Februar 2021 |
210209 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Schweizer Stromwirtschaft dringt auf den Abschluss eines Abkommens mit der EU, das ihr den gleichberechtigten Zugang zum europäischen Strombinnenmarkt sichert, obwohl sie der Gemeinschaft nicht angehört. Andernfalls drohe sie "im strompolitischen Europa zu verschwinden" und "zum Drittland degradiert" zu werden. Diese Befürchtung äußerte der Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), Michael Frank, in einem Artikel, der am 4. Februar auf der Internetseite des nationalen Übertragungsnetzbetreibers Swissgrid veröffentlicht wurde. Offenbar geht es ihm vor allem darum, innenpolitische Widerstände gegen den Abschluss eines solchen Abkommens mit der EU zu überwinden, über das seit 2007 verhandelt wird. Diese Verhandlungen ruhen seit Mitte 2018, weil sich mit dem voluminösen Gesetzgebungspaket "Clean Energy" (190501) der rechtliche Rahmen im Energiebereich der EU stark verändert hat und man in Brüssel auf Fortschritten bei einem sogenannten Institutionellen Abkommen besteht, das den bisherigen bilateralen Nachvollzug wichtiger Änderungen des EU-Rechts durch die Schweiz weiterentwickelt (siehe PDF).
Unter der Überschrift "Strompolitisch nicht ins Abseits geraten" verwies Frank auf den "Stern von Laufenburg", mit dem vor über sechzig Jahren in der Schweiz das europäische Verbundnetz geboren worden sei (siehe ENERGIE-WISSEN). Physisch sei die Schweiz bis heute wie kein anderes Land in das europäische Verbundnetz integriert. Sie funktioniere als Stromdrehscheibe im Herzen Europas. Ein Stromabkommen mit der EU sei deshalb für sie äußerst wichtig, aber seit Jahren blockiert, weil es den gleichberechtigten Zugang zum europäischen Strombinnenmarkt "bekanntlich nicht als Einzelbestellung, sondern nur als Menükomponente beim Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens" geben könne.
Die EU optimiere unterdessen den Stromhandel und die grenzüberschreitenden Leitungskapazitäten laufend. Die Schweiz sei davon ohne Stromabkommen ausgeschlossen. Besonders heikel sei der Ausschluss dort, wo grenzüberschreitende Stromflüsse optimiert und koordiniert werden: Gemäß der EU-Verordnung zum Strombinnenmarkt müssten die Nachbarländer spätestens ab 2025 mindestens 70 Prozent der grenzüberschreitenden Kapazitäten für den Handel zwischen EU-Mitgliedstaaten reservieren. Um dies zu erreichen, würden sie ihre internen Netzengpässe zeitweise auf Kosten der Exportkapazitäten für die Schweiz entlasten. Damit würden die Importkapazitäten der Schweiz von außen massiv beschnitten. Da die EU die Schweiz in den Berechnungen der Grenzkapazitäten nicht adäquat berücksichtige, würden zudem ungeplante Stromflüsse weiter massiv zunehmen. Um dann die Netzstabilität aufrechtzuerhalten, müsse die Schweiz auf ihre wertvollen Wasserreserven zur Systemstabilisierung statt zur Versorgung zurückgreifen, die ihr dann im Winter wiederum fehlen würden.
Auch mit wirtschaftlichen Einbußen sei zu rechnen. Gemäß einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) entstünden der Schweiz ohne Abkommen ein Handelsdefizit von bis zu einer Milliarden Franken im Jahr 2030 sowie massive Mehrkosten für die Konsumenten. Wenn die Gegner des angestrebten Rahmenabkommens vor einem Souveränitätsverlust warnten, verhalte es sich in Wirklichkeit gerade umgekehrt: "Ohne Stromabkommen entgleitet uns die Hoheit, die Souveränität über unser Höchstspannungsnetz zunehmend. Wer ein Stromabkommen nicht für notwendig hält, ignoriert, dass sich die EU laufend weiterentwickelt und ein Festhalten am Status quo unrealistisch ist."