Juni 2022 |
220604 |
ENERGIE-CHRONIK |
Auf seiner Sitzung am 30./31. Mai einigte sich der Europäische Rat über ein sechstes Sanktionspaket gegen Russland. Sein Schwerpunkt ist ein Ölembargo, das den Erwerb, die Einfuhr oder die Weitergabe von Rohöl und bestimmten Erdölerzeugnissen aus Russland in die EU verbietet. Das Sanktionspaket wurde am 3. Juni im EU- Amtsblatt veröffentlicht und trat am folgenden Tag in Kraft. Das Embargo für Rohöl wird freilich erst nach sechs Monaten greifen, und das für Erdölerzeugnisse nach acht Monaten. Auch dann wird es nur begrenzte Wirkung entfalten, obwohl die EU auf russisches Öl viel leichter verzichten kann als auf die Gaslieferungen. Das liegt vor allem an Ungarn, dessen autoritärer Regierungschef Orban eine Schaukelpolitik zwischen Moskau und Brüssel betreibt. In diesem Fall hat er verhindern können, dass der leitungsgebundene Ölimport aus Russland ausnahmslos verboten wird. Aber auch beim Schiffstransport gab es Abstriche. Hier war es an erster Stelle Griechenland, das die ursprünglich vorgesehene Regelung erfolgreich verwässern konnte, da der Entscheidung über das Ölembargo alle 27 Mitgliedsstaaten zustimmen mussten.
Bisher kommt ein Drittel der russischen Ölimporte über die Pipeline Druschba in die EU. Die anderen zwei Drittel werden mit Schiffen transportiert. Insgesamt deckte Russland so etwa 35 Prozent des Mineralölverbrauchs. Das ist deutlich weniger als beim Gas, aber ertragsmäßig für den russischen Staatshaushalt von noch größerer Bedeutung. Ein Ölembargo schmerzt deshalb die EU weniger und trifft den Kreml härter als ein Gasembargo - allerdings nur, wenn es konsequent gehandhabt wird.
Wegen des erfolgreichen ungarischen Vetos gilt das Embargo nun aber vorerst nicht für die beiden südlichen Stränge der Druschba, die von der Ukraine aus nach Ungarn sowie nach der Slowakei und Tschechien führen. Es erstreckt sich lediglich auf den nördlichen Strang, der bereits in Belarus abzweigt und von dort das russische Öl nach Polen und Ostdeutschland transportiert. Im Unterschied zu Ungarn sind Polen und Deutschland bereit, die durch das Embargo entstehenden Belastungen in Kauf zu nehmen.
In Deutschland versorgt der nördliche Strang der Druschba bisher vor allem die PCK-Raffinerie in Schwedt, die mehrheitlich dem russischen Rosneft-Konzern gehört. Diese verarbeitet rund zwölf Prozent des deutschen Rohölimports zu Sprit und beliefert damit weite Teile Ostdeutschlands. Wegen ihres russischen Eigentümers wird sie möglicherweise unter Treuhandverwaltung gestellt werden müssen, um ihre weitere Versorgung mit Rohöl aus anderen Quellen zu sichern. Ein weiterer großer Abnehmer ist die Raffinerie in Leuna (Sachsen-Anhalt), die der französische Total-Konzern betreibt.
Der Europäische Rat begründete das durch Orban erpresste Zugeständnis mit der "besonderen geografischen Lage" der drei osteuropäischen EU-Staaten, denen ein Zugang zum Meer fehlt. Allerdings könnte Ungarn auch über den Tiefseehafen Omisalj an der kroatischen Küste mit Öl versorgt werden. Dort beginnt die Adria-Pipeline, die durch das frühere Jugoslawien führt und über eine Abzweigung mit der Druschba in Ungarn verbunden ist. Diese Verbindung wollte Orban aber nur als Ersatzlösung in Anspruch nehmen, falls der Kreml seinerseits alle Öllieferungen über die Druschba einstellt. Er machte eine derartige zusätzliche Absicherung sogar zur Bedingung. Das sechste Sanktionspaket enthält deshalb als weiteres Zugeständnis, dass die vom Embargo dispensierten EU-Staaten sich ersatzweise per Schiff mit russischem Öl versorgen lassen dürfen, falls die Druschba ausfallen sollte.
Ein erster Vorschlagsentwurf der EU-Kommission von Anfang Mai sah vor, Tankschiffen aus EU-Ländern generell den Transport russischen Öls zu verbieten. Damit sollte es Russland erschwert werden, jene Ölmengen, welche die EU nicht mehr abnimmt, in anderen Teilen der Welt zu vermarkten. Der Kreml muss dabei zwar höhere Transportkosten und Preisabschläge in Kauf nehmen, findet aber genug Interessenten. Vor allem China und Indien nutzen bereits in großem Umfang diese Möglichkeit zum Billigeinkauf, mit dem sie zugleich das ihnen genehme Regime in Moskau stützen können. Der Großteil der dafür benötigten Tankschiffe fährt allerdings unter europäischer Flagge. Deshalb hätte ein solches Transportverbot die Vermarktung erheblich erschwert und die russischen Erlöse noch stärker gemindert. Dieser Plan scheiterte aber an den griechischen Reedereien, denen mehr als ein Viertel der weltweiten Tankerflotte gehört. Mit Unterstützung von Malta und Zypern, wo es eine ähnliche enge Verbindung zwischen Regierung und Lobby-Interessen gibt, erreichte Griechenland die ersatzlose Streichung des Transportverbots.
Das sechste Sanktionspaket umfasst ferner die Abkopplung der russischen Sberbank und zwei weiterer großer Banken vom internationalen Zahlungssystem "Swift". Drei großen russischen Staatssendern werden die Sendefrequenzen in der EU gestrichen. Europäischen Wirtschaftsprüfern, Beratern und Spin-Doktoren wird es untersagt, ihre Dienstleistungen für russische Unternehmen zu erbringen. Die bisherige Sanktionsliste wird um 18 Organisationen und 65 Personen erweitert. Zu letzteren gehören vor allem hochrangige Offiziere und andere Einzelpersonen, die in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen haben. An erster Stelle steht ein Oberst namens Azatbek Asanbekovich Omurbekov, der jene militärische Einheit kommandierte, die in Butscha Zivilisten tötete, vergewaltigte und folterte. Auf die Sanktionsliste gesetzt wurde auch die Vorstandsvorsitzende des Medienkonzerns NMG, Alina Kabajewa, die eine führende Rolle in der russischen Regierungspropaganda spielt und als Putins Geliebte gilt.