Januar 2022

220108

ENERGIE-CHRONIK


Stadtwerke Bad Belzig sind pleite, weil ihr Chef das Geld für die Strom- und Gasbeschaffung verzockte

Die brandenburgischen Stadtwerke Bad Belzig mussten zum Jahreswechsel Insolvenz anmelden, weil ihr Chef vermutlich mehr als zwanzig Millionen Euro mit unzulässigen Warentermingeschäften an der Börse verzockt hat. Zugleich hatte es der bisherige Geschäftsführer Hüseyin Evelek unterlassen, die notwendigen Strom- und Gasmengen für das Jahr 2022 einzukaufen. Nach der schrittweisen Aufdeckung seiner Machenschaften sahen sich unter diesen Umständen die Stadtwerke außerstande, die fehlenden Strom- und Gasmengen nachträglich zu beschaffen, zumal inzwischen die Spotmarkt-Preise explodiert waren. Sie mussten deshalb ab Beginn dieses Jahres den Stromvertrieb komplett einstellen. Die Kunden dieses Geschäftsbereichs übernahm anstelle des eigentlich zuständigen Grundversorgers E.ON edis Vertriebs GmbH freiwillig der benachbarte Grundversorger Energie und Wasser Potsdam (EWP), obwohl dieser bereits als Ersatzversorger die örtliche Kundschaft von sieben anderen gescheiterten Strom- und Gasanbietern beliefern muss. Im übrigen hoffen Bürgermeister und Kommunalpolitiker noch immer, mit dem Anfang Januar genehmigten Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung die Stadtwerke zumindest mit dem Kernbereich Gas, Fernwärme und Wasser erhalten zu können. Die Stadtverordneten bewilligten einen "Massekredit" bis zu 1,6 Millionen Euro, damit dieser Weg aus der Insolvenz beschritten werden kann (siehe Hintergrund).

Der kommunale Versorger gehört einem Kurort mit 11.000 Einwohnern

Die Stadt Belzig, wie sie früher hieß, liegt etwa 90 Kilometer südwestlich von Berlin. Nach der Wende wurde sie Kreisstadt des neu gebildeten Großkreises Potsdam-Mittelmark und bekam 1995 den Titel "Staatlich anerkannter Luftkurort". Auch ihr Untergrund wurde als heilkräftig anerkannt, nachdem man in 775 Meter Tiefe eine Thermalquelle erschloss und zur Errichtung eines Thermalsole-Heilbads nutzte. Seit 2010 darf sie sich deshalb "Bad Belzig" nennen. Das Stadtgebiet liegt größtenteils im Naturschutzgebiet Hoher Fläming.

Zu DDR-Zeiten hatte die Stadt rund 7.500 Einwohner. Nach der Wende wurden es bis zu 11.960. Das lag allerdings nur an der bis 2003 erfolgten Eingemeindung von 14 ländlichen Ortsteilen und hielt auch nicht lange vor. Die Einwohnerzahl bröckelte bald wieder so stark, dass die Bertelsmann-Stiftung in einer vor zehn Jahren veröffentlichten Untersuchung Bad Belzig als schrumpfende und alternde Stadt mit hoher Abwanderung klassifizierte. Das Statistische Landesamt prognostizierte damals ein Absinken auf 10.000 Einwohner bis 2020. Ganz so schlimm kam es aber nicht, denn es waren dann noch immer gut 11.000. Unter anderem dürfte dies der Nähe zum boomenden Berlin zu verdanken gewesen sein, der ansprechenden Lage mit historischem Altstadtkern und den noch erschwinglichen Kosten fürs Wohnen.

Mehr als neunzig Prozent des Umsatzes entfielen auf Gas, Wärme und Wasser

Es versteht sich, dass die Stadtwerke einer solchen Gemeinde kein großes Unternehmen sind. Laut dem Jahresbericht für 2019 belief sich die Bilanzsumme der Stadtwerke Bad Belzig GmbH auf 15,45 Millionen Euro und das Eigenkapital auf 7,57 Millionen. Bei einem Umsatz von 6,89 Millionen wurde ein Jahresüberschuss von 392.000 Euro erzielt. Den weitaus größten Anteil an diesem Umsatz hatten – annähernd gleichwertig – die Bereiche Gas, Wärme und Wasser/Abwasser, während auf den Stromvertrieb nur etwa acht Prozent entfielen. Die Gesamtzahl der Beschäftigten betrug nie viel mehr als etwa zwei Dutzend Mitarbeiter.

Die Stadtwerke Belzig GmbH, wie sie anfangs noch hießen, sind überhaupt erst 1992 entstanden, nachdem die Stadtverordnetenversammlung einen entsprechenden Beschluss gefasst hatte. Es gab damals viele solcher Neugründungen in der ehemaligen DDR, nachdem mehr als 160 ostdeutsche Kommunen vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen den Stromvertrag geklagt hatten, weil dieser die Kapitalmehrheit an den Regionalversorgern den westdeutschen Verbundunternehmen übertrug und die Wiedergründung von Stadtwerken nicht zuließ (921201).

Der spät gestartete Stromvertrieb konnte E.ON edis nie die Grundversorgung streitig machen

Allerdings gelang es nur relativ wenigen Kommunen, den westdeutschen Energiekonzernen ihre Beute wieder zu entreißen und mit der Gründung eigener Stadtwerke die Verfügung über die örtlichen Verteilnetze für Strom und Gas zu erlangen. Neben dem notwendigen Geld fehlte zum großen Teil auch der Wille, weil im Gegenzug die kleinen Minderheitsbeteiligungen an den Regionalversorgern zurückgegeben werden mußten, die im Stromvertrag zugestanden wurden. In Belzig beschränkten sich die neuen Stadtwerke auf die Übernahme und den weiteren Ausbau der aus DDR-Zeiten vorhandenen Fernwärme- und Gasversorgung. Die Stromversorgung oblag dagegen weiterhin der Märkischen Energieversorgung AG (Mevag), welche die Nachfolge des Energiekombinats für den DDR-Bezirk Potsdam angetreten hatte und dem E.ON-Vorläufer PreussenElektra gehörte, der sie dann mit drei anderen ehemaligen bezirklichen Energiekombinaten zur "e.dis Energie Nord AG" zusammenlegte (990419).

Aus diesem Grund ist die E.ON-Tochter Edis in Bad Belzig bis heute der Grundversorger mit den weitaus meisten Kunden, dem auch das Stromnetz gehört. Eine lokale Alternative gab es nicht, obwohl E.ON edis die höchsten Strompreise in Deutschland verlangte (060106). Erst 2017 begannen die Stadtwerke auch mit dem Stromvertrieb, konnten aber nur etwa zehn Prozent der Haushalte gewinnen. Der komplette Rückzug aus dem Stromvertrieb, der jetzt beschlossen wurde, ist deshalb kein so großer Einschnitt, wie es sich anhört. Dennoch spielte der Geschäftsbereich eine große Rolle beim Zustandekommen der Pleite, denn der Geschäftsführer Evelek spekulierte an der Terminbörse anscheinend nur mit Strom und nicht mit Gas.

 


Hintergrund

Spielkasino Strombörse

Der Chef der Stadtwerke Bad Belzig wollte am ganz großen Rad mitdrehen und hat dadurch den kommunalen Versorger ruiniert

(siehe oben)

Im Geschäftsjahr 2020 scheint bei den Stadtwerken Bad Belzig noch alles in Ordnung gewesen zu sein. Jedenfalls konnten die Wirtschaftsprüfer bei der Erstellung des Jahresberichts keinerlei Mängel feststellen. In diese frohe Botschaft mischte sich bei der Sitzung des Aufsichtsrats am 29. September 2021 dann aber doch noch ein Mißton, als der Geschäftsführer Huseyin Evelek unerwartet wissen ließ, dass er bis dato nur unzureichend Gas und keinen Strom beschafft habe. Der Aufsichtsrat beauftragte ihn daraufhin, dies "ab sofort" nachzuholen.

Soweit die Darstellung des Bürgermeisters Roland Leisegang (parteilos), der selber dem Aufsichtsrat des kommunalen Unternehmens angehört. Ob und wie der Geschäftsführer das Versäumnis erklärte und ob er sich wenigstens entschuldigt hat, geht daraus nicht hervor. Offensichtlich hat Evelek aber nicht den wahren Grund genannt: Es war schlicht kein Geld mehr bei den Stadtwerken vorhanden, weil er es mit unerlaubten Termingeschäften an der Strombörse verzockt hatte.

Trotz der schweren Verfehlungen kam es zur "einvernehmlichen Trennung"

In den folgenden Wochen explodierten die Spotmarkt-Preise für Gas und Strom noch mehr. Eine nachträgliche Beschaffung der Fehlmengen wurde damit vollends illusorisch. Zur nächsten Aufsichtsratssitzung am 10. November erschien der Geschäftsführer Evelek deshalb erst gar nicht. Stattdessen schickte er den Vertriebsleiter als Stellvertreter. Durch dessen Befragung stellte sich dann heraus, dass die fehlenden Energiemengen noch immer nicht beschafft wurden. Daraufhin riß dem Aufsichtsrat endlich der Geduldsfaden: Er beschloss, dem Geschäftsführer "das Vertrauen zu entziehen und das Anstellungsverhältnis bei sofortiger Freistellung zu beenden".

Der Geschasste fiel indessen ziemlich weich. Der Bürgermeister, der mit der Abhalfterung seines bisherigen Duzfreundes beauftragt wurde, schaltete einen Anwalt für Arbeitsrecht ein, der eine von beiden Seiten akzeptierte Lösung ausarbeitete. In einer am 22. November veröffentlichten Pressemitteilung zum "Führungswechsel bei den Stadtwerken" hieß es lediglich, dass beide künftig getrennte Wege gehen würden und diese Trennung "in gegenseitigem Einvernehmen" erfolge. Der Aufsichtsrat werde sich zügig mit der Nachfolge befassen.

Eher anerkennend hieß es weiter, der "gebürtige Hannoveraner" – tatsächlich ist Evelek in Hannover aufgewachsen, aber in der Türkei geboren – habe die Geschäftsführung der Stadtwerke vor knapp drei Jahren übernommen und sich dabei "die Modernisierung des Unternehmens im Zeichen von Klimawandel und Digitalisierung zum Ziel gesetzt". Im Sommer sei das digitale Kundenportal online geschaltet worden und zur Zeit werde der Betrieb von Bad Belzigs ersten kommunalen Schnellladesäulen für Elektroautos auf den Weg gebracht.

Bisher gab es nur wegen der Fernwärme-Verteuerung Kritik an Eveleks Amtsführung

Also kein Wort zum Grund der Trennung und auch nicht zur sofortigen Freistellung Eveleks, der noch am selben Tag die Schlüssel zu den Stadtwerken abgeben musste, obwohl sein Arbeitsvertrag erst zum Jahresende auslief. Damit sollte wohl der Eindruck erweckt werden, als ob die Stadtwerke mit einiger Verzögerung nun doch noch auf die Empörung reagieren würden, die zu Anfang des Jahres eine Erhöhung der Fernwärme-Preise ausgelöst hatte. Im August hatten betroffene Kunden sogar Strafanzeige wegen Betrugs gegen den Geschäftsführer erstattet, worauf die Staatsanwaltschaft Potsdam Ermittlungen einleitete.

Diese Affäre war inzwischen vom Tisch. "Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erwartungsgemäß eingestellt", lautete die Überschrift einer Stadtwerke-Pressemitteilung vom 5. November, in der sich der Geschäftsführer Evelek überaus gekränkt und betroffen über den Tort zeigte, der ihm da angetan wurde: "Durch die von vornherein haltlose Anzeige ist in Bad Belzig eine Atmosphäre von Misstrauen und Missgunst entstanden, die vielen Kollegen, aber auch unseren Angehörigen sehr weh getan hat." Bürgermeister Leisegang sekundierte ihm mit der Feststellung, "dass durch die öffentlich geführte Debatte viel 'Porzellan' zerschlagen wurde, einhergehend mit einem unverdienten Imageschaden für die Stadtwerke mit ihrem Geschäftsführer und den Mitarbeitenden".

Bürgermeister wollte die Affäre ohne Insolvenzanmeldung und unter Ausschluss der Öffentlichkeit bereinigen

Eine "öffentlich geführte Debatte" wollte der Bürgermeister zunächst auch hinsichtlich der neuen Vorwürfe gegen Evelek verhindern. Er hoffte nämlich, das Stigma einer Insolvenzanmeldung mit Hilfe des "Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen" (StaRUG) vermeiden zu können, das erst zum Jahresbeginn in Kraft getreten war. "Dieses relativ neue Verfahren hätte es ermöglicht, ohne Öffentlichkeit Einigungen mit den größten Gläubigern zu finden und trotzdem den Schutz eines Moratoriums zu haben", schreibt er in seiner Chronologie der Ereignisse. Aber leider sei das an einzelnen Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung und des Aufsichtsrats gescheitert, weil diese "durch die widerrechtliche Verletzung ihrer Schweigepflicht in Verbindung mit der Energiepreisentwicklung dazu beigetragen haben, dass uns jetzt nicht mehr alle Handlungsoptionen zur Verfügung stehen".

Angesichts der Größe der Verluste, die den Stadtwerken entstanden waren und deren Eigenkapital von 7,5 Millionen Euro weit überschreiten, muss jedoch bezweifelt werden, dass sich die Affäre auf diese Weise hätte beilegen lassen. Wie es dazu gekommen war, wusste man schon am dritten Tag, nachdem die Leiter von Vertrieb und Technik zu kommissarischen Geschäftsführern ernannt wurden und Einblick in Eveleks Unterlagen nehmen konnten: Er hatte Leerverkäufe mit Warentermingeschäften kombiniert. Beispielsweise verkaufte er Strom, über den die Stadtwerke gar nicht verfügten, zu den bereits recht hohen Preisen an der Börse. Dies geschah in der Erwartung, dass bis zum Liefertermin die Preise wieder sinken würden. Dann hätte er die vereinbarte Strommenge zu einem niedrigeren Preis tatsächlich beschaffen und den Differenzbetrag als Gewinn verbuchen können. Das Ergebnis der Spekulation war aber genau umgekehrt, weil die Preise unablässig weiter anstiegen. Anstatt gefüllt zu werden, entstand so in der Kasse der Stadtwerke ein riesiges Loch.

Aus der einvernehmlichen Trennung wurde ein offener Rauswurf und Fall für die Strafjustiz

Natürlich war der Geschäftsführer gar nicht berechtigt, sich auf diese Weise an der Börse ins Spielkasino zu begeben. Es handelte sich um eine grobe Pflichtverletzung, für die er zivil- und strafrechtlich haftbar war. Am 23. November vereinbarte man deshalb bei einem Video-Meeting die Ersetzung der einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisse durch eine außerordentliche und sofortige Kündigung. Ferner wurde neben den bereits hinzugezogenen Fachanwälten für Arbeitsrecht, Kommunalrecht und Energierecht noch eine Kanzlei für Strafrecht eingeschaltet. Zwei Tage später bekam Evelek die außerordentliche Kündigung überreicht. Außerdem musste er sofort seinen Dienstwagen abgeben.

StaRUG-Verfahren erwies sich als aussichtslos und wurde durch Insolvenz in Eigenverwaltung ersetzt

Noch immer glaubte der Bürgermeister, das Stigma einer Insolvenzanmeldung mit Hilfe des erwähnten StaRUG-Verfahrens vermeiden zu können. Aufgrund einer entsprechenden Empfehlung des Aufsichtsrats beschloss die Stadtverordnetenversammlung am 14. Dezember, diese Verfahrensweise durch einen außerplanmäßigen Zuschuss von bis zu 1,6 Millionen Euro aus dem Haushalt der Stadt zu unterstützen. Der Beschluss kam in nichtöffentlicher Sitzung zustande, um die Stadtverordneten gesetzlich zum Stillschweigen zu verpflichten.

Aber schon zwei Tage später wurde bei einer weiteren Video-Konferenz das StaRUG-Verfahren als nicht mehr durchführbar eingestuft bzw. als gescheitert angesehen. Zum einen könnten die dafür notwendigen Strommengen wegen der weiterhin galoppierenden Preisentwicklung nicht beschafft werden, ohne die Liquidität des Unternehmens zu gefährden. Daran ändere auch der soeben bewilligte Kredit der Stadt nichts. Zum anderen sei die nichtöffentliche Durchführung als Voraussetzung des Verfahrens wegen der ausführlichen Berichterstattung in der regionalen Presse, die aus "gut informierten Kreisen" gespeist werde, in jedem Fall als gefährdet anzusehen. Ersatzweise wurde nun die Beantragung einer Insolvenz in Eigenverwaltung empfohlen. Die Stadtverordneten folgten am 21. Dezember dieser Empfehlung, indem sie die bewilligten 1,6 Millionen Euro in einen Massekredit zur Durchführung des Eigenverwaltungsverfahrens umwidmeten.