Juni 2022

220603

ENERGIE-CHRONIK


Habeck stimmt Verbraucher auf beschleunigten Gaspreisanstieg ein

Die seit Mitte Juni andauernde Drosselung der russischen Gaslieferungen um mehr als die Hälfte (220601) hat den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck veranlasst, am 23. Juni die Alarmstufe im "Notfallplan Gas" auszurufen. Dieser Notfallplan wurde schon vor mehr als zwei Jahren zur Umsetzung einer entsprechenden EU-Verordnung aus dem Jahr 2017 beschlossen, die bei "Ausrufung einer Krise" drei Stufen vorsieht (siehe PDF). Damals konnte und wollte sich noch niemand die Situation vorstellen, die jetzt infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine eingetreten ist. Der Notfallplan ist deshalb auf vorübergehende Versorgungsengpässe und nicht auf einen regelrechten Wirtschaftskrieg zugeschnitten, wie ihn Putin betreibt. In der "Frühwarnstufe", die seit 30. März galt, nachdem Putin die Bezahlung der Gasrechnungen in Rubel verlangte (220301), sieht er nur eine verstärkte Beobachtung des Marktgeschehens vor. Auch die nunmehr erklärte "Alarmstufe" verzichtet grundsätzlich auf staatliche Eingriffe und vertraut darauf, dass der Markt die Versorgungskrise irgendwie lösen werde. Erst in der dritten und letzten "Notfallstufe" würde die Bundesnetzagentur als "Bundeslastverteiler" eingesetzt, um die noch verbleibenden Gasmengen möglichst sinnvoll und gerecht auf Haushalte, Industrie und andere Verbraucher zu verteilen.

Versorgern kann Weitergabe gestiegener Kosten an Kunden erlaubt werden

Die im Mai beschlossene Neufassung des aus dem Jahr 1975 stammenden "Energiesicherheitsgesetzes" (220505) hat allerdings die "marktbasierten Maßnahmen", auf welche die EU-Verordnung auch in der "Alarmstufe" setzt, in einem wichtigen Punkt durch staatlichen Eingriff verschärft: Laut § 24 der Neufassung wird die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstehende Bundesnetzagentur ermächtigt, in Verbindung mit der Alarmstufe durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger "eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland" festzustellen. Dadurch haben dann alle betroffenen Gasversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette das Recht, "ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen". Einschränkend heißt es lediglich, eine solche Preisanpassung sei "insbesondere dann nicht mehr angemessen, wenn sie die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung überschreitet, die dem jeweils betroffenen Energieversorgungsunternehmen aufgrund der Reduzierung der Gasimportmengen für das an den Kunden zu liefernde Gas entstehen".

Wo beginnt und wo endet ein "angemessenes Niveau" der Preisanhebung?

Es werden also die normalerweise verbindlichen Preisvereinbarungen von laufenden Lieferverträgen außer Kraft gesetzt. Damit sollen Stadtwerke und andere Gasversorger vor der Insolvenz bewahrt werden, wenn die Kunden langfristige Gaslieferverträge zu günstigen Konditionen abgeschlossen haben, die weit unter den raketenartig nach oben geschossenen Einkaufspreisen liegen. Andererseits haben die betroffenen Kunden kaum eine Möglichkeit, sich gegen überhöhte Preisforderungen zu wehren, weil der Begriff "angemessenes Niveau" sehr auslegungsfähig ist und im Streitfall nur durch ein aufwendiges gerichtliches Verfahren entschieden werden kann. Schon vor der Ukraine-Krise gab es ja einen bis dahin beispiellosen Gaspreisanstieg, der damals zahlreiche Energievertriebe zu willkürlichen Preiserhöhungen veranlasste, weil sie auf diese Weise ihre unsoliden Geschäftsmodelle retten wollten . Manche stellten sogar einfach die Belieferung ein, weil es für sie lukrativer war, die durchaus noch vorhandenen und relativ günstig erworbene Gasmengen gewinnbringend am Spotmarkt zu verkaufen, anstatt sie an die Kunden weiterzugeben (211201).

Habeck will von § 24 EnSiG vorerst keinen Gebrauch machen

Bundeswirtschaftsminister Habeck will von diesem "Preisanpassungsmechanismus" vorerst keinen Gebrauch machern, wie er ankündigte. Erstens habe dieser Mechanismus "hohe Auswirkungen" und dürfe deshalb "nur sehr bedacht eingesetzt" werden. Zum anderen lägen die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 24 EnSiG noch nicht vor, weil es dazu einer "verstetigten Reduzierung der Gesamtimportmengen" bedürfe.

Dieser Vorbehalt müsste dann allerdings mit jedem Tag geringer werden, an dem Putin die Gaslieferungen weiterhin reduziert und die Ersatzbeschaffung, soweit sie überhaupt möglich ist, die Preise weiterhin in die Höhe treibt. Letztendlich stimmt Habeck deshalb die Verbraucher schon jetzt darauf ein, dass sie nicht mehr darauf vertrauen können, vor höheren Gasrechnungen geschützt zu sein, solange ihre günstigeren Lieferverträge noch nicht abgelaufen sind. 

"Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff Putins auf uns"

Die Gesamtsituation, wie sie sich seit Mitte Juni darbot, umriss Habeck mit folgenden Worten:

"Auch wenn aktuell noch Gasmengen am Markt beschafft werden können und noch eingespeichert wird: Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff Putins auf uns. Es ist offenkundig Putins Strategie, Unsicherheit zu schüren, die Preise zu treiben und uns als Gesellschaft zu spalten. Dagegen wehren wir uns. Es wird aber ein steiniger Weg, den wir jetzt als Land gehen müssen. Auch wenn man es noch nicht so spürt: Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut. Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen. Das wird sich auf die industrielle Produktion auswirken und für viele Verbraucherinnen und Verbraucher eine große Last werden. Es ist ein externer Schock."

 

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