Juni 2021

210605

ENERGIE-CHRONIK


 


Als Niederspannungskunden zahlen Haushalte die höchsten Netzentgelte (rot), zumal sie auch noch die weitgehende Befreiung der Großverbraucher mittragen müssen (111004, 180514). Die Grafik läßt erkennen, wie diese Belastung ab 2007 zunächst zurückging, nachdem die neugeschaffene Bundesnetzagentur die Höhe der Netzentgelte begrenzte, dann aber wieder zunahm und gegenwärtig im Durchschnitt ein Viertel des Haushaltsstrompreises ausmacht. Zugleich verdeutlicht sie den enormen Anstieg von staatlich auferlegten Steuern, Abgaben und Umlagen, die inzwischen mehr als die Hälfte des Strompreises für Kleinverbraucher ausmachen und deshalb dringend reformiert werden müssten.

Berechnungsgrundlagen für Netzentgelte müssen ungeschwärzt veröffentlicht werden

Die Bundesnetzagentur ist künftig verpflichtet, die Berechnungsgrundlagen der von den Strom- und Gasnetzbetreibern verlangten Netzentgelte auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen. Laut § 23b im novellierten Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), das der Bundestag am 24. Juni beschloss, muss diese Veröffentlichung "unternehmensbezogen in nicht anonymisierter Form" sowie "einschließlich etwaiger darin enthaltener Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" erfolgen. Damit wird ein seit langem bestehendes Ärgernis beseitigt, denn bisher haben weder Netzbetreiber noch Regulierungsbehörden die Basisdaten der Netzentgelte vollständig bzw. ohne Schwärzung von angeblichen Geschäftsgeheimnissen veröffentlicht.

Die Politik reagiert damit unter anderem auf ein Gutachten, das der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) in Auftrag gegeben und vor einem Jahr veröffentlicht hat (200609). Die Gutachter kritisierten darin nicht nur die unzureichende Veröffentlichungspraxis mit "exzessiven Schwärzungen", sondern auch eine "unverständliche und eigensinnige Terminologie", welche die Auswertung der veröffentlichten Daten erschwere. Am zweiten Kritikpunkt dürfte sich allerdings auch jetzt nicht viel ändern (siehe PDF).

Regierung sah sich durch Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Handeln veranlasst

 

Ein krasses Beispiel für die bisher geübte Zensur ist dieses Dokument, bei dem die Bundesnetzagentur gleich zu Beginn der veröffentlichten Fassung sogar das Aktenzeichen und den Namen des Unternehmens als angebliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch Schwärzung tilgte.

Die nun erfolgte Reform war bereits im Regierungsentwurf des "Gesetzes zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht" vom 9. März enthalten und ausführlich begründet worden. Sie kam also nicht erst am Vortag der Bundestagssitzung durch eine kurzfristige Einigung im Vermittlungsausschuss zustande, wie dies in einer Pressemitteilung des Ökostromanbieters "Lichtblick" vom 23. Juni und anderen Berichten dargestellt wurde.

Der regierungsamtlichen Begründung zufolge dient der neue Paragraph im EnWG dem Ziel, "das Verfahren und die Ergebnisse der Regulierung transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten". Anlass sei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der Ende 2018 die ausführlichen Transparenzvorgaben für Netzentgelte außer Kraft setzte, die im August 2016 mit der Neufassung von § 31 der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) eingeführt wurden (181206). Die Karlsruher Richter hatten dabei zwar die Notwendigkeit einer transparenten Anreizregulierung unterstrichen, weil diese insbesondere als Mittel der Marktdisziplinierung eine wichtige Aufgabe erfülle und die Regulierungsentscheidungen auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein müssten. Sie sahen aber die bisherige Regelung nicht von einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage gedeckt, sofern von der Veröffentlichung Betriebs-und Geschäftsgeheimnisse betroffen sind.

Verhängnisvoller Fehler bei der Neufassung von § 31 AReGV

In der Tat begnügte man sich bei der 2016 beschlossenen Neuformulierung des § 31 AReGV damit, die alte Fassung des Paragraphen komplett zu streichen, die nicht nur weniger Transparenzpflichten vorsah, sondern auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse davon ausnahm. Anscheinend geschah dies in der Annahme, dass die Neufassung schon durch die detaillierte Auflistung von mindestens zwölf zu veröffentlichenden Datensätzen hinreichend deutlich mache, dass es sich dabei nicht um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handeln könne. Jedenfalls hat man es unterlassen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nun genauso explizit in die Veröffentlichungspflicht miteinzubeziehen wie sie zuvor in der alten Fassung davon ausgenommen wurden.

Diesen juristischen Stolperstein will die Neuregelung beseitigen. Sie überträgt die vom Bundesgerichtshof außer Kraft gesetzten Transparenzpflichten aus der Anreizregulierungsverordnung in das Energiewirtschaftsgesetz, wobei ausdrücklich auch "etwaige darin enthaltene Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" eingeschlossen sind. Damit wird der § 71 im EnWG relativiert, der es den Netzbetreibern erlaubt, bestimmte Dokumente nach eigenem Ermessen als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zu deklarieren. (Die Bundesnetzagentur kann diese Deklarierung zwar für unberechtigt halten, muss dann aber erst Rücksprache mit dem Netzbetreiber halten, bevor sie Dritten die Einsichtnahme gewährt.)

"Neuregelung dient auch objektiv den Interessen der Netzbetreiber"

Nunmehr umfasst die Regelung ausdrücklich auch die Veröffentlichung etwaiger Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. "Dies ist erforderlich, um Regulierungsentscheidungen zu Kosten und Entgelten für den Zugang zu den Energieversorgungsnetzen, insbesondere auch im Rahmen des Effizienzvergleichs, nachvollziehen zu können", heißt es in der Begründung der Bundesregierung. "Die zu veröffentlichenden Daten sind Informationen, die für die Regulierung relevant sind. Netzbetreibern und Netznutzern wird durch die Veröffentlichung die Nachprüfbarkeit der Entscheidungen erleichtert. Die Regelung verbessert im Ergebnis die Treffgenauigkeit des Effizienzvergleichs und dient damit objektiv den Interessen der Netzbetreiber. Netzbetreiber erhalten zugleich einen zusätzlichen Anreiz zur Steigerung der Effizienz. Transparenz kann die Akzeptanz der Regulierungsentscheidungen erhöhen und einen Beitrag zur Selbstregulierung leisten. Die nicht anonymisierte Veröffentlichung stellt sicher, dass Dritte diese Informationen dem jeweiligen Netzbetreiber zuordnen können. Sämtliche zu veröffentlichende Daten betreffen keine natürlichen Personen."

"Bei einer verfassungsrechtlichen Güterabwägung überwiegen die Gemeinwohlbelange"

Ferner wird festgestellt, dass bei einer verfassungsrechtlichen Güterabwägung diese Gemeinwohlbelange das Geheimhaltungsinteresse der Betroffenen überwiegen: "Das berechtigte Interesse der Netzbetreiber an der Geheimhaltung ihrer Daten ist als weniger gewichtig einzustufen. Dies beruht insbesondere darauf, dass die Veröffentlichungen in der Regel nicht nur einzelne Netzbetreiber, sondern ausnahmslos alle Netzbetreiber betreffen. Vor dem Hintergrund des natürlichen Monopols ist die Offenbarung der Daten in dem Verhältnis der Netzbetreiber untereinander nicht geeignet, die Stellung im Wettbewerb relevant zu verschlechtern oder diejenige eines Konkurrenten relevant zu verbessern. Selbst wenn man annimmt, dass durch die Veröffentlichung eine wettbewerbliche Betroffenheit auf vor- bzw. nachgelagerten Märkten in Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden kann, so überwiegt auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlich geschützter Positionen dennoch das besonders hohe Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Anreizregulierung, Kontrolle der Verwaltungsbehörden und Nachvollziehbarkeit ihrer Entscheidungen, insbesondere des Effizienzvergleichs. Dieses Interesse der Allgemeinheit kann nur durch die Veröffentlichung dieser Daten gewährleistet werden."

Darüber hinaus seien die entsprechenden Daten durch eine Reihe von Netzbetreibern bereits in der Vergangenheit veröffentlicht worden. Dies belege, dass keine Gefahr von Nachteilen auf vor-oder nachgelagerten Märkten droht oder eine solche etwaige Gefahr zumindest hinter dem Transparenzinteresse zurücktritt.

Preisinformationen für Netzkunden müssen künftig automatisiert ausgelesen werden können

Vom neuen § 23b im EnWG zu unterscheiden ist eine andere neue Vorschrift in § 21 Absatz 3, welche die Strom- und Gasnetzbetreiber verpflichtet, "die für ihr Netz geltenden Netzentgelte auf ihren Internetseiten zu veröffentlichen und auf Anfrage jedermann unverzüglich in Textform mitzuteilen." Gemeint sind damit die Preise, die den Kunden je nach übertragener Leistung und Arbeit für die Netznutzung in Rechnung gestellt werden. Diese Informationspflicht ist nichts neues. Sie wurde sogar wortwörtlich aus § 27 Abs. 1 der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) übernommen. Auch durch § 20 Abs. 1 im EnWG wird den Betreibern von Energieversorgungsnetzen schon bisher auferlegt, die Netzentgelte "unmittelbar nach deren Ermittlung, aber spätestens zum 15. Oktober eines Jahres für das Folgejahr" im Internet zu veröffentlichen. Neu ist nur die zusätzliche Bestimmung, dass die Veröffentlichung in einem Datenformat zu erfolgen hat, das eine automatisierte Auslesung ermöglicht. Die Bundesregierung will damit auch bei der Preisinformation "die Transparenz der Veröffentlichungen und deren Zugänglichkeit erhöhen".

 

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