Januar 2024 |
240107 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Sommer 2021 gab es zum ersten Mal seit vielen Jahren drei Monate lang einen Importüberschuss. Im vergangenen Jahr war dieses Sommerloch bei den Exporten deutlich deutlich größer, weshalb über alle zwölf Monate hinweg in der Stromhandelsbilanz ein Importüberschuss von 11,6 Terawattstunden zu verzeichnen ist |
Beim Stromhandel mit dem Ausland hat Deutschland im vergangenen Jahr 57,7 Terawattstunden (TWh) Strom exportiert, aber 69,3 TWH importiert, so dass sich zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder ein Importüberschuss ergibt, der mit 11,6 TWh sogar rechtlich deutlich ausfällt. Beim physikalischen Stromaustausch, wie er an den grenzüberschreitenden Leitungen meßtechnisch ermittelt wird, sind die Zahlen etwas geringer: Hier ergeben 63,6 TWh Importe abzüglich 55,0 TWh Exporte einen Importüberschuss von 8,6 TWh.
Das Ergebnis kommt nicht überraschend, sondern hat sich bereits im Sommer abgezeichnet (230701), als sich der im Jahr 2021 erstmals während drei Monaten aufgetretene Importüberschuss in wesentlich stärkerem Maße wiederholte (siehe Grafik 1). Langfristig waren die Stromexporte schon seit 2018 rückläufig. Die Verlangsamung dieses Exportrückgangs 2021 und der vorübergehende Wiederansstieg der Stromausfuhren im folgenden Jahr waren offenbar auf spezielle Faktoren wie den russischen Überfall auf die Ukraine zurückzuführen, die aber nichts an der langfristigen Tendenz änderten (siehe Grafik 2). Nebenbei widerlegt der vorübergehende Wiederanstieg der Exporte im Jahr 2022 die verbreitete Ansicht, dass die damals explodierenden Strompreise durch Strommangel verursacht worden seien. Tatsächlich gingen die Strompreise wegen der fatalen Koppelung der Großhandelspreise mit dem Gaspreis durch die Decke (siehe Hintergrund, Januar 2023).
In der alten Bundesrepublik ergaben sich beim Stromaustausch mit den Nachbarn bis 1987 immer Importüberschüsse (siehe Grafik). Nach der Vereinigung mit der DDR kam es dann häufiger zu Schwankungen des Austausch-Saldos nach beiden Seiten, die sich aber in engen Grenzen hielten. Erst 2003 begann ein zwanzig Jahre lang andauernder Export-Überschuss (in dieser Grafik blau), der immer größer wurde und 2017 einen Rekordstand erreichte, um dann wieder abzusinken. Die Verlangsamung dieses Rückgangs 2021 sowie der Wiederanstieg der Exporte 2022 sind mit der besonderen Situation in diesen beiden Jahren zu erklären und änderten nichts an der sonst geradlinigen Tendenz, die zum Importüberschuss von 2023 führt. Quellen: VDEW / Energy-Charts
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Das "Handelsblatt" berichtete am 24. Januar über die Ergebnisse eines Gesprächs mit dem Strommarktexperten Prof. Bruno Burger vom Fraunhofer-ISE, der die Internet-Plattform "Energy-Charts" entwickelt hat, die seit 2011 zeitaufgelöste Stromdaten der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Dabei ging es auch um die Besorgnis, dass Deutschland durch Importüberschüsse zu stark vom Ausland abhängig werde oder gar seine "Energiesouveränität" verliere, wie das im Juli vorigen Jahres ein CSU-Politiker mit Hilfe der "Bild"-Zeitung als Schreckensbotschaft verbreitet hat (230701). In seiner Antwort auf eine entsprechende Anfrage im Bundestag hatte das Bundeswirtschaftsministerium damals klargestellt: "Der Außenhandelssaldo widerspiegelt lediglich den Sachverhalt wider, dass Strom in zwei benachbarten Ländern im jeweiligen Zeitpunkt unterschiedlich günstig erzeugt wird."
In ähnlicher Weise erklärte das nun Burger den Handelsblatt-Lesern: "Wir exportieren grundsätzlich im Winter Strom, weil dann die Preise sehr hoch sind und die Nachfrage sehr groß ist. Im Sommer ist es umgekehrt – da sind die Strompreise europäisch gesehen sehr niedrig, weil die Nachfrage auch niedrig ist." Gemessen an der gesamten Nettostromerzeugung für Deutschland hätten die Einfuhren mit gerade mal 8,6 Terawattstunden im vergangenen Jahr nur einen sehr kleinen Anteil gehabt (Burger bevorzugt beim Vergleich der Gesamtmengen offenbar den exakt messbaren physikalischen Stromaustausch). Allein die erneuerbaren Energien hätten hierzulande im selben Zeitraum knapp 261 TWh Strom beigesteuert.
Anhaltspunkte dafür, dass die Stromimporte die Strompreise in Deutschland nach oben treiben, sieht Burger nicht. "Die Strompreise sind im Jahresverlauf sogar gesunken. Kostete eine Megawattstunde an der Strombörse im Januar 2023 noch 150 Euro, sind es Mitte Januar 2024 gerade einmal knapp mehr als 80 Euro. Damit liegen sie allerdings deutlich über dem Niveau der Vorjahre, wo die Megawattstunde eher um die 50 Euro kostete." Auch die Tarife hätten sich mittlerweile wieder beruhigt. Für Neukunden lägen die Angebote im Schnitt bei deutlich unter 30 Cent und seien damit wieder auf Vorkriegsniveau angekommen. Indessen sei es durchaus möglich, dass die erneut steigenden Netzentgelte (231205) auf die Strompreise durchschlagen und diese nach oben drücken.