Dezember 1991 |
911206 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Siemens-Brennelementewerk Hanau konnte zu Beginn des neuen Jahres die Herstellung von Uran-Brennelementen wieder aufgenommen werden. Die Produktion war am 21. Dezember durch den hessischen Umweltminister Fischer (Grüne) gestoppt worden, nachdem ein Gutachten des TÜV Bayern auf Risiken hinwies, die sich aus der Verwendung von Wasserstoff bei der Herstellung von Brennelementen ergeben könnten. Sachverständige des TÜV Bayern unterzogen die betreffenden Betriebsteile einer Druckprüfung. Da sich keine Beanstandungen ergaben, gestattete das hessische Umweltministerium die Wiederaufnahme der Wasserstoffversorgung. Es verfügte aber zugleich, daß die Wasserstoffleitungen künftig alle drei Monate geprüft werden müssen (FAZ, 31.12., Welt, 2.1.).
Die Herstellung plutoniumhaltiger Mischoxid-Brennelemente, die seit letzten Sommer durch Verfügungen Fischers lahmgelegt ist, ruhte im Dezember weiter. Der hessische Umweltminister sperrte sich auch gegen eine zweite ultimative Aufforderung von Bundesumweltminister Töpfer (CDU), die Plutoniumverarbeitung in Hanau bis spätestens 18.12. wieder zuzulassen. Während Töpfer die Ursachen der Zwischenfälle, die zur Stillegung führten, für inzwischen geklärt und unter entsprechenden Vorkehrungen für vermeidbar hält, bleibt Fischer "nach gründlicher Prüfung bei seiner Auffassung, daß eine Wiederaufnahme des MOX-Betriebes derzeit auch mit Auflagen nicht zulässig" sei. Fischer will es offenbar darauf ankommen lassen, daß ihm Töpfer die förmliche Weisung zur Aufhebung der Stillegungsverfügungen erteilt. Ein entsprechendes "bundesaufsichtliches Gespräch" wurde für den 6.1. in Bonn angesetzt (SZ, 19.12; siehe auch 911107).
Die Süddeutsche Zeitung (19.12.) meinte zu dem bevorstehenden Gespräch und der erwarteten Weisung Töpfers an Fischer: "Der eigenen Klientel wird Fischer bis zum Erreichen dieser atomrechtlichen Grenze vorgeführt haben, daß er tut, was er versprochen hatte: den Ausstieg aus der Atomenergie zu versuchen, mit allen ihm eigenen Winkelzügen - aber streng nach Recht und Gesetz. Dem Bundesumweltminister überbrächte Fischer mit diesem Gang öffentlich wirksam die alleinige Verantwortung für die Wiederinbetriebnahme der Siemens-Brennelementewerke."
Ähnlich wurde "Fischers Ping-Pong-Spiel mit Bonn" von der Frankfurter Allgemeinen (18.12.) gesehen: "Ihm geht es vor allem darum, die Verantwortung für eine Wiederinbetriebnahme in Hanau ausschließlich dem Bundesumweltminister zuzuschieben." Fischer könne sich dabei Fehler der Gegenseite zunutze machen: "Die Nuklearindustrie hat durch eigene Schuld längst ihre Unschuld verloren. Pannen und dubiose Vorgänge haben inzwischen selbst bei jenen, die der Kernenergie wohlwollend gegenüberstehen, Zweifel aufkommen lassen, ob in Hanau alles immer mit rechten Dingen zugeht."
In Teilen der Medien und der politischen
Öffentlichkeit wird verstärkt Kritik an der Verwendung
von MOX-Brennelementen geübt und bezweifelt, daß sich
das Entsorgungsproblem durch die Wiederaufarbeitung abgebrannter
Brennstäbe merklich lindern lasse. Die Frankfurter Rundschau
(20.12.) kommentierte: "Die Illusion eines Plutoniumkreislaufs
soll so noch eine Weile aufrechterhalten werden, aber selbst die
Atomindustrie glaubt nicht mehr so recht daran, daß sich
auf diesem Weg irgendein Entsorgungsproblem langfristig lösen
ließe. Die MOX-Elemente sind teurer als die herkömmlichen,
und auch in Bonn, wo man Siemens einst zur Übernahme des
Hanauer Werks vergatterte, beginnt ein Umdenken in Richtung direkte
Endlagerung. Es geht also letztlich nur noch darum, einen zunehmend
als falsch erkannten Weg solange aufrechtzuerhalten, bis ein anderer
gangbar wird. Weil der Wiesbadener Minister das weiß, hat
er hinter Töpfers Hanau-Politik längst die Angst ausgemacht,
ohne das Siemens-Werk könnte schon bald das erste Atomkraftwerk
per Richterspruch stillgelegt werden: nämlich wegen fehlender
Entsorgung."