraftwerk bauen wollte.

"Die Angebote wurden geöffnet und befinden sich in Auswertung"

Zu wessen Gunsten die Entscheidung ausgefallen wäre, ist nicht bekannt. Anscheinend hat aber einer der unterlegenen Bewerber die Überprüfung des Ausschreibungsverfahrens verlangt. Amprion hat jedenfalls im Februar 2019 die Zuschlagserteilung gestoppt und anschließend die europaweite Ausschreibung neu gestartet (190806). Auf Nachfrage nach dem aktuellen Stand der Dinge hieß es jetzt nur: "Die Angebote wurden geöffnet und befinden sich in Auswertung. Das Vergabeverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Aus Rücksicht auf das laufende Verfahren können wir leider keine weitergehenden Fragen beantworten."

 

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