Februar 2025

250203

ENERGIE-CHRONIK


 


Von 2011 bis 2018 stiegen die Redispatch-Kosten um mehr als das 13-fache. Es folgte ein leichter Rückgang, der auf das Ausscheiden Österreichs aus der EEX-Gebotszone zurückzuführen war. Dann gingen sie erneut nach oben und erreichten 2022 mit 2,8 Milliarden Euro ihren bisherigen Höhepunkt.

Amprion fordert Verschiebung der Redispatch-Kosten in den Bundeshaushalt

Zwölf Tage vor der Bundestagswahl veröffentlichte der Übertragungsnetzbetreiber Amprion am 11. Februar eine ganze Reihe von Erwartungen an die künftige Bundesregierung. Da Amprion im Quartett der vier Übertragungsnetzbetreiber ein koordinierende Funktion hat, dürfte dieser Katalog auch weitgehend den Beifall von TenneT, 50Hertz und TransnetBW finden, die keine derartigen Stellungnahmen veröffentlichten. Ein besonderer Schwerpunkt der insgesamt 14 Themen umfassenden Wunschliste (PDF) ist dabei die Forderung, die Kosten für das Engpassmanagement per "Redispatch 2.0" und den Einsatz von Reservekraftwerken nicht mehr in die Netzentgelte eingehen zu lassen. Stattdessen sollen sie dauerhaft aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Begründet wird dies damit, dass es sich bei den enormen Ausgaben für Redispatch und Reservekraftwerke nicht um "originäre", sondern um "transformationsbedingte" Netzkosten handele.

Die Börsen-Fiktion vom engpassfreien Netz widerspricht der Realität und kostet deshalb unnötigerweise Milliarden

Diese Sichtweise trifft insoweit zu, als bei einem engpassfreien Netz und einer hundertprozentig auf erneuerbaren Energien basierenden Stromversorgung tatsächlich kein Redispatch und auch keine Reservekraftwerke mehr benötigt würden (eine weitere Voraussetzung wäre , das dann auch die Netzregelung komplett mit Grünstrom bzw. daraus erzeugtem Wasserstoff erfolgt). Auf diese wünschenswerte "Transformation" wird man allerdings noch einige Zeit warten müssen. Ähnliches gilt für den engpassfreien Netzausbau. Die in diesem Bereich anfallenden enormen Kosten für den "Redispatch 2.0" (231009) entstehen indessen nicht hauptsächlich durch die noch unvollkommene Transformation zum engpassfreien Netz, sondern durch das gegenwärtige Strommarkt-Design. Dieses setzt nämlich einfach voraus, dass es in der Strompreiszone Deutschland-Luxemburg keinerlei Netzengpässe gibt bzw. nicht geben darf. Und da es sie tatsächlich doch gibt, wird aus dieser Fiktion dann die Berechtigung abgeleitet, Unsummen für die Anpassung der Realität an das börsentechnische Wunschbild einer deutschlandweiten "Kupferplatte" auszugeben.

Nach der Abtrennung Österreichs von der EEX-Gebotszone gingen die Redispatch-Kosten zurück

Dabei ließen sich voraussichtlich Milliarden einsparen, wenn ein weiterer Neuzuschnitt der EEX-Handelszone zustande käme oder sogenannte Nodalpreise eingeführt würden (siehe 240705 und Hintergrund, Juli 2024). Das zeigte sich schon bei der Abtrennung Österreichs von der EEX-Gebotszone, die 2018 zustande kam (181003). Denn damals gingen in der abgespeckten EEX-Gebotszone, die seitdem neben Deutschland nur noch das kleine Luxemburg umfasst, die Redispatch-Kosten zwei Jahre lang zurück, bevor der Anstieg erneut einsetzte.

Der Grund für diese heiß umstrittene Abtrennung Österreichs waren ebenfalls die innerdeutschen Netzengpässe, die den Stromfluss von Norden nach Süden behinderten. Die Redispatch-Kosten waren damals von 2011 bis 2017 um gut das dreizehnfache gestiegen (siehe Grafik). Sie erreichten aber trotzdem weniger als die Hälfte des heutigen Stands und waren auch nicht der Grund, weshalb die europäischen Regulierungsbehörden so energisch die Umwandlung des österreichischen Netzgebiets zu einer separaten Gebotszone verlangten. Ausschlaggebend war vielmehr der internationale Unmut über die Ringflüsse, die wegen der Engpässe im deutschen Übertragungsnetz durch die Netze von Nachbarländern vagabundierten und diese strapazierten, bevor sie auf allerlei Umwegen nach Österreich gelangten. Polen und Tschechien installierten an ihrer Grenze sogar aufwendige Phasenschieber, um die deutschen Ringflüsse abzublocken, was den Druck auf die innerdeutschen Engpässe noch verstärkte (170104). Trotzdem gingen in Deutschland nach der Abtrennung Österreichs die Redispatch-Kosten zurück, bis nach zwei Jahren der Anstieg erneut einsetzte. Es handelte sich gewissermaßen um den erfreulichen Nebeneffekt einer Maßnahme, die nicht auf die Senkung der Redispatch-Kosten zielte, sondern auf die Abwehr von Ringflüssen. Sicher wäre dieser Effekt noch deutlich ausgeprägter gewesen, wenn man die Aufteilung der EEX-Gebotszone entlang den innerdeutschen Netzengpässen vollzogen hätte, statt sie entlang der deutsch-österreichischen Grenze vorzunehmen. Und noch stärker wäre er bei mehreren maßgeschneiderten Aufteilungen der EEX-Handelszone oder der Einführung von lokalen "Nodalpreisen" gewesen.

Verschiebung der Kosten in den Bundeshaushalt löst nicht das Grundproblem

Nach dem zuletzt erschienenen "Monitoringbericht 2024" der Bundesnetzagentur entfielen 2023 auf den Redispatch 2.544.000.000 Euro und auf die Reservekraftwerke 554.000.000 Euro von insgesamt 5.247.000.000 Euro Gesamtkosten für Systemdienstleistungen. Das waren rund 60 Prozent der Systemdienstleistungen, die über die Netzentgelte in die Stromrechnungen eingehen. Durch die vorgeschlagene Subventionierung aus dem Bundeshaushalt würde also der größere Teil der Netzentgelte entfallen. Vor allem für die ohnehin begünstigten industriellen Großverbraucher wäre das ein weiterer Vorteil. Dagegen kann es der Masse der Niederspannungskunden relativ gleichgültig sein, ob sie über die Stromrechnung oder als Steuerzahler für die Bezahlung der Systemdienstleistungen herangezogen werde. Denn auch eine gänzliche Verlagerung der hohen Redispatch-Kosten in den Bundeshaushalt, wie sie schon 2023 und 2024 zumindest teilweise erfolgt ist (221009, 231010), löst das zugrunde liegende Problem nicht: Die Unzulänglichkeit eines Strommarkt-Designs, das jährlich mit einem Aufwand von mehreren Milliarden Euro die netztechnische Realität den Wünschen der Börse und des Stromhandels anpasst, anstatt umgekehrt zu verfahren. Denn es gäbe durchaus marktbasierte Lösungen, um diesen Aufwand deutlich zu verringern. Aber die gefallen naturgemäß jenen Teilen der Branche nicht, die von dem Milliardengeschäft mit der virtuellen Überbrückung von Netzengpässen profitieren.

Amprion plädiert für die Erhaltung der einheitlichen Gebotszone in Deutschland

Blättert man im Wunschkatalog von Amprion weiter, stellt man allerdings fest, dass der Koordinator der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber von solchen Überlegungen zur Änderung des aktuellen Strommarkt-Designs gar nichts hält. Zu den insgesamt 13 weiteren Anliegen, die er der künftigen Bundesregierung besonders ans Herz legen will, gehört nämlich auch "der Erhalt der einheitlichen Gebotszone im deutschen Strommarkt". Und zwar begründet er das folgendermaßen:

"Der Erhalt der einheitlichen Gebotszone im deutschen Strommarkt bleibt das Ziel, da sie für Effizienz, Markttransparenz und Versorgungssicherheit sorgt. Eine Aufteilung in mehrere Zonen würde zu regionalen Strompreisunterschieden führen, die insbesondere Verbraucher*innen in strukturschwachen Gebieten und Unternehmen mit hohem Energiebedarf belasten könnten. Einheitliche Preise fördern einen fairen Wettbewerb und verhindern die Entstehung von 'Gewinner- und Verliererregionen'. Zudem ermöglicht eine einheitliche Gebotszone eine effiziente Nutzung der verfügbaren Kraftwerkskapazitäten und erhöht die Planungssicherheit. Der mögliche Verlust von Liquidität in deutlich verkleinerten Gebotszonen würde dabei auch die Integration von volatilen Einspeisern deutlich erschweren. Der Fokus sollte daher auf dem Netzausbau und der Schaffung von ergänzenden Allokationssignalen liegen, um Engpässe zeitnah zu überwinden. Gleichwohl ist ein erweiterter Handlungsspielraum der Netzbetreiber im Bereich des Netzengpassmanagements notwendig."

Amprion gibt so in wohlklingenden, aber nicht unbedingt überzeugenden Worten zu verstehen, dass man doch besser alles beim alten lassen soll. Das Alte ist in diesem Fall der § 3a der Stromnetzzugangsverordnung, der seit November 2017 die "Gewährleistung des Netzzugangs in der einheitlichen Stromgebotszone" vorschreibt. Dabei handelt es sich um ein Trostpflaster, das die damalige schwarz-rote Bundesregierung der Branchenlobby spendierte, nachdem endgültig feststand, dass die Abtrennung Österreichs von der EEX-Gebotszone nicht mehr zu verhindern war. Auf diese Weise wollte man zumindest verhindern, dass nach der auf den 1. Oktober 2018 terminierten Auflösung der deutsch-österreichischen Stromhandelszone auch noch ein Neuzuschnitt der verbliebenen EEX-Gebotszone auf quasi technokratischem Wege über EU-Kommission, Regulierungsbehörden und Übertragungsnetzbetreiber zustande kommt.

§ 3a der Stromnetzzugangsverordnung gilt nur noch bis Jahresende

Dieser Paragraph gilt bis heute. Aber nicht mehr lange. Zusammen mit anderen Teilen der Stromnetzzugangsverordnung (und auch der Gasnetzzugangsverordnung) tritt er zum Jahresende außer Kraft. Er gehört nämlich zu jenen dubiosen rechtlichen Bestimmungen, mit denen sich die Bundesregierung als Verordnungsgeber Befugnisse angemaßt hat, die nach EU-Recht den Regulierungsbehörden überlassen werden müssen (210901, 231109). Die neu gebildete "Große Beschlusskammer" der Bundesnetzagentur wird sich deshalb bei der bereits begonnenen "Weiterentwicklung des künftigen Regulierungrahmens" (250108) überlegen müssen, ob oder in welcher Weise sie auch diese obsolet gewordene Vorschrift durch eine neue Regelung ersetzt.

 

Links (intern)

zu Netzentgelten

zu Redispatch-Kosten

Link (extern, ohne Gewähr)