März 2022

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ENERGIE-CHRONIK


EU will Abhängigkeit von russischem Gas erst bis 2027 beenden

Die EU will den Import von Gas, Öl und Kohle aus Russland "möglichst rasch" beenden und dabei die notwendigen Vorkehrungen treffen, damit Verbraucher und Unternehmen nicht übermäßig belastet werden. Am 8. März legte die EU-Kommission dazu unter dem Titel "REPower EU" einen ersten Entwurf vor, über den die Staats- und Regierungschefs am 10./11. März auf einer informellen Tagung in Versailles berieten. Im Anschluss daran teilte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 11. März weitere Einzelheiten mit und kündigte bis Mitte Mai einen Vorschlag an, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland bis 2027 zu beenden. Am 23. März unterbreitete die Kommission außerdem Vorschläge zur gemeinsamen Gasbeschaffung und Mindestbevorratung aller Mitgliedsstaaten, mit denen sich der Europäische Rat bei einer weiteren Tagung am 24./25. März befasste.

Gemeinsamer Einkauf aller EU-Staaten soll Position gegenüber Lieferanten stärken

Mit ihren Vorschlägen zur gemeinsamen Gasbeschaffung will die Kommission weitere nationale Alleingänge verhindern. Am 21. März war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit einer Wirtschaftsdelegation in die Vereinigten Arabischen Emirate gereist, wobei vier Wasserstoff-Kooperationen mit deutschen Unternehmen sowie eine Forschungskooperation vereinbart worden sein sollen. Die Kommission möchte demgegenüber eine "Taskforce für gemeinsame Einkäufe auf EU-Ebene" einrichten, die von Vertretern der Mitgliedsstaaten in einem Lenkungsausschuss unterstützt wird. Sie argumentiert damit, dass eine solche Bündelung der Nachfrage bei Erdgas wie bei Wasserstoff die Position gegenüber den Lieferanten stärke.

Füllstände der Gasspeicher werden vorgeschrieben

Ferner hat die Kommission einen Legislativvorschlag vorgelegt, der die Betreiber von Gasspeichern verpflichten würde, diese im kommenden Winter zu mindestens 80 Prozent und in den folgenden Jahren zu 90 Prozent gefüllt zu haben. Für Februar bis Oktober gelten Zwischenziele. Die Betreiber der Gasspeicher werden einer neu eingeführten obligatorischen Zertifizierung und kontinuierlichen staatlichen Kontrolle unterworfen. Falls die Gazprom sich wiederum weigern sollte, ihre großen Gasspeicher in Deutschland aufzufüllen (210804), könnte ihr deshalb die Verfügung über diese Speicher einfach entzogen werden.

Kommission will nun zwar doch Strom- und Gaspreise entkoppeln...

Präzisiert werden nun auch die Überlegungen zur Entkopplung von Strom- und Gaspreisen. Die Kommissionspräsidentin hatte diesbezügliche "Optionen" bereits am 11. März angekündigt, "um zu verhindern, dass sich der Anstieg der Gaspreise in gleichem Maße auf die Strompreise überträgt". Dies schien ein Zugeständnis an jene EU-Staaten zu sein, die eine Änderung des Strommarktdesigns verlangt haben, weil die Großhandelspreise neuerdings unverhältnismäßig stark vom Anstieg der Gaspreise hochgetrieben werden. Maßgebend für die Spotmarkt-Preise sind nämlich bisher – unabhängig von den tatsächlichen durchschnittlichen Kosten der Stromerzeugung – allein jene Kosten, die der Abruf der teuersten Kraftwerke auf der Merit-Order-Liste verursacht. Und das sind in aller Regel Gaskraftwerke.

Frankreich und andere Länder haben deshalb verlangt, die Spotmarktpreise von den Durchschnittskosten der Stromerzeugung bzw. vom "Grenzpreis" statt von den "Grenzkosten" abhängig zu machen (siehe Hintergrund, Oktober 2021). Das war aber bisher sowohl von der auf Gewinnmaximierung getrimmten Strombörse als auch der EU-Kommission abgelehnt worden (211003). Die politischen Unterstützer des gegenwärtigen Strommarktdesigns bemühten dabei gern das Argument, dass auch und gerade die regenerativen Energien wegen ihrer besonders geringen Stromerzeugungskosten von den hohen Grenzkosten der Gaskraftwerke profitieren würden. Das trifft freilich nur für wenige große Anlagen zu, die ohne Anspruch auf Förderung errichtet wurden. Schon gar nicht wäre es ein probates Rezept, um die EEG-Förderung zu ersetzen.

...aber den Preisbildungsmechanismus am Spotmarkt nicht verändern

Tatsächlich hat der Gaspreisanstieg in in den vergangenen Monaten vor allem den Betreibern von Kohle- und Kernkraftwerken zusätzliche Gewinne in Milliardenhöhe beschert. Die Kommission will deshalb nun den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit geben, "Zufallsgewinne von Energiekonzernen zu besteuern", wie ihre Präsidentin am 11. März ankündigte. Nicht nur bei den großen Stromerzeugern wäre da viel zurückzuholen. Auch die Mineralölkonzerne haben durch die Explosion der Spritpreise zusätzlich Milliarden verdient (220304). Allerdings dürfte die Kommission dieses Problem der sozialen Umverteilung letztendlich ebenso halbherzig angehen wie jetzt die versprochene Entkopplung von Strom- und Gaspreisen. Die einfachste Lösung, den Großhandelspreis am Grenzpreis statt an den Grenzkosten zu orientieren, wird nämlich noch immer nicht in Erwägung gezogen und sogar nicht einmal erwähnt.

Stattdessen heisst es in dem neuesten Papier nur, dass von den Mitgliedsstaaten mehrere Optionen für Sofortmaßnahmen zur Begrenzung der hohen Strompreise vorgeschlagen worden seien. Alle seien jedoch mit Kosten und Nachteilen verbunden. Die Optionen für "kurzfristige Eingriffe" ließen sich dabei grob in die Kategorien "Finanzieller Ausgleich" und "Regulierung" einteilen, wie sie die folgende Grafik darstellt:

 

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