Mai 2025 |
250503 |
ENERGIE-CHRONIK |
Am 28. April schlug der Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) vor, die bislang ganz Deutschland sowie Luxemburg umfassende Gebotszone der EEX-Tochter EpexSpot in fünf Gebotszonen aufzuteilen (250401). Es handelte sich aber keineswegs um eine unverbindliche Empfehlung. Vielmehr begann damit nach Artikel 14 der EU-Verordnung zum Elektrizitätsbinnenmartkt (PDF), der seit 2019 die "Überprüfung von Gebotszonen" regelt, eine sechsmonatige Frist: Nach Absatz 8 dieses Artikels müssen nun die EU-Mitgliedsstaaten, die an der jüngsten Gebotszonen-Überprüfung ("Bidding Zone Review") für Zentraleuropa teilgenommen haben – das sind Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande und Schweden – bis Ende Oktober einen einstimmigen Beschluss über diesen Vorschlag fassen. Diesen Beschluss haben sie der EU-Kommission und der Europäischen Regulierungsbehörde ACER mit einer Begründung zu übermitteln. Falls es nicht zu einem solchen einstimmigen Beschluss kommt, kann die EU-Kommission in Absprache mit ACER nach weiteren sechs Monaten beschließen, "ob die Gebotszonenkonfiguration in und zwischen jenen Mitgliedsstaaten geändert oder beibehalten werden sollte".
Die Bundesregierung muss also zumindest theoretisch damit rechnen, die vorgeschlagene Fünfteilung der bisherigen deutschen Gebotszone von der EU-Kommission und ACER oktroyiert zu bekommen, falls sie sich mit den anderen Teilnehmern der jüngsten "Bidding Zone Review" nicht auf einen einstimmigen Beschluss einigen kann. Das dürfte aber gar nicht so einfach sein, da die strukturellen Netzengpässe der deutschen Gebotszone für Frankreich, Italien, Niederlande und Schweden seit langem ein Dorn im Auge sind, während der Bericht der ENTSO-E in diesen Ländern keine Änderungen für notwendig erachtete. Vor allem Schweden, das selber über vier Gebotszonen verfügt, hat öffentlich Kritik an der ungeteilten EEX-Handelszone geübt, da die chronischen Netzengpässe seinen Stromhandel mit Deutschland und angrenzenden Ländern behindern.
Die Internationale Energie-Agentur (IEA) widmete in ihrem Bericht zur energiepolitischen Situation in Deutschland, den sie am 7. April vorlegte (PDF), einen ganzen Abschnitt der Gebotszonen-Poblematik, wobei sie unter anderem feststellte:
"Deutschland muss möglicherweise die wirtschaftliche Effizienz der Anwendung einer einzigen Gebotszone für das gesamte Land überdenken. Die laufenden Untersuchungen der Übertragungsnetzbetreiber und die endgültigen Empfehlungen werden auf detaillierten technischen Empfehlungen beruhen. Deshalb sollte die Regierung keine politische Entscheidung treffen, die eine Aufteilung der Gebotszonen ausschließt. Stattdessen sollte sie den Rat des Gutachtens beherzigen und sich die Möglichkeit offenhalten, in ganz Deutschland differenzierte Preise einzuführen, um die Ineffizienzen und die hohen Kosten zu beseitigen, die mit der Überlastung der Netze einhergehen."
Demnach war der IEA das Ergebnis der Gebotszonen-Überprüfung bereits bekannt, obwohl es von der ENTSO-E erst drei Wochen später offiziell mitgeteilt wurde. Das galt auch für eine ganze Reihe von anderen Insidern der Branche. In Deutschland gehörten dazu vor allem die vier Übertragungsnetzbetreiber, als deren Sprecher die Amprion GmbH schon am 11. Februar den "Erhalt der einheitlichen Gebotszone im deutschen Strommarkt" sowie die Übernahme der daraus resultierenden Milliardenkosten für das Netzengpass-Management in den Bundeshaushalt verlangte (250203). Ebenso dürften Union und SPD vom bevorstehenden Vorschlag der ENTSO-E gewusst haben, als sie über ihren Koalitionsvertrag verhandelten, der am 9. April veröffentlicht wurde und in dem es auf Drängen der Union heißt: "Wir halten an einer einheitlichen Gebotszone fest."(250403)
So überrascht es auch nicht, dass die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber schon am selben Tag, an dem die ENTSO-E ihren Vorschlag publik machte, ein gemeinsames Positionspapier auf ihrer Internetseite "netztransparenz.de" veröffentlichten (PDF). Darin distanzieren sie sich von dem Vorschlag, der zwar unter ihrer Mitwirkung zustande gekommen sei, auf den sie aber insoweit keinen Einfluss gehabt hätten, als die Analyse aufgrund von 22 Kriterien erfolgte, die allein von der Europäischen Regulierungsbehörde ACER vorgegeben wurden. Aus diesen Kriterien und der von ACER festgelegten Methodik habe sich dann der "größte monetäre Nutzen" bei einer Aufteilung der deutsch-luxemburgischen Stromgebotszone in fünf Zonen ergeben. Die so errechneten "vermeintlichen Wohlfahrtsgewinne" von 339 Millionen Euro für das Jahr 2025 in der Region Zentraleuropa seien aber wenig aussagekräftig und zu gering, um eine Aufteilung der bestehenden Preiszone zu begründen. Hinzu sei der voraussichtliche Nutzen "auf der Grundlage von Beiträgen von Interessengruppen geschätzten Kosten für die Implementierung einer Neukonfiguration voraussichtlich zu gering geschätzt" worden.
Ferner monieren die vier Übertragungsnetzbetreiber, dass die für das Zieljahr 2025 erstellte Studie auf überholten Daten beruhe und keine künftigen Entwicklungen im Stromsystem berücksichtige. Vor allem bleibe der in Deutschland geplante Netzausbau mit HGÜ-Leitungen und der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien außer Betracht. Die vorgeschlagene Anpassung der Gebotszonen könne ohnehin nicht vor etwa 2030 umgesetzt werden. Außerdem würde die vorgeschlagene Aufteilung die Liquidität auf den Terminmärkten einschränken und Kostensteigerungen für den Regelleistungmarkt verursachen.
Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, veröffentlichte zu diesem Thema eine gemeinsame Stellungnahme mit ihrer Vorgängerin Hildegard Müller, die inzwischen als Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA) amtiert: "Der Bidding Zone-Review zeigt klar, dass die Idee einer Aufteilung der deutschen Strompreiszone ökonomisch nicht überzeugen kann und kurzfristig nur sehr geringe Einsparungen zu erwarten wären. Demgegenüber würde eine Aufteilung des deutschen Strommarktes in mehrere Preiszonen zu massiven Unsicherheiten für die Industrie führen und zudem das Investitionsklima für erneuerbare Energien erheblich eintrüben – ohne dass den erheblichen Risiken und signifikanten Kosten nennenswerte ökonomische Vorteile gegenüberstünden."
Ablehnend äußerte sich auch der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE): "Die Teilung der deutschen Strompreiszone ist ein Geist, der besser in der Flasche bleibt", erklärte die BEE-Präsidentin Simone Peter am 28. April. "Eine Teilung mag theoretisch funktionieren, hält aber dem Praxischeck nicht stand. Erwartbar wären nicht nur negative Folgen für die Entwicklung der Preise, sondern auch für die Investitionssicherheit sowie den Ausbau der Erneuerbaren Energien und von Flexibilitäten. Potenziellen (geringen) Vorteilen in einigen Bereichen des Kurzfristmarkts stehen deutliche Nachteile im gesamten Langfristmarkt gegenüber."
Demgegenüber haben Mitarbeiter des Fraunhofer ISE und der "Denkfabrik"
Agora Energiewende am 25. April eine knapp hundert Seiten umfassende Studie
veröffentlicht, wonach ein lokal organisierter Strommarkt die Kosteneffizienz
eines klimaneutralen Stromsystems noch erheblich mehr steigern würde als die
bloße Aufteilung in mehrere Strompreiszonen. "Der einheitliche Strompreis
in Deutschland ist blind für die Auslastung des Übertragungsnetzes und sendet
damit zunehmend problematische Fehlanreize an Verbraucher, Speicher und Erzeuger",
heißt es in den Kernsätzen der Studie. "Lokale Strompreise können die
meisten Eingriffe der Netzbetreiber vermeiden. Sie geben der Netzauslastung
ein Preisschild und setzen damit marktliche Signale für den Kraftwerkseinsatz
sowie für Stromverbrauch und Speicherung zu Zeiten, in denen Strom günstig vor
Ort verfügbar ist. Erst so ist eine effiziente Einbindung von E-Autos, Batterien,
Elektrolyseuren oder Wärmepumpen möglich." Sie empfehlen der Bundesregierung,
parallel zum beabsichtigten Festhalten an der einheitlichen deutschen Gebotszone
"eine europäisch koordinierte Roadmap zu entwickeln, wie ein lokal differenziertes
Preissystem ausgestaltet werden kann". Ein erster Schritt könne die Ergänzung
der bestehenden Preiszone um lokale Investitionssignale sein.