Oktober 2025

251002

ENERGIE-CHRONIK



Wie aus der Schrottpresse: So sieht der Torus des 2014 fertiggestellten "Stellarators" Wendelstein 7-X aus, in dem das Plasma von Magnetfeldern in der Schwebe gehalten wird. Die gequetschte Form ist das Ergebnis ausgefeilter Berechnungen zur Erzeugung eines besonders stabilen und wärmeisolierenden magnetischen Käfigs.

Schön symmetrisch: Beim konkurrierenden Prinzip des "Tokamak" ist die Bauweise einfacher. Ein großer Nachteil gegenüber dem "Stellarator" ist aber die Instabilität des Plasmas, die nur einen pulsierenden Betrieb ermöglicht. Das Foto zeigt den ASDEX Upgrade, den das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching seit 1991 betreibt.

 
Fotos (2): IPP

Bundesregierung will Fusions-Forschung mit über zwei Milliarden Euro fördern

Die Bundesregierung beschloss am 1. Oktober einen "Aktionsplan", um die Fusionsforschung stärker als bisher zu fördern. Unter dem Titel "Deutschland auf dem Weg zum Fusionskraftwerk" (PDF) kündigte sie an, für diesen Zweck bis 2028 insgesamt mehr als zwei Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Damit will sie die Inbetriebnahme des "ersten Fusionsreaktors der Welt in Deutschland" vorantreiben, wie sie im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD etwas voreilig zum Ziel einer Regierung erklärt wurde, die spätestens Anfang 2029 wieder abtreten muss (250403). Die Realisierung einer für die Stromerzeugung verwertbaren Kernfusion ist jedenfalls weltweit nicht vor Mitte des Jahrhunderts zu erwarten, wie die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften festgestellt hat (241206). Schon aus diesem Grund wird die Kernfusion deshalb auch keinen Beitrag zur Erreichung der bis dahin gesteckten Klimaziele leisten können (PDF).

Der "erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland" war von Anfang an vor allem ein politischer Formelkompromiss

Bei diesem Punkt des Koalitionsvertrags handelte es sich von Anfang an weniger um ein reales Ziel als um einen politischen Formelkompromiss: Den Unionsparteien wurde es so gesichtswahrend ermöglicht, mit einem Bekenntnis zur relativ "sauberen" und von der Realisierung noch weit entfernten Stromerzeugung mittels Kernfusion in plakativer Weise an der "Option Kernenergie" festzuhalten (250801). Als Gegenleistung mussten die Unionsparteien von ihren früheren Forderungen nach einer Verlängerung oder gar Neubelebung der konventionellen Kernenergie abrücken. Sonst wäre die SPD nicht zu einer gemeinsamen Regierung bereit gewesen. Im Koalitionsvertrag werden deshalb die auf Kernspaltung basierenden und inzwischen allesamt stillgelegten Kernkraftwerke mit keinem Wort erwähnt.

Höhe der bisherigen Förderung steigt ungefähr um das Dreifache

Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Stromerzeugung mit Wärme aus Kernfusion steht also zumindest die nächsten zwei Jahrzehnte gar nicht zur Verfügung. Auch nach dem Ende der jetzigen Regierung werden mindestens noch drei bis vier Legislaturperioden vergehen, bevor Fusionskraftwerke technisch realisierbar wären und praktische Bedeutung erlangen könnten. Das setzt Union und SPD unter Druck, durch eine Aufstockung der finanziellen Mittel für die einschlägige Forschung zumindest den Anschein zu erwecken, als ob es auch schneller gehen könnte. Die mehr als zwei Milliarden Euro, die sie jetzt im Rahmen der vierjährigen Legislaturperiode zur Verfügung stellen wollen, entsprechen pro Jahr über 500 Millionen Euro und mehr als dem Dreifachen der bisherigen Förderung, die vom Bundesforschungsministerium zuletzt mit ungefähr 150 Millionen Euro beziffert wurde.

Denn es ist keineswegs so, dass die Forschung zur Kernfusion bisher sträflich vernachlässigt worden wäre. Der jetzt von der schwarz-roten Bundesregierung beschlossene "Aktionsplan" knüpft sogar direkt an ein ganz ähnliches Projekt an, das die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP im März 2024 unter dem Titel "Förderprogramm Fusion 2040 – Forschung auf dem Weg zum Fusionskraftwerk" vorgelegt hat (PDF). Was sich ändert, ist lediglich die Höhe der Gelder, mit denen die Lobby der Fusionsbranche künftig rechnen kann.

Nutznießer sind vor allem vier Unternehmen, die auf jeweils unterschiedliche Weise die Kernfusion herbeiführen wollen

Nutznießer der erhöhten Geldflüsse sind vier Unternehmen bzw. Lobbyverbände, die auf jeweils unterschiedliche Weise die noch immer ungelösten technischen Probleme der Kernfusion in den Griff zu bekommen versuchen. Denn bisher gibt es trotz jahrzehntelanger Bemühungen und einer ganzen Anzahl von Versuchsanlagen weltweit keinen einzigen Forschungsreaktor, der dauerhaft mehr Energie erzeugen kann als er selber verbraucht. Diese vier Unternehmen sind alle zwischen 2019 und 2023 entstanden und im Lobbyregister des Bundestags verzeichnet. Sie sind nicht nur in Deutschland aktiv, sondern kooperieren international, vor allem mit Partnern in den USA. Zugleich verfügen sie aber nur über geringes Eigenkapital und so gut wie keine Einnahmen aus dem laufenden Geschäft, weshalb sie auf Zuwendungen des Staats, ihrer Gesellschafter oder anderer Gönner so existentiell angewiesen sind wie Fische auf das Wasser.

Gauss Fusion GmbH

Dieses Unternehmen wurden im Juni 2022 von privaten Industrieunternehmen aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien gegründet und arbeitet mit führenden Forschungseinrichtungen zusammen. Dazu gehören CERN, das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), ENEA und die TU Eindhoven. Der Firmenname wurde offenbar von der älteren Maßeinheit für die magnetische Flussdichte abgeleitet, an deren Stelle inzwischen "Tesla" getreten ist. Die falsche Schreibweise "Gauss" statt "Gauß" ist dabei nicht der neuen Rechtschreibung geschuldet, sondern kam wohl mit Rücksicht auf die internationalen Partner zustande. Das Unternehmen verfügt laut Handelsregister über ein Eigenkapital von 2 Millionen Euro und ist damit weit besser ausgestattet als seine drei Konkurrenten. Am 9. Oktober hat die Gauss Fusion GmbH einen Kosten- und Zeitplanrahmen für ein erstes kommerzielles Fusionskraftwerk namens GIGA vorgelegt, in dem sie die Kosten dieses Projekts mit 15 bis 18 Milliarden Euro veranschlagt.

Proxima Fusion GmbH

Diese Firma wurde ebenfalls von Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik initiiert und im März 2023 in München ins Handelsregister eingetragen. Im Unterschied zur Gauss Fusion GmbH beabsichtigt sie aber nicht die Weiterentwicklung des "Tokamak", sondern will auf Basis des "Stellarators" einen funktionstüchtigen Fusionsreaktor entwickeln. Inzwischen hat sie ihr Stammkapital von zunächst nur 20.000 Euro auf 63.218 Euro erhöht. Wie sie am 9. Oktober mitteilte, hat sie außerdem insgesamt 200 Millionen Euro für die Entwicklung eines kommerziellen Fusionskraftwerks bis 2030 eingesammelt, das mit "QI-HTS-Stellaratoren" genügend Wärme zur Stromerzeugung liefern soll. An diesem Ziel arbeite ein Team aus Wissenschaftlern und Ingenieuren von führenden Unternehmen und Institutionen wie dem IPP, dem MIT, Harvard, SpaceX, Tesla und McLaren, das inzwischen auf rund hundert Mitarbeiter angewachsen sei.

Marvel Fusion GmbH

Dieses Unternehmen wurde im Juli 2019 gegründet und hat seinen Sitz ebenfalls in München. Es verfolgt einen speziellen Ansatz, indem es als Brennstoff nicht Deuterium-Tritium verwendet, sondern Bor-Protonen, wobei die Fusion durch hochintensive Laser angestoßen wird. Es handelt sich um einen Zusammenschluss von Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), der Extreme Light Infrastructure for Nuclear Physics (ELI-NP), der Stanford University und des Massachusetts Institute of Technology (MIT), die gemeinsam dieses Fusionskonzept verwirklichen wollen. Die Marvel Fusion GmbH kann sich dabei auf über 385 Millionen Euro an Zuwendungen von öffentlichen und privaten Geldgebern stützen. Eine zwischen ihr und der Ludwig-Maximilians-Universität geschlossene Kooperationsvereinbarung wird vom Land Bayern mit 2,5 Millionen Euro unterstützt. Das Eigenkapital des Unternehmens beträgt laut Handelsregister 132.780 Euro.

Focused Energy GmbH

Die Focused Energy GmbH wurde im August 2021 in Darmstadt ins Handelsregister eingetragen. Als Eigenkapital werden bis heute nur 25.000 Euro angegeben. Zweiter Firmensitz ist Redwood City im US-Staat Kalifornien. Es handelt sich um ein Technologie-Spin-off der Universität Darmstadt, das mit dem US-Unternehmen National Energetics (Texas) kooperiert. Focused Energy verfolgt wie Marvel Fusion das Konzept einer Laser-gesteuerten Fusion, verwendet dabei jedoch den konventionelleren Deuterium-Tritium-Ansatz der National Ignition Facility (NIF). Finanziell unterstützt wurde das Unternehmen unter anderem durch die deutsche Bundesagentur für disruptive Innovation, die ihm den mit 50 Millionen Dollar dotierten SPRIN-D-Preis verlieh. Laut seiner jüngsten Selbstdarstellung "beschäftigt das weltweit führende Laserfusionsunternehmen die rund 100 besten Köpfe einschlägiger Forschungsinstitute und Universitäten in Europa und den USA".

Proxima, Marvel und Focused Energy verlangten "mindestens 3 Milliarden Euro bis 2029"

Eine Woche vor dem angekündigten Kabinettsbeschluss über den "Aktionsplan" zur Förderung der Kernfusion veröffentlichten drei dieser vier Unternehmen – Proxima, Marvel und Focused Energy – einen Appell an die Bundesregierung, in dem sie eine "staatliche Anschubfinanzierung von mindestens 3 Milliarden Euro bis 2029" für das von ihnen betriebene Geschäft verlangten. Nur so könnten sie "privates Kapital in großem Umfang mobilisieren und den Weg zum ersten Fusionskraftwerk in Deutschland ebnen".

Die Gauss Fusion GmbH bezifferte die Kosten ihres Projekts mit 15 bis 18 Milliarden Euro

Die Gauss Fusion GmbH beteiligte sich nicht an diesem Appell. Stattdessen präsentierte sie eine Woche nach dem Kabinettsbeschluss ihren Entwurf für die Entwicklung eines Fusionskraftwerks, dessen Realisierung bis Mitte der vierziger Jahre möglich sein soll und dann 15 bis 18 Milliarden Euro kosten würde. Diese Summe wäre tatsächlich GIGA, wie der verheißungsvolle Name des Projekts lauten soll. Und da der Preisstand des Jahres 2025 zugrunde gelegt wurde, dürfte sie sich bis Mitte der vierziger Jahre schon inflationsbedingt noch stark erhöhen.

Die Leistung des geplanten Fusionskraftwerks GIGA wurde nicht genannt. Sie dürfte sich aber bestenfalls im üblichen Bereich konventioneller Kernkraftwerke bewegen, die deutlich weniger kosten. Sogar der finanziell völlig entgleiste KKW-Neubau Olkiluoto 3 in Finnland war trotz einer fast dreifachen Kostenüberschreitung um 4 bis 7 Milliarden Euro billiger.

Das erste Fusionskraftwerk wäre von einer geradezu erdrückenden Unwirtschaftlichkeit

Auch ohne Kostenüberschreitungen sind konventionelle Kernkraftwerke schon jetzt viel zu teuer, um mit dem Strom aus erneuerbaren Energien konkurrieren zu können. So hat Frankreichs EDF die Baukosten für weitere Kernkraftwerke vom Typ EPR auf mindestens 8,4 Milliarden Euro nach oben korrigiert, nachdem beim ersten inländischen EPR in Flamanville die ursprünglich veranschlagten 3,4 Milliarden auf über 19 Milliarden explodiert sind. Da für das GIGA-Fusionskraftwerk die Baukosten sogar doppelt so hoch veranschlagt werden, ergäbe sich somit für Kraftwerke, die mit Wärme aus Kernfusion betrieben werden, eine geradezu erdrückende Unwirtschaftlichkeit.

 

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