November 1991

911107

ENERGIE-CHRONIK


Tauziehen um Ex-Alkem geht in eine weitere Runde

Die Plutoniumverarbeitung im Siemens-Brennelementewerk Hanau (früher Alkem) bleibt weiter stillgelegt, obwohl Bundesumweltminister Töpfer (CDU) keine sicherheitstechnischen Bedenken gegen den Weiterbetrieb hat. Töpfer hält die Ursachen der Zwischenfälle vom Sommer dieses Jahres, mit denen das hessische Umweltministerium die Stillegung begründete, für geklärt und bei entsprechenden Vorkehrungen für vermeidbar. Er mahnte deshalb beim hessischen Umweltminister Fischer (Grüne) die Aufhebung der Stillegungsverfügung bis spätestens 8.11. an. Töpfers Schreiben an Fischer war Gegenstand eines heftigen Schlagabtauschs zwischen Koalition und Opposition am 6.11. in einer Aktuellen Stunde des Bundestags, die vom Bündnis 90/Grüne beantragt worden war. Fischer weigerte sich dabei, Töpfers Aufforderung nachzukommen. Er erklärte, daß Töpfer ihm selbstverständlich eine Weisung zur Wiederinbetriebnahme erteilen könne, die er dann zu befolgen habe, doch müsse Töpfer in diesem Fall auch die Verantwortung für Sicherheitsdefizite übernehmen (FR, 31.10.; dpa, 6.11.).

Bevor Töpfer von seinem atomrechtlichen Weisungsrecht gegenüber Fischer Gebrauch machen konnte, berichtete am 7.11. die Frankfurter Rundschau über disziplinarrechtliche Vorermittlungen gegen mehrere Beamte des hessischen Umweltministeriums wegen "Verdachts des Verwahrungsbruchs". Danach sind unter dem früheren Umweltminister Weimar (CDU) Akten, welche die abschließende Teilgenehmigung der Plutoniumverarbeitung betrafen, im Siemens-Brennelemente-werk gelagert und mit Anmerkungen versehen worden. Das Ministerium hege den Verdacht, daß Siemens damit Gelegenheit gegeben worden sei, die Unterlagen "nachzubessern" (FR, 31.10., 7.11., 8.11., 9.11.; SZ, 9.11.; Spiegel, 11.11.; siehe auch 910710, 910805, 910912).

Nach Darstellung von Siemens betrafen die fraglichen Akten die am 29.10.1990 zugestellte fünfte Teilgenehmigung für die Mischoxidverarbeitung. Sie seien am 3.12.1990 vom hessischen Umweltministerium übersandt und auf dessen ausdrücklichen Wunsch in Verwahrung genommen worden. Das Ministerium habe darum gebeten, die Akten vorsorglich auf Vollständigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls auf den aktuellen Stand zu bringen. Entsprechend habe man einige wenige Hinweise für die geplante Aktualisierung gegeben und als Vermerk den entsprechenden Unterlagen beigefügt. Im übrigen handele es sich ausschließlich um Akten, die Siemens selbst im Genehmigungsverfahren eingereicht hatte. Verwaltungsvorgänge und sonstige interne Behördenakten seien nicht darunter gewesen. Eine Manipulation der Genehmigungsunterlagen scheide schon deshalb aus, weil sich diese in endgültiger Form beim TÜV befänden (FR, 13.11.).

Sprecher von CDU und FDP werteten die Verlagerung der Akten als "Unbedachtsamkeit", "Dummheit" von Beamten und "rechtliche Naivität". Die Gültigkeit der erteilten Genehmigungen sahen sie jedoch nicht in Frage gestellt. Dagegen erklärte Umweltminister Fischer am 28.11. vor dem Atomausschuß des Landtages, daß sich für ihn inzwischen "zwingend" die Frage nach der Rechtsbeständigkeit der fünften Teilgenehmigung für die Plutoniumverarbeitung in Hanau stelle. Auch liege, entgegen der Versicherung von Siemens, beim TÜV Bayern kein Aktensatz vor, der zweifelsfrei mit den ursprünglichen Genehmigungsunterlagen identisch sei. Eine Entscheidung darüber, ob er den unter seinem Vorgänger Weimar ausgesprochenen Sofortvollzug für die fünfte Teilgenehmigung widerrufen werde, stellte Fischer für die kommenden Tage in Aussicht (FR, 8.11. u. 29.11.).

Nach Ansicht der Frankfurter Rundschau(13.11.) sollte Siemens mit der Überlassung der Akten die Gelegenheit gegeben werden, die Antragsunterlagen nachträglich der in Eile erteilten Genehmigung anzupassen: "Da sieht man, wo es hinführt, wenn kurz vor Landtagswahlen noch Genehmigungen durchgesetzt werden sollen und - so muß es wohl gewesen sein - am Ende die Genehmigung nicht mehr zum Siemens-Antrag paßt. Unter politischem Zeitdruck gibt dann die Genehmigungsbehörde die Akten an die Firma, und dort werden nachträglich ëeinige wenige Hinweise für die geplante Aktualisierungí eingefügt (so Siemens). Mit den atomrechtlichen Konsequenzen dieses famosen Stils wird die Firma noch genügend Ärger bekommen. Hessens Grünen-Minister Fischer konnte sich besseres nicht wünschen. Die Atom-Freunde haben den Atom-Gegnern eine Steilvorlage geliefert."

Für das Handelsblatt (21.11.) steht Töpfer bei seinem weiteren Vorgehen in Sachen Ex-Alkem vor folgendem Dilemma: "Auf der einen Seite können zwar die sicherheitstechnischen Bedenken zurückgewiesen werden; eine zusätzliche ëSchwachstellenanalyseí durch Öko-Gutachter kann höchstens mit politischen Ausstiegsplänen begründet werden. Auf der anderen Seite muß Töpfer jedoch fürchten, daß bei der Genehmigung seines hessischen Parteifreundes Weimar die notwendige Sorgfalt für eine firmenunabhängige Bearbeitung nicht immer vollständig gewährleistet worden ist."

"Zeit" -Dossier über "Knebelung" der Elektrizitätswerke durch Siemens

In einem umfangreichen "Dossier" hat die Wochenzeitung Die Zeit (29.11.) über einen "Knebelvertrag ohne Beispiel" berichtet, der zwischen Siemens und den Kernkraftwerksbetreibern im Januar 1988 "über die Erhaltung und Nutzung der Fertigungsmöglichkeiten für Mischoxid-Brennelemente für Leichtwasserreaktoren in der Bundesrepublik Deutschland" abgeschlossen worden sei. Nach dem bislang geheimgehaltenen Dokument hätten sich die Kraftwerksbetreiber unter äußerst ungünstigen Konditionen zur Auslastung der Hanauer Plutoniumverarbeitung bzw. Abnahme von Mischoxid-Brennelementen verpflichtet. Nur die Stadtwerke der SPD-regierten bayerischen Landeshauptstadt München hätten ihre Zustimmung verweigert.