Juli 2022 |
220708 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am 21. Juli ein weiteres "Energiesicherungs-Paket" vorgelegt, das die bereits ergriffenen Maßnahmen durch Vorschriften zur Gaseinsparung und zur ausreichenden Befüllung der Speicher ergänzt. Er reagierte damit auf die russische Entscheidung, auch nach Abschluss der Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 Pipeline die Gasflüsse auf weniger als die Hälfte des normalen Umfangs zu reduzieren, obwohl einer vollen Auslastung technisch nichts entgegensteht und Russland entsprechende Lieferverpflichtungen zu erfüllen hätte.
"Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine befindet sich Deutschland in einer Energiekrise, die vom Aggressor Wladimir Putin bewusst geschürt wird", stellt Habeck fest. "Die geringere Auslastung bei rund 40 Prozent spricht daher eine klare politische Sprache und bestätigt, dass wir uns auf Lieferungen nicht verlassen können. Putins Ziel ist es, zu verunsichern, Preise zu treiben, die Gesellschaft zu spalten und die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Dem beugen wir uns nicht, sondern setzen dem konzentriertes und konsequentes Handeln entgegen. Wir treffen Vorsorge, damit wir durch den Winter kommen."
Das nunmehr vorgelegte Energiesicherungspaket soll die rechtzeitige
Befüllung der Gasspeicher zusätzlich sichern, den Erdgasverbrauch in der
Stromerzeugung senken sowie Effizienz- und Einsparmaßnahmen ausweiten. Die
vorgesehenen Maßnahmen werden in den kommenden Wochen und nach der
Sommerpause des Parlaments Schritt für Schritt umgesetzt.
Um die Speicherbefüllung sicherzustellen, werden die gesetzlich vorgesehen
Füllstände bei den Gasspeichern nochmals erweitert: Für den 1. September
2022 wird ein neues Zwischenziel von 75 Prozent eingefügt. Zugleich werden
die bisherigen Füllstandsvorgaben erhöht: Zum 1. Oktober von 80 auf 85
Prozent und zum 1. November von 90 auf 95 Prozent. Das neue Zwischenziel
zum 1. September soll die kontinuierliche Befüllung sicherstellen und
verhindern, dass bei geringen Gasflüssen wieder ausgespeichert wird, wie
dies bereits der Fall gewesen ist (siehe Grafik).
Die zusätzlichen fünf Prozentpunkte bei den beiden anderen Terminen
bedeuten, dass zum 1. November eines Kalenderjahres rund eine Milliarde
Kubikmeter Gas (ca. 12 TWh) mehr in den Speichern vorhanden sein muss.
Um den Erdgasverbrauch in der Stromerzeugung zu senken, hat die Bundesregierung bereits beschlossen, mehr Kohlekraftwerke einzusetzen (220706). Neu hinzu kommt nun eine Verordnung, mit der eine Braunkohlereserve zum 1. Oktober aktiviert wird. Die Braunkohlekraftwerke können dann auch an den Strommarkt zurückkehren und Erdgaskraftwerke ersetzen. Zum Beispiel könnte im Kraftwerk Neurath der Block A (321 MW) reaktiviert werden, den RWE zum 1. April dieses Jahres gemäß Anlage 5 des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (KVBG) abgeschaltet hat. Noch wahrscheinlicher ist, dass die beiden Blöcke D und E (zusammen 1211 MW), die gemäß KVBG zum Jahresende ebenfalls stillgelegt werden müssten, vorläufig weiter am Netz bleiben.
Flankiert wird dies durch eine Gaseinsparverordnung, die die unnötige Verstromung von Erdgas verhindert. Diese Verordnung wird aktuell vorbereitet und tritt dann in Kraft, wenn sich abzeichnet, dass noch mehr Einsparung von Gas bei der Stromerzeugung erforderlich ist. Systemrelevante Gaskraftwerke werden nicht erfasst.
Auch die erneuerbaren Energien sollen einen stärkeren Beitrag leisten, um Erdgas aus dem Strombereich zu verdrängen. So soll insbesondere die Biogaserzeugung ausgeweitet werden, indem unter anderem die durch § 39i EEG vorgegebene jährliche Maximalproduktion der Anlagen ausgesetzt wird. Damit Solaranlagen ebenfalls mehr Strom einspeisen können, ist angestrebt, die in § 9 EEG enthaltene 70 Prozent-Kappungsregel für Bestandsanlagen zu streichen. Für Neuanlagen gilt das schon ab 2023.
Um den Gasverbrauch auch in Betrieben, Bürogebäuden und privaten Haushalten zu senken, plant Habecks Ministerium neue Regelungen auf der Grundlage des novellierten Energiesicherungsgesetzes (§ 30 EnSiG). Falls Unternehmen ein Energie- und Umweltmanagementsystem eingeführt haben, sollen sie solche Energiespar-Maßnahmen umsetzen, die sich innerhalb von zwei Jahren wirtschaftlich rechnen. Betroffen wären hiervon grundsätzlich große Unternehmen mit hohen Energieverbräuchen von mehr als 10 GWh, die beispielsweise gesetzliche Privilegien beim Spitzenausgleich im Rahmen der Stromsteuer oder zur Vermeidung von Carbon-Leakage in Anspruch nehmen. Die Einführung energiesparender Maßnahmen für öffentliche Einrichtungen und Bürogebäude soll durch Verordnungen geregelt werden, die eine Laufzeit von sechs Monaten haben.
Im privaten Bereich werden Mieter vorübergehend von vertraglichen
Verpflichtungen befreit, die ihnen die Aufrechterhaltung einer
Mindesttemperatur in den gemieteten Räumen vorschreiben. Für Gebäude mit
zentraler Wärmeversorgung wird der Austausch ineffizienter, ungesteuerter
Heizungspumpen verbindlich. Eigentümer von Gasheizungen müssen die Anlagen
innerhalb angemessener Fristen auf Möglichkeiten eines energiesparenderen
Betriebs überprüfen lassen. Die Beheizung privater Pools mit Gas soll
sogar ganz untersagt werden.