Juni 1992 |
920604 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Bericht der Koalitionsarbeitsgruppe "Deregulierung" ist vom Bundeskabinett gebilligt worden. Er sieht unter anderem einschneidende Veränderungen in der Stromwirtschaft vor: Die Betreiber von Stromnetzen werden einer allgemeinen Durchleitungspflicht unterworfen; wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen den Versorgungsunternehmen in Form von Demarkationsverträgen und Verbundverträgen sowie die Ausschließlichkeitsklausel in Konzessionsverträgen zwischen Stromversorgern und Kommunen werden verboten; die Unterhaltung von Hochspannungsleitungen wird zu einer betrieblich eigenständigen Dienstleistung; der im kommunalen Bereich verbreitete Querverbund von Strom, Wasser, Gas, Abfallbeseitigung und Nahverkehr wird überprüft.
Die Koalitionsarbeitsgruppe war gebildet worden, um die Vorschläge der unabhängigen Deregulierungskommission zu prüfen, die von der Bundesregierung Ende 1987 eingesetzt worden war und im Frühjahr 1991 ihren Abschlußbericht vorgelegt hatte. Sie billigte nach eineinhalbjähriger Arbeit die meisten der 97 Vorschläge der Kommission (FAZ, 25.6.; SZ, 25.6.; FR, 25.6.).
Überwiegend auf Kritik stießen die von
der EG-Kommission vorgeschlagenen Richtlinien für die Strom- und Gaswirtschaft
im Binnenmarkt bei einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Bundestags,
die am 3.6. stattfand. Die Vertreter der Strom- und Gaswirtschaft bekräftigten
ihre Ablehnung mit den bereits bekannten Argumenten. Der Vertreter des
Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) äußerte die Befürchtung,
daß die Vorschläge mit ihrer Fülle von Regulierungen das
Gegenteil der angestrebten und wünschenswerten Liberalisierung des
Energiemarktes bewirken könnten. Der Vertreter des DGB monierte, daß
die EG-Richtlinien keinen Beitrag zum Energiesparen, zur Minderung der
Umweltbelastung und Sicherung von Arbeitsplätzen leisten würden.
Nach Ansicht des Bundeskartellamtes könnten sich bei Verwirklichung
der Vorschläge Vorteile für industrielle Großabnehmer ergeben,
doch bleibe offen, ob sich dadurch auch günstigere Energiepreise für
Haushaltskunden ergeben würden. Uneingeschränkten Beifall erhielten
die Brüsseler Vorschläge dagegen vom Verband der Industriellen
Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) (VWD, 2.6.; dpa, 3.6.; Handelsblatt,
3.6.; FR, 4.6.; siehe auch 920309 u. 920506).
Nach Ansicht des Verbandes der Industriellen Energie-
und Kraftwirtschaft (VIK) sind 60.000 von rund 160.000 Beschäftigten
bei den deutschen Unternehmen der öffentlichen Stromversorgung überflüssig.
Der VIK-Vorsitzende Max Dietrich Kley argumentiert damit, daß die
wichtigsten internationalen Versorgungsunternehmen für den Absatz
je einer Milliarde Kilowattstunden 0,32 Mitarbeiter beschäftigten,
wogegen die deutschen EVU im Schnitt auf 0,48 Mitarbeiter kämen. Kley
ist im Vorstand des Chemiekonzerns BASF für die Energieversorgung
zuständig (Zeit, 12.6.; FAZ, 19.6.).