Mai 2022 |
220510 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Die österreichische Verbund AG kündigte am 24. Mai an, dass sie ihren Haushalts- und Gewerbekunden, denen sie soeben erst eine Strompreiserhöhung abverlangt hat, ab Juli zwei Monate lang Gratis-Strom gewähren wird. Das Angebot erfolgt freilich nicht aus Reue über eine ungerechtfertigte Strompreiserhöhung. Es soll vielmehr die Regierung davon abhalten, die enormen Windfall-Profits abzuschöpfen, die der Staatskonzern infolge der Strompreis-Explosion an der Börse in den vergangenen Monaten einstreichen konnte. Außerdem ist es auch nicht so großzügig, wie es sich zunächst anhört, denn das Versprechen "Gratis-Strom*" ist mit einem Sternchen versehen, wonach es sich nur auf den "Energiepreis exkl. Netzkosten, Steuern, Gebühren und Abgaben" bezieht.
Immerhin werden die österreichischen Verbraucher so im Juli und August eine deutlich verringerte Stromrechnung bezahlen müssen, da der Energiepreis 37 Prozent der Gesamtrechnung ausmacht. Die Netzkosten (26 Prozent) sowie Steuern und Abgaben (37 Prozent), die den größeren Teil ausmachen, bleiben ihnen jedoch nicht erspart. Damit hält sich die Versuchung sehr in Grenzen, in den beiden Monaten mehr Strom als üblich zu verbrauchen. In besonderen Härtefällen soll der Energiepreis für zwei weitere Monate entfallen. Zudem erhalten alle Strom- und Gaskunden einmalig einen Bonus über 30 Euro.
Ob das alles reicht, um den Verzicht auf eine Gewinnabschöpfung und die weiter geltende Strompreiserhöhung ab 1. Mai zu rechtfertigen, darf indessen bezweifelt werden. Allein im ersten Quartal dieses Jahres verbuchte der Konzern einen Nettogewinn von 514,4 Millionen Euro. Im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres (145 Millionen Euro) ist das eine Zunahme um 256 Prozent. Der Grund dafür ist auch hier jener fatale Börsenmechanismus, der den Strompreis am Spotmarkt über die Grenzkosten faktisch an den Gaspreis koppelt (211003, 220303, 220408, 220410). Da die Brennstoffkosten für Gaskraftwerke seit vorigem Jahr geradezu explodiert sind, hat sich auch in Österreich der Strompreis weit von den tatsächlichen durchschnittlichen Kosten der Stromerzeugung entfernt. Zugleich ermöglicht er allen Kraftwerksbetreibern, deren Stromgestehungskosten unter denen von Gaskraftwerken liegen, phantastische Windfall-Profits. Das gilt besonders für Strom aus erneuerbaren Energien, bei dem überhaupt keine Brennstoffkosten anfallen. Und in Österreich gilt das speziell für die Verbund AG, die ihren Strom zu mehr als neunzig Prozent aus Wasserkraft erzeugt. Der durchschnittlich erzielte Absatzpreis für diesen Strom aus Wasserkraft stieg gegenüber dem Vorjahr um 66,3 auf 113,8 Euro pro Megawattstunde – also um mehr als das Doppelte –, obwohl die Erzeugungskosten nicht höher waren.
Es spricht für den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer, dass er – im Unterschied zur EU-Kommission und anderen nationalen Regierungen – dieses Problem angehen wollte und öffentlich über eine Gewinnabschöpfung nachdachte. "Zufallsgewinne bei Unternehmen mit staatlicher Beteiligung gehören dem Volk", sagte er eher beiläufig in einem Interview mit der "Tiroler Tageszeitung", das am 5. Mai erschien und bei dem es hauptsächlich um seine Wahl zum neuen ÖVP-Chef als Nachfolger des unglückseligen Sebastian Kurz ging. Dabei wäre es dann wohl vorerst auch geblieben – wenn die Börse nicht sofort panisch reagiert hätte und der Kurs der Verbund-Aktie von zuletzt 101,4 auf 79,2 Euro abgestürzt wäre, was den aktuellen Börsenwert des Staatsunternehmens um gut vier Milliarden Euro verringerte. Das erregte natürlich mächtiges Aufsehen. Deshalb musste das Thema nun tatsächlich angegangen und irgendwie vom Tisch gebracht werden. Die Lösung dürfte so ausgesehen haben, dass die Bundesregierung dem Vorstand der Verbund AG – die zu insgesamt 80 Prozent der öffentlichen Hand gehört – genau diese Gratis-Strom-Aktion nahegelegt hat, mit der er nun an die Öffentlichkeit getreten ist.
Bundeskanzler Nehammer reagierte auch sofort positiv. "Das Unternehmen geht mit gutem Beispiel voran und schreibt all seinen Kunden zwei Monatsrechnungen gut", erklärte er noch am selben Tag laut einer Pressemitteilung des Kanzleramts. Ob er nun deshalb auch auf eine Gewinnabschöpfung verzichten will, ließ er auf Nachfrage der Nachrichtenagentur APA aber vorerst offen. Stattdessen bat er um Verständnis, "dass ich zu laufenden Überlegungen und Gesprächen derzeit nichts sagen kann".