November 2020 |
201108 |
ENERGIE-CHRONIK |
Zwischen den beiden Konverterstationen Oberzier und Lixhe verläuft die 90 Kilometer lange Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) 41 Kilometer auf deutschem und 49 Kilometer auf belgischem Gebiet. Sie dient in erster Linie dem Stromhandel. |
Der deutsche Übertragungsnetzbetreiber Amprion und sein belgischer Partner Elia haben am 9. November die erste Direktverbindung zwischen den Stromnetzen beider Länder offiziell in Betrieb genommen. Bei einer Zeremonie im Aachener Rathaus steckten die Unternehmenschefs Klaus Kleinekorte und Chris Peeters zwei Stromkabel symbolisch zusammen, wobei ihnen der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet und die belgische Energieministerin Tinne van der Straeten assistierten. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der belgische Premierminister Alexander de Croo schickten Grußworte. Die Einweihung des "Aachen Lüttich Electricity Grid Overlay" (ALEGrO) wurde per Internet übertragen. Wegen der Corona-Pandemie fand sie aus Gründen des Gesundheitsschutzes ohne Gäste statt.
Die Direktverbindung zwischen dem deutschen und dem belgischen Stromnetz gehörte zu den insgesamt 140 Stromprojekten auf der ersten Liste der vordringlichen Energieprojekte (PCI), welche die EU-Kommission vor sieben Jahren vorlegte und die von ihr finanziell unterstützt wurden (131003). Sie soll die Überlastung des belgischen Netzes mildern, die durch die Ringflüsse zwischen Nord- und Süddeutschland verursacht wird. Wegen der innerdeutschen Netzengpässe sucht sich der in Norddeutschland erzeugte Windstrom seinen Weg nach Süden zu einem erheblichen Teil über die Niederlande, Belgien und Frankreich, während er im Osten die Netze Polens und Tschechiens belastet und dadurch sogar die Auflösung der deutsch-österreichischen Stromhandelszone erzwang (150907, 161016).
Eine Verbindung der beiden Netzknoten Lixhe und Oberzier durch eine 380-kV-Drehstromleitung hätte an dieser Problematik nicht viel geändert, sondern die durch Belgien nach dem Süden verlaufenden Ringflüsse in das norddeutsche Netz zurückgeleitet. Das HGÜ-Kabel kann dagegen eine Leistung von 1.000 MW mit einer Spannung von 320 Kilovolt unabhängig von den angrenzenden Netzen übertragen. Es wirkt sich nicht wie eine zusätzliche Vermaschung des westeuropäischen Verbundnetzes aus, sondern – je nach Betriebsrichtung – wie ein Großkraftwerk oder ein Großverbraucher. Strommenge und Flußrichtung können deshalb den jeweiligen Bedürfnissen angepaßt und genau dosiert werden.
Die HGÜ-Direktverbindung ermöglicht so den Stromhandel zwischen beiden Ländern und dient sogar hauptsächlich diesem Zweck. Seit 18. November steht sie für den vortägigen Handel am Spotmarkt zur Verfügung, ab 8. Dezember auch für den Intraday-Handel. Die Vergabe von Langfristkapazitäten startet Anfang 2021.
Nach der Verschiebung des belgischen Atomausstiegs (160104) wurde auch argumentiert, dass die HGÜ-Verbindung nützlich und notwendig sei, um die Abschaltung der beiden unsichersten belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 (170608) zu ermöglichen. Anfang 2017 legte die damalige rot-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens ein Gutachten vor, wonach es die neue Leitung ermöglichen würde, eine dauerhafte Stilllegung dieser beiden Reaktoren mit Stromlieferungen aus Deutschland zu kompensieren. Beim Bau einer zweiten grenzüberschreitenden Leitung könne sogar die Leistung aller sieben Druckwasserreaktoren ersetzt werden, die in Doel und Tihange noch in Betrieb sind.